Das Westwerk - Kaiserkirche und Vituskirche

Klaus A.E. Weber

 

Im Osten der Stadt Höxter liegt am Westufer der Weser das karolingische Westwerk, ein in wesentlichen Teilen erhalten gebliebenes romanisches Bauwerk der Klosterkiche des einstigen Benediktinerklosters Corvey.

Der der ehemaligen Basilika westlich vorgesetzte, mit farbigen Wandmalereien und Ornamentbändern ausgestattete Kirchenraum besteht aus rotem Bruchsteinmauerwerk (Solling-Sandsterin), zwei Fassadentürmen mit Spitzdächern und einem zentralen mittleren Turm.

Nach BUSEN [18] ist die Westfassade „in den drei unteren Geschossen und den Turmstümpfen noch karolingisch, der Mittelrisalit im oberen Teil verändert.

Etwa in der Höhe der barocken Nische mit der Figur des Salvators setzte in karolingischer Zeit das über dem Mittelbau liegende Pultdach an.

Darüber liegt das zweigeschossige Glockenhaus des 12. Jahrhunderts mit je vier Doppelschallöchern.

Die korinthisierenden Kapitelle des des unteren Geschosses sind karolingisch und ion zweiter Verwendung.

Die beiden Obergeschosse der Treppentürme (12. Jahrhundert) haben in den allfenstern teils romanische und teils karolingische Kapitelle.

Die Giebel mit den spitzen Zeltdächern wurden 1585 aufgesetzt.“

 

Das Corveyer Westwerk von 873-885

Glockenhaus und Turmerhöhung im 12. Jahrhundert

Zeltdächer von 1553

⊚ Zum Anklicken: virtueller Rundgang EG │ OG

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

9. Jahrhundert

Das frühmittelalterliche Westwerk war ursprünglich eine mit der Hauptkirche verschmolzene Königskapelle.[8]

Das einzigartige Westwerk der Corveyer Abteikirche gilt als ein herausragendes Bauwerk des frühen europäischen Mittelalters, unterstreicht es doch noch heute die hohe Bedeutung und den kulturellen, geistigen und wirtschaftlichen Einfluss des Klosters Corvey auf die Christianisierung Sachsens und Nordeuropas.

Das karolingische Westwerk ist das älteste erhaltene Bauwerk Westfalens und zählt seit dem 21. Juni 2014 zum UNESCO-Welterbe.

In den Jahren zwischen 873 und 885 wurde vor die bestehende Fassade der Basilika das Westwerk unter dem Abt Adelgar (Abbatiat 856-877) [11] als selbständige Raumgruppe errichtet, das in seiner frühmittelalterlichen, karolingischen Bausubstanz weitgehend erhalten blieb.

Das heute altersgraue Westwerk ist das Ergebnis von mehreren Umbauten, Sicherungs- und Renovierungsmaßnahmen.

BUSEN [14], Landeskonservator Münster, beschrieb in einem Beitrtag von 1966 zusammenfassend die Ergebnisse von Bauuntersuchungen und vergleicheden Rekonstruktionsversuchen.

 

Detailaufnahme des Mittelrisalits

barocke Salvatornische

"Kaiserfenster"

Inschriftentafel

April 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

873-885

Am 08. April 873 legte Abt Adelgar (Abbatiat 856-877) [11] den Grundstein zur Errichtung der „tres turres“ westlich des Langhauses.

Die ursprüngliche umfangreiche Dreiturmgruppe des "Vollwestwerkes" umfasste einen turmartig überhöhten, quadratischen Mittelturm über einer kryptenartig gewölbten karolingischen Erdgeschosshalle.

Der Hauptturm mit Vorhalle im Erdgeschoss wurde von zwei höheren schlanken quadratischen Treppentürmen flankiert.

Das Erdgeschoss, auch als „Krypta“ bezeichnet besteht aus einem quadratischen, 8,95 x 9,35 m großen Mittelraum. „dessen Kreuzgewölbe auf 4 Säulen mit korinthisierenden Kapitellen und antikisierenden Kämpfern sowie auf 12 Pfeilern ruhen“.[18]

Die Frage nach dem Verwendungszweck dess karolingischen Westwerkes ist nach wie vor umstritten.

Die Dreiturmanlage erfüllte nach BUSEN [17] folgende Hauptaufgaben:

  • repräsentative Kaiserkirche mit Herrscheremporeeinen - „repräsentativen Rahmen für Besuche der kaiserlichen Familie

  • Wallfahrtskirche mit dem Vitusaltar im Obergeschoss - würdige Stätte der Verehrung für den Heiligen Vitus

  • Taufkirche mit Taufstein im Erdgeschoss.

Auch könnte das Westwerk als Westchor für Kult des Salvators genutzt worden sein (siehe Salvatornische), wie auch für besondere liturgische Handlungen

 

Romanisches Westwerk

Dreiturmgruppe │ 873-885

Quadratischer Mittelturm

flankiert von zwei Treppentürmen

Modell der Kirche [2]

Abbildung aus BRÜNING/HENZE [3]

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

12. Jahrhundert

1146-1158

BUSEN [15] skizzierte in seinem Beitrag von 1966 den Umbau des Westwerkes unter Abt Wibald von Stablo.

Das heute als Doppelturmfassade imponierende karolingische Bauwerk entstand um 1146-1158 unter dem Abt Wibald (1098-1158), der den quadratischen, fünfstöckigen Mittelturm über dem Quadrum bis auf drei Geschosse und die Westwand als Fassade abgetragen lies.

Zudem wurde ein Glockengeschoss (Glockenhaus) aus zwei Reihen von Zwillingsarkaden aufstockt und der obere Teil der beiden erhöhten Treppentürme in Arkaden geöffnet.

Abt Wibald "verlagerte so das Schwergewicht auf die Westfassade, die damit ihren heutigen niederdeutschen Domchatrakter erhielt".[6]

Der „noch erhaltene Bestand der zwanzig Säulen mit reich gehaltenen Blattwerkkapitellen (Zungenblattkapitellen) und Basen sowie die Kämpfergesimse mit ihren antikisierenden Gliederungen“ trägt gemeinsam mit vier großen „Säulen mit korinthisierenden Kapitellen und vollständigem Gebälk“ die Gewölbe der drei Mittelschiffe im Erdgeschoss.[5]

 


© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

16.-17. Jahrhundert

1589-1616

BUSEN [15] beschreibt 1966 den Umbau des Westwerkes unter Abt Dietrich IV. von Beringhausen (Theodor von Beringhausen), wonach aus dem Westchor wieder eine Eigenkirche werden sollte.

Etwa im Zeitraum 1589-1608 - in der Renaissance - erfolgten am Westwerk unter dem Abt Dietrich IV. von Beringhausen (Abbatiat 1585-1616) [7][9] Umbauten und Restaurierungen mit einer zweiten, „leider abwertende bauliche Veränderung: aus der Zentralkirche des 1. und 2. Obergeschosses wird ein Langhaus, und zwar wird der Mittelraum durch Abbruch der doppelgeschossigen Arkadenwand zwischen Quadrum und Ostraum bis zur Westwand der Basilika verlängert zugunsten eines Orgeleinbaus im Ostraum auf der Höhe des ersten Obergeschosses.

Die Decke des Mittelschiffs wird um 1,10 m gehoben, um noch über den nunmehr vermauerten romanischen Fenstern, die 1150 die Arkaden ersetzten, zweiteilige Renaissancefenster anlegen zu können.

Gleichzeitig bezog man die Westvorhalle in den Erdgeschossraum ein.[6]

Die beiden Treppentürme wurden 1589 in der heute erhaltenen Bauform erneuert; sie hatten die heutigen Giebel und spitzen, steilen Turmhelme erhalten.

Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) war "auch Corvey zwar stark mitgenommen und verwahrlost in Folge der Länge des Krieges, aber nicht zerstört".[10]

In der bau- und prunkfreudigen Barockzeit wurde 1664 der frühmittelalterliche Kirchenbau abgerissen, wobei das Westwerk in seiner ursprünglichen Bausubstanz bestehen blieb.

Mit dem Neubau der Abteikirche im gotischen Stil in den Jahren 1667-1674 wurde die größte Bauperiode der Klosteranlage eingeleitet, die das Stift bis 1740 erlebte.

So wurden bei dem Neubau 1667 die unteren Abschnitte „der karolingischen Ostwand zum größten Teil eingemauert und die seitlichen Durchgänge zur Kirche um etwa die Hälfte eingeengt“.[16]

 

1945-1965

Die Restaurierungsmaßnahmen der Jahre 1945-1965 werden in einem 1966 erstellten Beitrag von BUSEN [16], Landeskonservator Münster, zusammenfassend beschrieben.

 

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Hervorzuheben ist, dass in den Jahren 1945-1952 der Vorplatz der Kirche auf die Höhe des ehemaligen karolingischen Atriums abgesenkt wurde und der dessen Größe etwa dem heutigen Vorplatz entsprochen haben dürfte.[16]

Nach den konstruktiven Instandsetzungs- und Restaurierungsarbeiten in den 1950er Jahren, mussten Mauerwerksteile um 1965 umfangreichen Sicherungsmaßnahme unterzogen werden.

 

Doppelturmfassade um 1966 [1]

 


Westwerkfassade der ehemaligen Kaiserkirche

April 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Modellhafte Teilrekonstruktion

der farbigen Raumfassung [2]

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Inschriftenplatte am Westwerk │ um 885

 

Inschriftenplatte am Westwerk │ um 885

unterhalb des "Kaiserfensters"

April 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die äußere 84 cm hohe und 168 cm breite Inschriftentafel am Mittel-Risalit des Westwerks war einst mit 11 cm breiten Bronzebuchstaben besetzt.[12]

Die umrahmte Sandsteintafel mit der in Antiqua gemeißelten karolingischen Weih-Inschrift [13] an der der Außenfront unterhalb des „Kaiserfensters“ lautet:

 

CIVITATEM ISTAM

TV CIRCVMDA DNE ET

ANGELI TVI CVSTO

DIANT MVROS EIVS

 

CIVITATEM ISTAM TU CIRCUMDA

DOMINE ET ANGELI TUI CUSTO

DIANT MUROS EIUS [5]

 

"Herr, umgib diese Stadt und lass deine Engel Wächter ihrer Mauern sein"

"Umhege Du, O Herr, diese Stadt und Deine Engel mögen behüten ihre Mauern" [13]

"O, Herr, behüte diese Stadt und lass die Engel dein die Hüter dieser Mauern sein" [5]

"Umhege Du, o Herr, diese Stadt und laß Deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein" [12]

 

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[1] Ausschnitt: NORDRHEIN-WESTFALEN 1967a, Abb.1.

[2] Firma Hannemann Modellbau, Oldenburg, 1999.

[3] BRÜNING/HENZE 1991, Ausschnitt der Abb. S. 13.

[5] BRÜNING/HENZE 1991, S. 15.

[6] BRÜNING/HENZE 1991, S. 16.

[7] KURTE 2017, S. 194-197.

[8] SAGEBIEL 1973, S. 12.

[9] SAGEBIEL 1973, S. 14.

[10] SAGEBIEL 1973, S. 15.

[11] KURTE 2017, S. 41-43.

[12] NORDRHEIN-WESTFALEN 1967b, S. 645 Nr. 378.

[13] ROHLING o. J., S. 7.

[14] BUSEN 1967, S. 27-32.

[15] BUSEN 1967, S. 32-33.

[16] BUSEN 1967, S. 34-35.

[17] BUSEN 1967, S. 37, 641.

[18] BUSEN 1967, S. 640-641.