Benediktinerpropstei "tom Roden"

Klaus A.E. Weber

 

Propstei des 12. Jahrhunderts in der Klosterlandschaft der Reichsabtei Corvey

 

Blick von dem ehemaligen Kloster "tom Roden"

auf das nahe gelegene Kloster Corvey

April 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Nur rund 800 m nordwestlich von der Abtei Corvey gelegenen, bestand die um 1150 erbaute Benediktinerpropstei „tom Roden“ - mit zugehöriger Siedlung - bis zur Auflösung im Jahr 1538.

Bei dürftiger Quellenlage bleibt es ungewiss, welche Umstände und Motive zur Gründung der Benediktinerpropstei in unmittelbarer Nähe zum Mutterkloster Corvey führten.

Zumindest vermittelen die Wahl des Standortes sowie der Grundriss der vergleichsweise kleinen Klosteranlage, dass die „vita communis“ auf Selbstversorgung ausgerichtet war.

Das neu angelegte Benediktinerkloster "tom Roden" (ad Novale) verdankt mittelalterlichen Rodungen seinen Namen, wobei anzumerken ist, dass nordwestlich des Klosteranlage eine Siedlung bestand, für die der Name "Roden" überliefert ist.

Wie ISENBERG [4] hierzu ausführt, habe „Hans-Georg Stephan hat westlich des Klosters Reste einer Siedlung von ca. 5 bis 10 Höfen gefunden, die nach dem Scherbenmaterial etwa von der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1300 bestanden hat“.

Die Ergebnisse archäologischer Untersuchungen legen nahe, „dass die ursprünglich großzügige Anlage der Propstei immer mehr auf Ausmaße reduziert wurde, die als Folge sich offenbar ständig weiter einschränkender Nutzungsmöglichkeiten gesehen werden müssen“.[4]

Nach BRÜNING [6] besaß die Propstei recht einträgliche Güter an verschiedenen Orten, „deren Einkünfte wohl für den Unterhalt mehrerer Mönche ausreichend waren“.

Dennoch vermochte es das kleine Kloster zu keiner Zeit, sich aus der Abhängigkeit der Corveyer Abtei zu befreien.

 

Ausgrabung

Durch Landarbeiten und systematische archäologische Geländebegehungen wieder entdeckt, wird den Spuren von Kirche, Klostergebäuden und Friedhof der ehemaligen Benediktinerpropstei in den 1970er Jahren in umfangreichen archäologischen Untersuchungen unter der Leitung von Gabriele Isenberg, damals Mitarbeiterin des Landeskonservators von Westfalen-Lippe, nachgegangen.[5]

Der ersten Grabungskampagne im Sommer 1976 folgten weitere Grabungen in den Sommermonaten der Jahre 1977, 1978, 1979 und 1980.

Mit einer Luftbildaufnahme des Klostergeländes wurde die Ausgrabung am 31. Oktober 1980 abgeschlossen.

Bei den Ausgrabungen konnte der Grundriss einer fast vollständigen mittelalterlichen Klosteranlage freigelegt werden, der im Fundamentbereich weitgehend erhalten war.

Nach ISENBERG [4] vermittelte der Grundrissbefund „so zahlreiche Hinweise auf die Baugestalt der Propstei, dass eine Rekonstruktion der Anlage in groben Zügen zu verantworten ist“.

Die vorgefundenen Fundamente wurden gesichert und aufgemauert.

So gewähren die rekonstruierten Fundamentreste Einblicke in das ehemalige Raumgefüge der mittelalterlichen Klosteranlage „tom Roden“ – heute ein frei zugängliches Bodendenkmal.

 

Die Geschichte der Propstei vollzieht sich in verschiedenen Abschnitten

 

1184 - Ersterwähnung

Das Kloster „tom Roden" wurde nach erste urkundlicher Erwähnung und Grabungsbefunden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf einem nach Osten hin abfallenden Gelände errichtet.

Der ungewöhnliche Name verweist, übersetzt als „zur Rodung“, auf die hochmittelalterliche Landgewinnung in der Nähe der Stadt Höxter („in der Lüre“).

Nach BRÜNING [6] wird am 29. Oktober 1184 „die Kirche der HI. Maria Magdalena tom Roden (ecclesia S. Mariae Magdalenae ad Novale) in einer Urkunde des Papstes Lucius III. zum ersten Mal schriftlich erwähnt.

Der Papst bestätigt dem Kloster Corvey u. a. den Besitz der von ihm abhängigen Prop-steien Marsberg und Gröningen, die in der Urkunde als »monasterium« bezeichnet werden, wohingegen tom Roden als »ecclesia« erscheint.“

Die päpstliche Immunitätsbestätigung spricht demnach nur von einer Ekklesia, einer geistlichen Gemeinschaft, als Besitz der Corveyer Abtei und dem eher seltenen Patrozinium der Maria Magdalena, das nach BRÜNING [6] „auf ein Sühnemotiv hinzuweisen scheint“.

Nach ISENBERG [4] weist der Fund eines hervorragend gearbeiteten Palmettenkapitells aus dem Kreuzgangbereich auf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts („vielleicht in die Zeit um 1170“) hin, der die Datierung der Bauzeit der Klosterkirche in das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts unterstütze.

Die urkundliche Ersterwähnung eines Mönchs des Corveyer Konvents als Propst Dethmar tom Roden (prepositus de Novali) erfolgt im Jahr 1244, wodurch die rechtliche Stellung des Benediktinerklosters als Corveyer Propstei verdeutlicht wird.[6]

Wie BRÜNING [6] weiter ausführt, lasse sich aus anderen Urkunden nachweisen, dass „bei Güterveräußerungen oder -tausch der Propstei tom Roden der Abt von Corvey entweder selbst als Vertragspartner auftritt, oder dass zumindest in seinem Namen mit seiner Zustimmung geurkundet wird.“

Hiermit werde deutlich, dass „die Propstei tom Roden von Corvey abhängig und dass der Probst gleichzeitig Corveyer Mönch war“.

Auch verweist BRÜNING [6] auf eine Urkunde vom 13. Mai 1284, „die statutenartige Bestimmungen für die Stiftsherren von Nienkerken enthält“ mit wichtigen Hinweisen für die Propstei:

„Neben mehreren Prozessionen, die die Kanoniker der von Corvey gegründeten und in gewisser Weise noch abhängigen Stiftskirche St. Paul zu ihrem Ursprungskloster abhalten mussten, werden auch zwei Prozessionen zur Propstei tom Roden genannt, und zwar zum Patronatsfest am 22. Juli sowie zum Fest Kreuzerfindung am 3. Mai.

Die letztere Prozession erlaubt die Vermutung, dass der im Langhaus der Kirche ausgegrabene Altar dem Hl. Kreuz geweiht war, ähnlich wie in Corvey selbst (seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar).

Diese Kreuzaltäre waren im Allgemeinen für den Gottesdienst der Laien bestimmt.“

 

Blütezeit im 13. Jahrhundert und frühen 14. Jahrhundert

Urkundliche Überlieferungen und archäologisches Fundmaterial weisen aus, dass die Blütezeit der Probstei im 13. Jahrhundert und frühen 14. Jahrhundert gelegen hat.

Spätestens seit dem Jahr 1284 ist die Prozession der Kanoniker vom Stift Niggenkergen [1] nach „tom Roden“ an den Tagen der Kreuzauffindung (03. Mai) und dem Fest der Maria Magdalena (02. Juli) belegt.

Bei Übergriffen von Herzog Otto von Braunschweig (um 1266-1330) und seinen Helfern auf Corveyer Territorium wird die Klostrerkirche 1324 gebrandschatzt.

Nach dieser Zerstörung, deren Ausmaß nicht bekannt ist, wird die Klosterkirche wieder aufgebaut.

 

Allmählicher Verfall seit dem 15./16. Jahrhundert

Ein neuer Altar in der Kirche wird 1421 durch Probst Conrad von Marteshusen (1420/1446) zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria Solitaria, des Heiligen Kreuzes, des Erzengels Michael und aller Engel gestiftet.

Nach BRÜNING [6] befand sich der Altar "uppe den kor boven dem rechten hoveth Altare", demnach auf dem Chor hinter dem Hauptaltar.

Die Urkunde vom 05. Januar 1431 legte einen bedeutenden Grundstein zum Niedergang der Propstei „tom Roden“ nieder.

Wie BRÜNING [6] hierzu ausführt, habe damals der Konvent der Corveyer Abtei mit Zustimmung des Corveyer Abtes und des Propstes von „tom Roden“, Conrad von Marteshusen, beschlossen, „zur Verbesserung des Gottesdienstes zwei Präbenden von der Probstei nach Corvey zu verlegen.“

Des Weiteren erläutert BRÜNING [6], dass „die nicht ganz leicht zu interpretierende Urkunde“ eine „große Behinderung und Schwächung des Chordienstes in der kleinen Propstei zum Inhalt“ hatte, da zwei Mönche von „tom Roden“ nach Corvey übersiedeln mussten, also zwei Stellen von der Propstei abgezogen und nach Corvey verlegt wurden.

1455/1456, wird der Bestand des Probsteikonvents durch einen undatierten Brief des Corveyer Abtes Hermann III. von Bömelburg (Amtszeit 1480-1504) [2] indirekt nachgewiesen.

In der „Bursfelder Kongregation“ schließen sich Benediktinerklöster zusammen und es entsteht die bedeutendste klösterliche Reformbewegungen im Mittelalter.

Die Corveyer Propstei weigert sich, die geistlichen Reformen der „Bursfelder Kongregation“ zu übernehmen, womit der weitere Abstieg der Propstei beginnt.

In Folge des am 20. April 1505 erfolgten endgültige Anschlusses der im Verfall begriffenen Corveyer Abtei an die Bursfelder Kongregation, der bereits im Jahr 1501 beschlossen worden war, wird die Auflösung des Konvents von „tom Roden“ bestimmt.

Propst Johannes von der Lippe, der 1505 den Anschluss seines Klosters an die Bursfelder Kongregation verweigert hatte, schied aus dem Corveyer Konvent aus.[7]

 

1538 - Aufhebung der Propstei

Nach den Tod des abgesetzten Propstes erging am 31. August 1538 schließlich von Abt Franz von Ketteler (Abt: 1504-1547) „die Verfügung, alle Einkünfte der Propstei von nun an an den Abt von Corvey abzuliefern“.[6]

Mit dem Einzug des Grundbesitzes war die Propstei 1538 nach etwa 300-jährigem Bestehen endgültig aufgehoben.

Der Niedergang des aufgegebenen Klosters setzt ein, was sich auch im archäologischen Befund widerspiegelt.

Die Klosteranlage verfällt, wird geplündert und als Steinbruch genutzt.

So wurde das Steinmaterial der Klosterruine sowohl für Bauvorhaben in Höxter als auch für den barocken Neubau der Corveyer Klostergebäude abtransportiert.

Schließlich waren im 19. Jahrhundert alle Spuren der ehemaligen Benediktinerpropstei völlig verschwunden.

Nicht einmal die exakte Lokalisierung der Corveyer Niederlassung war noch bekannt.

 

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[1] Nienkerken, eine 863 vom Kloster Corvey aus in der Nähe erbaute Kirche.

[2] KURTE 2027, S. 178-180.

[3] aus der im Westturm der Klosterkirche platzierten bronzenen Zeittafel.

[4] ISENBERG 1980 / Gabriele Isenberg: Die Ausgrabung des mittelalterlichen Klosters tom Roden. I & II │ https://www.hvv-hoexter.de/wp-content/uploads/2010/07/Die-Ausgrabungen-des-mittelalterlichen-Klosters-tom-Roden-I-u.-II.pdf.

[5] ausführlicher Vorbericht über die Grabung in: Klöster um Höxter, Höxtersches Jahrbuch, Bd. VI, 1981, S. 1-41.

[6] BRÜNING 1981 / Hans-Joachim Brüning: tom Roden - ein mittelalterliches Kloster. │ https://www.hvv-hoexter.de/wp-content/uploads/2010/07/tom-Roden-ein-mittelalterliches-Kloster-.pdf.

[7] KURTE 2027, S. 185.