Karolingisches Westwerk
Klaus A.E. Weber
Das einzigartige Westwerk der Corveyer Abteikirche gilt als ein herausragendes Bauwerk des frühen europäischen Mittelalters, unterstreicht es doch noch heute die hohe Bedeutung und den kulturellen, geistigen und wirtschaftlichen Einfluss des Klosters Corvey auf die Christianisierung Sachsens und Nordeuropas.
Das karolingische Westwerk ist das älteste erhaltene Bauwerk Westfalens und zählt seit dem 21. Juni 2014 zum UNESCO-Welterbe.
In den Jahren zwischen 873 und 885 wurde vor die bestehende Fassade der Klosterkirche das Westwerk als selbständige Raumgruppe errichtet, das in seiner frühmittelalterlichen, karolingischen Bausubstanz weitgehend erhalten blieb.
Das heute altersgraue Westwerk ist das Ergebnis mehrerer Umbauten und Renovierungsmaßnahmen.
Detailaufnahme des Mittelrisalits
Salvatornische und Inschriftentafel
April 2024
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Dreiturmgruppe
Die ursprüngliche Dreiturmgruppe („tres turres“) umfasste einen turmartig überhöhten, quadratischen Mittelturm als Hauptturm, der von zwei höheren schlanken quadratischen Treppentürmen flankiert wurde.
Das Westwerk diente als „Kaiserkirche“, die für kaiserliche Herrschaftsaufenthalte bereitgehalten wurde.
Auch könnte es als Westchor für Kult des Salvators genutzt worden sein (siehe Salvatornische), wie auch für besondere liturgische Handlungen
Frühmittelalterliches Westwerk
Dreiturmgruppe │ 873-885
Quadratischer Mittelturm
flankiert von zwei Treppentürmen
Modell der Kirche [2]
Abbildung aus BRÜNING/HENZE [3]
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Das heute als Doppelturmfassade imponierende karolingische Bauwerk entstand um 1146-1158 unter dem Abt Wibald von Stablo (1098-1158), der den quadratischen, fünfstöckigen Mittelturm über dem Quadrum bis auf drei Geschosse und die Westwand als Fassade abgetragen lies.
Zudem wurde ein Glockengeschoss (Glockenhaus) aus zwei Reihen von Zwillingsarkaden aufstockt und der obere Teil der beiden erhöhten Treppentürme in Arkaden geöffnet.
Abt Wibald "verlagerte so das Schwergewicht auf die Westfassade, die damit ihren heutigen niederdeutschen Domchatrakter erhielt".[6]
Der „noch erhaltene Bestand der zwanzig Säulen mit reich gehaltenen Blattwerkkapitellen (Zungenblattkapitellen) und Basen sowie die Kämpfergesimse mit ihren antikisierenden Gliederungen“ trägt gemeinsam mit vier großen „Säulen mit korinthisierenden Kapitellen und vollständigem Gebälk“ die Gewölbe der drei Mittelschiffe im Erdgeschoss.[5]
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Im 16. Jahrhundert erfolgten am Westwerk unter dem Abt Dietrich IV. von Beringhausen (Abt 1585-1616) [7] Umbauten und Restaurierungen mit einer zweiten, „leider abwertende bauliche Veränderung: aus der Zentralkirche des 1. und 2. Obergeschosses wird ein Langhaus, und zwar wird der Mittelraum durch Abbruch der doppelgeschossigen Arkadenwand zwischen Quadrum und Ostraum bis zur Westwand der Basilika verlängert zugunsten eines Orgeleinbaus im Ostraum auf der Höhe des ersten Obergeschosses.
Die Decke des Mittelschiffs wird um 1,10 m gehoben, um noch über den nunmehr vermauerten romanischen Fenstern, die 1150 die Arkaden ersetzten, zweiteilige Renaissancefenster anlegen zu können.
Gleichzeitig bezog man die Westvorhalle in den Erdgeschossraum ein.
Die Türme erhielten Giebel und steile Turmhelme“.[6]
Die beiden Treppentürme wurde dabei 1589 in der heute erhaltenen Bauform erneuert.
1664 wurde der frühmittelalterliche Kirchenbau abgerissen, wobei das Westwerk in seiner ursprünglichen Bausubstanz bestehen blieb.
Mit dem Neubau der Abteikirche im gotischen Stil in den Jahren 1667-1674 wurde die größte Bauperiode der Klosteranlage eingeleitet, die das Stift bis 1740 erlebte.
In Teilen musste das Westwerk um 1960 rekonstruiert werden.
Doppelturmfassade um 1966 [1]
Abteikirche St. Stephanus und Vitus Corvey
Doppelturmfassade des Westwerks
April 2024
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Modellhafte Teilrekonstruktion
der farbigen Raumfassung [2]
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Inschriftenplatte am Westwerk
Inschriftenplatte am Westwerk der Klosterkirche
April 2024
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Die äußere Inschriftentafel am Mittel-Risalit des Westwerks der Klosterkirche war einst mit Bronzebuchstaben besetzt.
Die umrahmte Bauinschrift der Sandsteintafel lautet:
CIVITATEM ISTAM
TV CIRCVMDA DNE ET
ANGELI TVI CVSTO
DIANT MVROS EIVS
CIVITATEM ISTAM TU CIRCUMDA
DOMINE ET ANGELI TUI CUSTO
DIANT MUROS EIUS [5]
"Herr, umgib diese Stadt und lass deine Engel Wächter ihrer Mauern sein"
"O, Herr, behüte diese Stadt und lass die Engel dein die Hüter dieser Mauern sein" [5]
Quadrum des Obergeschosses
Während im Untergeschoss des quadratischen Mittelturms eine gewölbte Durchgangshalle den Raum bestimmt, befindet sich im Obergeschoss der quadratische Hauptraum des Westwerkes, das Quadrum des Mittelschiffes - auch als „Johanneschor“ [4], "Kaiserkirche" oder "Kaiserlaube" bezeichnet.
Das Quadrum im Obergeschoss
des quadratischen Mittelturms
Blick auf die Westempore │ 873-885
April 2024
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
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[1] Ausschnitt: NORDRHEIN-WESTFALEN 1966a, Abb.1.
[2] Firma Hannemann Modellbau, Oldenburg, 1999.
[3] BRÜNING/HENZE 1991, Ausschnitt der Abb. S. 13.
[4] Johannes Baptista (der Täufer) als Schutzpatron.
[5] BRÜNING/HENZE 1991, S. 15.
[6] BRÜNING/HENZE 1991, S. 16.
[7] KURTE 2017, S. 194-197.