Benediktinerpropstei "tom Roden"

Klaus A.E. Weber

 

Propstei des 12. Jahrhunderts in der Klosterlandschaft der Reichsabtei Corvey

Klosterdatenbank

Rund 800 m nordwestlich von der Abtei Corvey gelegenen, bestand im Spätmittelalter in der Weseraue das Kloster „tom Roden“ ("zur Rodung") als kleine kirchlich-monastische Gründung mit zugehöriger Siedlung, die vermutlich bereits im 11. Jahrhundert entstanden war.[9][14]

Der ungewöhnliche Name verweist, übersetzt als „zur Rodung“, auf die hochmittelalterliche Landgewinnung in der Nähe der Stadt Höxter („in der Lüre“).

Nachdem man anlässlich der Klostergründung Wald hatte roden müssen, waren die Auen- und Bruchwälder im Umfeld bis ins Spätmittelalter zugunsten von Ackerbau und Weideflächen aufgelichtet oder beseitigt worden.“[15]

 

Blick von dem ehemaligen Kloster "tom Roden"

über die Weseraue auf das nahe gelegene,

ehemalige Kloster Corvey

April 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die möglicherweise unter dem mittelalterlich nicht ungewöhnlichen Gründungsmotiv einer adligen Sühnestiftung für ein schweres Vergehen um 1150/1160 erbaute Benediktinerpropstei, die ihre Blütezeit wohl bereits im Laufe des 13. Jahrhunderts überschitt, wurde schließlich im Jahr 1538 aufgelöst.[9][14][23]

Bei dürftiger Quellenlage bleibt es ungewiss, zu welchem Zeitpunkt, durch welche Umstände und Motive die Gründung der Propstei in unmittelbarer Nähe zum geistlichen Machtzentrum des Mutterklosters Corvey erfolgte.

Zumindest vermittelen die Wahl des Standortes sowie der Grundriss der vergleichsweise kleinen Klosteranlage, dass die „vita communis“ mit klösterlicher Eigenwirtschaft auf gerodetem Boden auf Selbstversorgung ausgerichtet war.

Das neu angelegte Benediktinerkloster "tom Roden" (lateinisch „ad Novale“) verdankt mittelalterlichen Rodungen seinen Namen, wobei anzumerken ist, dass nordwestlich des Klosteranlage eine Siedlung bestand, für die der Name "Roden" überliefert ist.

Wie ISENBERG [4] hierzu ausführt, habe „Hans-Georg Stephan hat westlich des Klosters Reste einer Siedlung von ca. 5 bis 10 Höfen gefunden, die nach dem Scherbenmaterial etwa von der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1300 bestanden hat“.

Die Ergebnisse archäologischer Untersuchungen legen nahe, „dass die ursprünglich großzügige Anlage der Propstei immer mehr auf Ausmaße reduziert wurde, die als Folge sich offenbar ständig weiter einschränkender Nutzungsmöglichkeiten gesehen werden müssen“.[4]

Nach BRÜNING [6] besaß die Propstei recht einträgliche Güter an verschiedenen Orten, „deren Einkünfte wohl für den Unterhalt mehrerer Mönche ausreichend waren“.

Dennoch vermochte es das kleine Kloster historisch zu keiner Zeit, sich aus der Abhängigkeit der Corveyer Abtei zu befreien.

Nach ISENBERG [22] ergibt sich aus der Corveyer Überlieferung, „daß der Propst von „tom Roden“ aus der Corveyer Mönchsgemeinschaft gewählt, auch während seiner Amtszeit Mitglied des Konvents blieb.

Nach der benediktinischen Regel aber, die in Corvey befolgt wurde, war jedes Mitglied der Klostergemeinschaft dem Abt zu Gehorsam verpflichtet“.

 


Ausschnitt einer Abbildung der Landwehr (▶)

um Höxter im späten Mittelalter von KOCH [11]

 

Im Kontext der spätmittelalterlichen Landwehr um Höxter konnte ein mindestens 4 m breiter und 1,4 m tiefer Graben mit westlich aufgeworfenem Wall (Wall-Graben-Anlage) unmittelbar östlich der Propstei nachgewiesen werden.[12]

 

Wechselhafte Geschichte der Propstei

Die Gründung der baulich aufwändigen Propstei im 12. Jahrhundert dem Kloster Corvey zuzuschreiben, fällt vor dem historischen Hintergrund insofern schwer als sich in jener Zeit bereits ein monastischer und wirtschaftlicher Niedergang des Corveyer Klosters abzeichnet.[23]

 

֍ Klosterruine "tom Roden"

Gebäudegrundriss der Klosteranlage [3]

in Ost-West-Ausrichtung

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

12. Jahrhundert

1184 - Ersterwähnung als Kapelle St. Maria Magdalena

Das Kloster „tom Roden" wurde nach erste urkundlicher Erwähnung und Grabungsbefunden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf einem nach Osten hin abfallenden Gelände errichtet - als eine vom Kloster Corvey abhängige Propstei.

Nach BRÜNING [6] wird am 29. Oktober 1184 „die Kirche der HI. Maria Magdalena tom Roden (ecclesia S. Mariae Magdalenae ad Novale) in einer Urkunde des Papstes Lucius III. zum ersten Mal schriftlich erwähnt.

Der Papst bestätigt dem Kloster Corvey u. a. den Besitz der von ihm abhängigen Propsteien Marsberg und Gröningen, die in der Urkunde als »monasterium« bezeichnet werden, wohingegen tom Roden als »ecclesia« erscheint.“

Die päpstliche Immunitätsbestätigung spricht demnach nur von einer Ekklesia, einer geistlichen Gemeinschaft, als Besitz der Corveyer Abtei und dem eher seltenen Patrozinium der Maria Magdalena, das nach BRÜNING [6] „auf ein Sühnemotiv hinzuweisen scheint“.

Nach ISENBERG [4] weist der Fund eines hervorragend gearbeiteten Palmettenkapitells aus dem Kreuzgangbereich auf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts („vielleicht in die Zeit um 1170“) hin, der die Datierung der Bauzeit der Klosterkirche in das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts unterstütze.

 

13. Jahrhundert

1244

Nach den benediktinsichen Regeln waren die Vorsteher des Klosters "tom Roden", die Pröpste, Mitglieder des Corveyer Klosterkonvents und unterstanden damit dem Gebot des Corveyer Abtes.[16]

Die urkundliche Ersterwähnung eines Mönchs des Corveyer Konvents als Propst Dethmar tom Roden (prepositus de Novali) erfolgt im Jahr 1244, wodurch die rechtliche Stellung des Benediktinerklosters als Corveyer Propstei verdeutlicht wird.[6]

Wie BRÜNING [6] weiter ausführt, lasse sich aus anderen Urkunden nachweisen, dass „bei Güterveräußerungen oder -tausch der Propstei tom Roden der Abt von Corvey entweder selbst als Vertragspartner auftritt, oder dass zumindest in seinem Namen mit seiner Zustimmung geurkundet wird.“

Hiermit werde deutlich, dass „die Propstei tom Roden von Corvey abhängig und dass der Probst gleichzeitig Corveyer Mönch war“.

Die Ordensgeistlichen des Benediktinerklosters „stammten überwiegend aus den Reihen des ostwestfälischen, aber auch des südniedersächsischen und nordhessischen Ministerial- und Ritteradels“.[16]

1284

Spätestens seit dem Jahr 1284 ist die Prozession der Kanoniker vom Stift Niggenkergen [1] nach „tom Roden“ an den Tagen der Kreuzauffindung (03. Mai) und dem Fest der Maria Magdalena (02. Juli) belegt.

Die Maria-Magdalena-Kirche diente zum Namenstag der Patronin (22. Juli) und zum Fest der Kreuzauffindung (3. Mai) als Anlaufpunkt großer Prozessionen der Corveyer und Höxteraner Geistlichkeit“, wovon nach KOCH [19] eine urkundliche Vereinbarung zwischen dem Kloster Corvey und dem Stift Niggenkerken aus dem Jahr 1284 berichtet.

BRÜNING [6] verweist auf eine Urkunde vom 13. Mai 1284, „die statutenartige Bestimmungen für die Stiftsherren von Nienkerken enthält“ mit wichtigen Hinweisen für die Propstei:

„Neben mehreren Prozessionen, die die Kanoniker der von Corvey gegründeten und in gewisser Weise noch abhängigen Stiftskirche St. Paul zu ihrem Ursprungskloster abhalten mussten, werden auch zwei Prozessionen zur Propstei tom Roden genannt, und zwar zum Patronatsfest am 22. Juli sowie zum Fest Kreuzerfindung am 3. Mai.

Die letztere Prozession erlaubt die Vermutung, dass der im Langhaus der Kirche ausgegrabene Altar dem Hl. Kreuz geweiht war, ähnlich wie in Corvey selbst (seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar).

Diese Kreuzaltäre waren im Allgemeinen für den Gottesdienst der Laien bestimmt.“

 

13.-14. Jahrhundert

Blütezeit im 13. Jahrhundert

Urkundliche Überlieferungen und archäologisches Fundmaterial weisen aus, dass die Blütezeit der Probstei im 13. Jahrhundert und frühen 14. Jahrhundert gelegen hat.

Der Nachweis von Buchdruckstempeln in Form frühgotischer Prägestempel für Bucheinbände macht eine im Kloster im 13. Jahrhundert betriebene Buchbinderwerkstatt wahrscheinlich.[18]

Der Fund eines Glasringes ist hervorzuheben, da er auf Paternoster- oder Gebetsschnüre hinweisen könnte, welche als Zählhilfen beim Gebet verwendet wurden.[16]

1327

Bei Übergriffen von Herzog Otto von Braunschweig (um 1266-1330) und seinen Helfern auf Corveyer Territorium im Verlauf einer Fehde zwischen dem Kloster Corvey und der Stadt Höxter wird die Propstei 1327 überfallen und zerstört; die Klosterkirche St.-Maria-Magdalena wird niedergebrannt.

Nach dieser Zerstörung, deren Ausmaß nicht bekannt ist, wird die Klosterkirche wieder aufgebaut.

Nach Einschätzung von STEPHAN [9] sind Funde aus der jener Zeit „lediglich in vergleichsweise bescheidenem Umfang vorhanden“, im Gegensatz „zu dem reichen Bestand aus dem Zeitraum zwischen etwa 1150-1250/70, allenfalls bis 1300“.

Möglicherweise vor dem Hintergrund, dass das Kloster vor der Mitte des 14. Jahrhunderts seine Bedeutung weitgehend verliert und Nutzungsbereiche aufgegeben werden, besiegelt Heinrich IV. von Spiegel zum Desenberg [10] als Probst von „tom Roden“ zur Mitte des 14. Jahrhunderts „die corveyische Landwehrkonzession für die Stadt Höxter mutmaßlich aus dem Grund, weil Grundbesitz seines Klosters oder das Klosterareal betroffen war“.[18]

Ein längsovales Wachssiegel des Propstes Heinrich IV. von Spiegel aus der Zeit um 1356 ist erhalten.[17]

Im August 1359 wird Heinrich IV. von Spiegel Abt von Corvey.

Am 17. März 1361 zum neuen Bischof von Paderborn ernannt, bleibt er noch bis 1364 Administrator der Corveyer Abtei und hierdurch mit der Propstei „tom Roden“ verbunden.

 

15./16. Jahrhundert

Zeit des allmählichen Verfalls

Wie urkundlich 1420 und 1501 erwähnt, verfügte der Propst von „tom Roden“ über ein eigenes Haus auf der Freiheit des Corveyer Klosters, welches „jedoch schon von dem 1373-1410 als Propst belegten Wilhelm von Verne bewohnt wurde“.[19]

1421

Eine Altarpfründe wird 1421 durch Probst Conrad von Marteshusen (1420/1446) zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria Solitaria, des Heiligen Kreuzes, des Erzengels Michael und aller Engel gestiftet.

Wie KOCH [19] dazu ausführt, habe der zugehörige Altar angeblich seinen Platz im Abschluss des Chores hinter dem Hauptaltar gefunden.

Nach BRÜNING [6] befand sich der Altar "uppe den kor boven dem rechten hoveth Altare", demnach auf dem Chor hinter dem Hauptaltar.

1431

Im Jahr 1431 wird die Ernennung des Propstes durch den Abt von Corvey erwähnt und der Probst auch zum Gottesdienst in Corvey herangezogen.[8]

Die Urkunde vom 05. Januar 1431 legte einen bedeutenden Grundstein zum Niedergang der Propstei „tom Roden“ nieder, denn nach dem Beschluss von Prior Wedekind von Ostheim und dem Corveyer Kapitel waren zwei ganze Pfründe aus der Propstei „tom Roden“ in den Chor der Corveyer Klosterkirche zu verlegen.[19]

Wie BRÜNING [6] hierzu ausführt, habe damals der Konvent der Corveyer Abtei mit Zustimmung des Corveyer Abtes und des Propstes von „tom Roden“, Conrad von Marteshusen, beschlossen, „zur Verbesserung des Gottesdienstes zwei Präbenden von der Probstei nach Corvey zu verlegen.“

Des Weiteren erläutert BRÜNING [6], dass „die nicht ganz leicht zu interpretierende Urkunde“ eine „große Behinderung und Schwächung des Chordienstes in der kleinen Propstei zum Inhalt“ hatte, da zwei Mönche von „tom Roden“ nach Corvey übersiedeln mussten, also zwei Stellen von der Propstei abgezogen und nach Corvey verlegt wurden.

1456

Um 1455/1456 wird der Bestand des Probsteikonvents durch einen undatierten Brief des Corveyer Abtes Hermann III. von Bömelburg (Amtszeit 1480-1504) [2] indirekt nachgewiesen.

In den Jahren 1456 und 1462 kam es zu Überfällen auf das Kloster Corvey und die Propstei “tom Roden“ durch den Abt von Helmarshausen und vormaligen Propst Hermann von Stockhausen [20], der 1456 mit zwei Brüdern, Onkeln und 29 Bewaffneten Kreuze und Heiligenbilder von den Altären raubte, den Ernteertrag mit sich fortführte fort und den Rest verbrannte.[19]

Für den Zeitraum 1480-1485 ist der Corveyer Mönch Gottschalk von Brobeck als Probst von „tom Roden“ belegt.[13]

In der „Bursfelder Kongregation“ schließen sich Benediktinerklöster zusammen und es entsteht die bedeutendste klösterliche Reformbewegungen im Mittelalter.

Die Propstei "tom Roden" weigert sich, die geistlichen Reformen der „Bursfelder Kongregation“ zu übernehmen, womit der weitere Abstieg der Propstei beginnt.

1505

In Folge des am 20. April 1505 erfolgten endgültige Anschlusses der im Verfall begriffenen Corveyer Abtei an die Bursfelder Kongregation, der bereits im Jahr 1501 beschlossen worden war, wird die Auflösung des Konvents von „tom Roden“ bestimmt.

Propst Johannes von der Lippe, der 1505 den Anschluss seines Klosters an die Bursfelder Kongregation verweigert hatte, schied aus dem Corveyer Konvent aus.[7]

 

1538

Aufhebung des Propstamtes und die Inkorporation an Kloster Corvey

Nach den Tod des abgesetzten Propstes erging am 31. August 1538 schließlich von Abt Franz von Ketteler (Abt: 1504-1547) „die Verfügung, alle Einkünfte der Propstei von nun an an den Abt von Corvey abzuliefern“.[6]

Mit dem Einzug des Grundbesitzes, der Inkorporation der Probsteigüter an das Kloster Corvey, und Aufhebung des Propstamtes [8], war die Propstei nach etwa 300-jährigem Bestehen endgültig aufgehoben.

Der Niedergang des aufgegebenen Klosters setzt ein, was sich auch im archäologischen Befund widerspiegelt.

Die Klosteranlage verfällt, wird geplündert und als Steinbruch genutzt.

So wurde das Steinmaterial der Klosterruine sowohl für Bauvorhaben in Höxter als auch für den barocken Neubau der Corveyer Klostergebäude abtransportiert.

Schließlich waren im 19. Jahrhundert alle Spuren der ehemaligen Benediktinerpropstei völlig verschwunden.

Nicht einmal die exakte Lokalisierung der Corveyer Niederlassung war noch bekannt.

 

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[1] Nienkerken, eine 863 vom Kloster Corvey aus in der Nähe erbaute Kirche.

[2] KURTE 2027, S. 178-180.

[3] aus der im Westturm der Klosterkirche platzierten bronzenen Zeittafel.

[4] ISENBERG 1980 / Gabriele Isenberg: Die Ausgrabung des mittelalterlichen Klosters tom Roden. I & II │ https://www.hvv-hoexter.de/wp-content/uploads/2010/07/Die-Ausgrabungen-des-mittelalterlichen-Klosters-tom-Roden-I-u.-II.pdf.

[6] BRÜNING 1981 / Hans-Joachim Brüning: tom Roden - ein mittelalterliches Kloster. │ https://www.hvv-hoexter.de/wp-content/uploads/2010/07/tom-Roden-ein-mittelalterliches-Kloster-.pdf.

[7] KURTE 2027, S. 185.

[8] LEESCH 1967, S. 74.

[9] STEPHAN 2015c, S. 49.

[10] KURTE 2017, S. 147-150.

[11] KOCH 2015c, S. 165 Abb. 1.

[12] KOCH 2015c, S. 168, 181, 188.

[13] KOCH 2015c, S. 200.

[14] KOCH 2015c, S. 245-249.

[15] KOCH 2015c, S. 245, 247 Abb. 2.

[16] KOCH 2015c, S. 246.

[17] KOCH 2015c, S. 247 Abb. 2,3.

[18] KOCH 2015c, S. 246-247 Abb. 7,2.

[19] KOCH 2015c, S. 248.

[20] KURTE 2017, S. 176-177.

[22] ISENBERG 1981, S. 1.

[23] ISENBERG 1981, S. 39.