Lokale Kulturspuren des Braunschweiger Herzogs Carl I.

Klaus A.E. Weber

 

Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1713-1780) gilt als typischer Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, aufgewachsen in der Tradition barocker Hofhaltung und Staatsführung.

An der Schwelle einer neuen Zeit waren während seiner Regierungszeit  von 1735 bis 1780 unter dem Aspekt einer aktiven Wirtschaftsförderung im strukturschwachen und notleidenden Weserdistrikt eng miteinander verbunden:

  • Neu geordnete Agrar- und Waldwirtschaft in den Weserforsten

  • Handwerkliche Herstellungstechniken (Glas und Porzellan)

  • Intensive, wirtschaftlich rentable Nutzung einheimischer Rohstoffe (Eisenerz, Holz, Kalk, Salz, Sand, Sandstein, Ton)

  • Planmäßige Anlage eines gewerblichen Dorfes durch staatlich geförderte Arbeitsmigration

Hierbei zeichnete sich Herzog Carl I. durch seine vielfältigen Bemühungen aus, sein kleines agrarisch strukturiertes Land kulturell und wirtschaftlich voranzubringen, vor allem den Weserdistrikt, den heutigen Landkreis Holzminden.

Dabei war Herzog Carl I. geleitet von dem Bestreben, einerseits Kultur und Wirtschaft zu fördern, andererseits die Verwaltung und Bildung zu verbessern.

 

Aus Harzer Silber geprägte Umlaufmünze von 1764

CAROLUS D. G. DVX BR. ET LVN.

Profilansicht von Herzog Carl I. zu Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Herzog Carl I. gehörte zu jenen Landesvätern des 18. Jahrhunderts, die sich besonders dadurch auszeichneten, ihren Untertanen Nahrung zu schaffen, sie gesund und reich zu halten.

Hierfür hatte er als guter Fürst und Reformer mit kluger Politik die Voraussetzungen zu schaffen.

Unter Herzog Carl I. wurde auf Initiative seines Oberjägermeisters Johann Georg v. Langen (1699-1776) im Rahmen des Fürstlichen Landesausbaus im Weserdistrikt [1] die Colonie im Hellenthale zur Beförderung des commerce in einer staatlichen Forstfläche des Sollings abgesondert von allen Straßen angelegt, archivalisch fassbar ab 1753.[2][3]

Dies geschah, als man im 18. Jahrhundert in den Braunschweiger Staatsforsten verstärkt Holzhauer und Landhandwerker benötigte.

Zuvor hatte Herzog Carl I. verwertbare Anlageteile der um 1715/1717 im Hellental gegründeten und bis um 1745 ortsfest betriebenen Glashütte Steinbeke [4] erworben und an den Schorbornsteich im Solling zur Errichtung der Fürstlichen Glasmanufaktur Schorborn [5] verlegen lassen.

In jener Zeit des ökonomischen Wandels trat Herzog Carl I. erstmals als Wirtschaftsförderer und Unternehmer auf.

Fiskalisch bedeutende Wirtschaftszweige, wie die der Glasherstellung, wurden im Sinne des aufkommenden Merkantilismus in die landesherrliche Eigenregie übernommen.

Durch wirtschafts- und strukturfördernde Maßnahmen des Fürstlichen Landesausbaus konnte der während der 1750er Jahre infolge des Techniktransfers allmählich zerfallende Werkweiler der Glashütte Steinbeke mittels gezielter Ansiedelung von neuen Anbauern und Handwerkern systematisch zum gewerblichen Dorf Hellental ausgebaut werden.[7]

Es herrschte in der wachsenden Dorfbevölkerung eine große materielle Not und bitterste Armut.

Fast alle Familien waren als „kleine Leute“ und Kleinstellenbesitzer in jenen Jahrzehnten vom Lohneinkommen abhängig, das vornehmlich auf vorindustrieller, kleingewerblicher Heimarbeit (u. a. Textilgewerbe) und Waldarbeit beruhte und dabei den wirtschaftlichen Schwankungen mit erheblichen Erwerbseinbrüchen unterlag.

Im Gegensatz zu anderen Regionen, in denen zu jedem historischen Bauernhof als Nebengebäude auch ein Backhaus gehörte, wurde im Weser-Distrikt ab 1744 durch Herzog Carl I. zum einen die Abschaffung von Einzelbacköfen verordnet, zum anderen die Errichtung zentraler Dorfbackhäuser.[8]

Nach landesherrlichen Betrachtungen fielen die Bau- und Betriebskosten eines gemeinschaftlich genutzten Dorfbackofens deutlich geringer aus als die für die vielen einzelnen privat betriebenen Backöfen.

Eingedenk der Verordnung vom 04. Juli 1744 [9] und den folgenden Verordnungen sowie der planmäßigen Entwicklung der Zuwanderungssiedlung Hellental ist davon auszugehen, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in dessen Ortskern ein dem allein stehenden Feldbackofen ähnlicher Vorgängerbau [10] bestand, auf dessen Basis 1828 das neue Gemeinde-Backhaus auf der Liegenschaft № 53 errichtet wurde, wegen der Brandgefahr abseits der Wohnbebauung.

Der einfache Zweckbau mit eingebautem Backofen zählte im kommunalen Güterverzeichnis - neben dem Schul-, Armen- und Spritzenhaus - noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu dem wenigen Eigentum der bis 1976 selbständigen Gemeinde Hellental, eine der ärmsten Kommunen im braunschweigischen Weserdistrikt.

 

Ab 1744 verpflichtend: Bey jeglicher Gemeinde ein Back-Haus mitten im Dorfe"

Die energiewirtschaftliche Bilanzierung der Fürstlichen Kammer in Braunschweig galt im 18. Jahrhundert allgemein der Schonung landesherrlicher Waldungen und namentlich dem Holz, dem damals - neben dem Wasser - wichtigsten Energielieferanten.

Um primär in großem Umfang Bau- und Brennholz ansehnlich einzusparen und dem bisherigen Holz-Verderb entgegen zu wirken wie auch zur Steigerung der Energieeffizienz wurde von Herzog Carl I. mit seiner Verordnung vom 04. Juli 1744 [11] vorgegeben, im Weserdistrikt flächendeckend Gemeinde-Back-Häuser und Backöfen [12] mit vorbeschriebenen Maasse zu errichten.

Allerdings verliefen über eine längere Zeitspanne hinweg das private häusliche Backen und die rationellere, wirtschaftlichere Backhausbenutzung parallel, denn die von Zeit zu Zeit ergangenen Verordnungen legen nahe, dass sich in den Dörfern des Weserdistrikts die Abschaffung der Privatbacköfen nur allmählich durchsetzte, wie es die Verordnung vom 21. Dezember 1772 erkennen lässt:

 

Verordnung vom 21. Dezember 1772 [13]

 

Eine Zielsetzung der herzoglichen Intervention zur Errichtung zentraler Backhäuser war zudem, der Feuergefahr entgegenzuwirken und den dörflichen Brandschutz zu fördern, da die besonders feuergefährdeten Fachwerkhäuser mit Stroh gedeckt waren.

Wegen der Brandgefahr waren Bauern bereits seit dem 17. Jahrhundert dazu angehalten, den Backofen nach draußen, abseits der Hofgebäude, zu platzieren.

Mit dem im frühen 19. Jahrhundert in Hellental errichteten neuen Gemeinde-Backhaus wird materiell fassbar, wie unter Herzog Carl I. im Weserdistrikt das Errichten zentraler Dorfbackhäuser ab 1744 verpflichtend wurde.

Bis zu jener Zeit verfügten bäuerliche Hofhaushalte über ein eigenes Backhaus bzw. über einen eigenen im Gebäude selbst oder außerhalb gelegenen Backofen, was in der Waldnutzungsbilanz einen wesentlich größeren Holzverbrauch bedeutete als durch die Nutzung eines zentralen Gemeindebackhauses.

Wie können jene landesherrlichen Maßnahmen interpretiert werden?

Zum Wiederaufbau und zur Sicherung ihrer politischen Macht benötigten die Landesherren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Finanzmittel, die sie mit Hilfe aktiver Wirtschaftspolitik zu bekommen versuchten.

Aufgeschlossen für die Ideen der Aufklärung und des Merkantilismus, nach dem sich der Staat als Unternehmer begreift, versuchte Herzog Carl I. durch vielfältige Einzelmaßnahmen, unter anderem mit der Förderung einzelner Gewerbezweige, insbesondere aber mit dem Betreiben fürstlicher Manufakturen möglichst hohe Einnahmen für seinen Staatshaushalt zu generieren.

So sollten die landesherrlichen Holzvorräte – hier in den waldreichen Forsten des braunschweigischen Sollings – in möglichst großem Umfang den neu geschaffenen Manufakturen zur Eisenverhüttung, Porzellan- und Glasherstellung zur Verfügung stehen.

Zur Sicherung der Energievorräte für die Manufakturen wurden die Unterthanen durch Verordnungen auch zum Holzsparen verpflichtet, denn die Wälder hatten durch Raubbau, verursacht durch das alte Waldgewerbe der Köhlerei, das Brennen von Pottasche und die intensive Viehhaltung (im Hutewald) in den vorangegangenen Jahrhunderten stark gelitten.

So war auch der Sollingwald im Weserdistrikt devastiert.

 

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[1] KRUEGER 2013; KRUEGER/LINNEMANN 2013, S. 7-15.

[2] NLA WO, 2 Alt 14459.

[3] Das Kirchenbuch „Hellenthal" wurde ab 1753 bis 1814 geführt.

[4] WEBER 2012, S. 15-24.

[5] Fürstlich-Braunschweigisch-Lüneburgische Hohl- und Tafelglashütte von 1744 bis 1842.

[6] aus dem Aktenbestand NLA WO, 2 Alt 14459.

[7] zugezogene Köhler, Holzhauer, Glasmacher und Leineweber.

[8] LINNEMANN 2022, S. 61-68.

[9] NLA WO, 40 Slg 6339 Bl 1.

[10] Bei der Sanierung des ursprünglichen Backofengewölbes konnte der Rest eines Eichenbalkens freigelegt und dokumentiert werden, dem aber keine ofentechnische Funktionalität zugeordnet werden konnte. Das bauliche Relikt könnte als erhaltenes Strukturelement eines Vorgängerbaus interpretiert werden.

[11] NLA WO, 40 Slg 6339 Bl 1.

[12] KRUEGER/LINNEMANN 2013, S. 44-45.

[13] NLA WO, 40 Slg 11472 Bl. 3.