Historische Grenzsteine - Bedrohte Baudenkmale
Klaus A.E. Weber
Grenzsteine von orts- und landesgeschichtlicher Bedeutung
Die Landesgrenze zwischen dem
- östlich gelegenen Königreich Hannover: eingehauen „KH” │ nach 1866: „P” für Preußen
- westlich gelegenen Herzogtum Braunschweig: eingehauen „HB” │ nach 1866: „B” für Braunschweig
verlief von Neuhaus entlang des Baches "des roten Wassers" zum Mecklenbruch, von dort zum Wilddiebs- oder Hasenlöffelborn und im Hellental entlang des Baches "Spoile" (heute „Helle“) in Richtung Merxhausen.
Dabei war die Grenze vornehmlich den natürlichen Geländeformen angepasst.
Grenzstein Nr. 13 B
Grenzstein Nr. 38 P
Von Braunschweig (B) gesetzter Grenzstein aus Sollingsandstein mit Sägespuren
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Die ehemalige Grenze zum Stift Hildesheim begann etwa beim Wilddiebsborn, lief vorbei am Appelshüttschen Born in Richtung Große Blöße, sodann in Richtung Schullermann und Abbeke.
Am südöstlichen Dorfausgang von Merxhausen, an der heutigen Landesstraße 580, befindet sich gegenüber dem Gasthaus „Zum Grenzkrug“ (vormals Grenzkrug und –zollhaus) der letzte Landesgrenzstein der beiden Länder Hannover und Braunschweig.
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Landesgrenzstein zwischen (Land) Hannover und (Land) Braunschweig
gegenüber dem alten "Grenzkrug" an der Straße Merxhausen-Mackensen, Landesstraße L 580
Erhaltunszustand im Mai 2016, vor seiner Beschädigung 2022
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Über die östlichen Randbereiche der Flure „Streitige Hudekämpe“ und „Rotem Lande“ endete an dieser Stelle einst die historische, den Hochsolling durchquerende Grenzlinie beider Territorien im Verlauf des Hellentales.
Bis heute zeugen zahlreiche, im Original erhaltene Grenzsteine [3] - Relikte vormals errichteter Landes- und Ämtergrenzsteine sowie forstliche und fiskalische Abteilungssteine - im Hellental von den landesherrlichen Gebietsansprüchen vergangener Epochen.
Die mittig auf der Grenzlinie gesetzten Landesgrenzsteine sind, wie neuere Untersuchungen ergaben, teils braunschweigischer, teils preußischer Herkunft.
Sägespuren auf den Grenzsteinen aus Bundsandstein (Solling) weisen auf eine maschinelle Bearbeitung hin.
Teils auch mit Ordnungszahlen und –buchstaben gekennzeichnet, sind die Grenzsteine aus Buntsandstein mit Sägespuren stille, teils aber durch landwirtschaftliche Nutzung beschädigte Zeugen des alten Grenzraumes in der Landschaft des lang gestreckten Hellentales.
Darüber hinaus bestehen noch gut erhaltene Abschnitte alter Grenzwälle („Wall-Graben-Wall“).[4][5]
Mittig auf der Grenzlinie in der Helle gesetzter Landesgrenzstein
heute nicht mehr erhalten
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Ordnungsbuchstaben/–zahlen der Landesgrenzsteine
Die Landesgrenze zwischen dem Herzogtum Braunschweig und dem Königreich Preußen wurde durch behauene Grenzsteine mit eingehauenen Buchstaben und fortlaufender Nummerierung neu markiert.
Die Ordnungsbuchstaben und –zahlen geben Auskünfte darüber, von welcher Gebietskörperschaft (Land, Amt) der jeweilige Landes- oder Ämtergrenzstein vormals gesetzt wurde.[6]
Dasjenige Land oder Amt, welches den Grenzstein setzte, brachte zugleich auch die fortlaufende Ordnungsbezeichnung (Buchstabe, Ziffer) des eigenen Territorialzeichens an.
Das gilt beispielsweise auf der einen Seite eines Ländergrenzsteins „KH“ für Königreich Hannover, auf der Gegenseite „HB“ für Herzogtum Braunschweig, darunter „3“ als Ordnungsnummer
Demnach wurde dieser Landesgrenzstein vom Herzogtum Braunschweig gesetzt.
In einem einheitlichen Naturraum entstand – zumindest aus Hellentaler Sicht - somit ein Braunschweiger „Hüben” und ein hannoversches, später preußisches „Drüben”.
Braunschweigischer Ämterstein von 1828
Das Fürstentum Calenberg hatte unter Herzog Ernst August von Braunschweig-Calenberg (1629-1698) - in Hannover residierende herzogliche Welfenlinie - im Jahre 1692 die Kurwürde erlangt.
Den Namen Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg führte das Fürstentum nach der Vereinigung mit dem Fürstentum Lüneburg im Jahr 1705.
Da Hannover bereits 1636 unter Herzog Georg von Calenberg (1582-1641) Residenzstadt geworden war, setzte sich schließlich die Bezeichnung Kurfürstentum Hannover durch.
Dessen topographische Landesaufnahme von 1764-1786 dokumentiert auch die damaligen Herrschaftsverhältnisse im oberen Hellentaler Grund.
Hierbei ist erkennbar, dass im „Hellen Thal“, nördlich des Dasselschen Mittelberges mit dem „Wilddiebes Born“, in einem Schnittpunkt dreier Amtsbereiche und herrschaftlicher Territorien - als „Dreiländer-/Ämterecke“ - direkt aneinander grenzten:
-
Amt Allersheim (Herzogtum Braunschweig)
-
Amt Hunnesrück (Hochstift Hildesheim)
- Amt Uslar (Kurfürstentum Hannover).
Der versteck liegende braunschweigische „Dreiämterstein“
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Im naturgeschützten oberen Hellentaler Grund steht noch heute am östlichen Ufer der Helle, am Zusammenfluss mit einem kleineren Nebenbach, versteckt in einem kleinen Auwald, ein besonderer Hoheitsgrenzstein: der 1828 gesetzte säulenartige, dreikantige braunschweigische „Dreiämterstein“.
Westseite
Nordseite
Ostseite
Braunschweigischer Ämterstein von 1828
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Die Ausrichtung der sorgfältig aus örtlichem Buntsandstein hergestellten Längsseiten des dreikantigen Grenzsteins von 1828 entspricht dem eines gleichseitigen Dreiecks, dessen Eckpunkte nach Norden (360°), Osten (120°) und Westen (240°) weisen.[1]
Die braunschweigische Grenzseite ist dem Bachlauf der Helle zugewandt.
Es bestehen folgende relativ gut erhaltene Territorialinschriften:
Westseite:
-
HB = Herzogtum Braunschweig
-
AH = Amt Holzminden
- 1828 = [Jahr der Steinsetzung]
Nordseite:
-
KH = Königreich Hannover
- AEH = Amt Erichsburg-Hunnesrück
Ostseite:
-
KH = Königreich Hannover
-
AU = Amt Uslar
- Ͷo 42 = [Spiegelung des N]
Hierbei ist anzumerken, dass das Amt Hunnesrück einst eine Enklave des Hochstifts Hildesheim im hannoversch-braunschweigischen Gebiet war, ein Restareal des ehemaligen umfangreichen Besitzes der Grafen von Dassel, welche mit beginnendem 12. Jahrhundert „als neues dynastisches Element in Erscheinung“ getreten waren (Dassel, Höhenburg Hunnesrück).
1813 wurde das hildesheimische Amt mit dem welfischen Amt Erichsburg zum Amt Erichsburg-Hunnesrück vereinigt.
Als das Amt Hunnesrück durch Hannover übernommen wurde, verschwand das alte bischöfliche Hochstift als Landesherrschaft aus dem Ilmebecken.
Der Bereich des Amtes Uslar umfasste damals das hannoversche Gebiet des Sollings.
Der im Jahr der Setzung des „Dreiämtersteins“ aufgenommene herzogliche Landesgrenzplan gibt mit dem Flurnameneintrag „Der Glaseplack“ einen kartographischen Hinweis auf die große frühneuzeitliche Waldglashütte „Oberes Hellental“ am „rothen Wasser“, unterhalb der Anhöhe „Der Räuberbrink“ und zwischen den braunschweigischen Hellenthaler und den hannoverschen Mackenser Wiesen gelegen.
Allerdings liegen die noch erhaltenen Ofenhügel der um 1600 mit breitem Produktionsspektrum an renaissancezeitlichen Hohl- und Flachgläsern betriebenen Waldglashütte etwas weiter südlich, unmittelbar in Höhe des „Dreiämtersteins“, lagetypisch in einem ressourcenreichen Grenzraum.
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[1] CREYDT/LINNEMANN/WEBER 2007, S. 68 Tab. 3.
[3] Die teilweise auf den Landesgrenzsteinen noch vorhandenen Inschriften „H B” für das Herzogtum Braunschweig und „K H” für das Königreich Hannover werden auch spöttisch als „Herzogtum der Braven”und „Königreich der Halunken” interpretiert.
[4] Es erfolgte eine systematische Begehung und Dokumentation des historischen Grenzverlaufes im Rahmen des Förderprojektes „Kulturhistorisches Kataster Landkreis Holzminden“ durch Dr. Hilko Linnemann (Projektleitung), Detlef Creydt und Dr. Klaus Weber am 02.05., 11.05. und 19.05.2005.
[5] CREYDT/LINNEMANN/WEBER 2007.
[6] Der Autor geht davon aus, dass die alten Grenzsteine im Hellental wegen ihrer geschichtlichen Bedeutung Kulturdenkmale im Sinne des § 3 Abs. 2 NDSchG sind.