Nachwachsender Rohstoff Baumwolle

Klaus A.E. Weber

 


100% Baumwolle – Kulturgeschichten [1]

Sonderausstellung des Übersee-Museums Bremen │ 01. Oktober 2022 – 11. April 2023

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Komplexes stoffgeschichtliches Themenfeld [1]

Facettenreich prägte die Baumwolle die Menschheitsgeschichte - in Kultur und Wirtschaft:

  • Anbau, Verbreitung, Handel, Verarbeitung

  • Gewalt, Versklavung, Zwangsarbeit, Enteignung, koloniale Ausbeutung
  • Entkörnen - Spinnen - Weben - Färben

Die einzigartige feine und weiche Naturfaser der tropischen und subtropischen Baumwollpflanze (Gattung Gossypium) hat eine jahrtausendealte Geschichte, wobei sie zunächst auf drei Kontinenten zur Fertigung von Tuch und Kleidung diente.

Baumwolle gilt heute als die global wichtigste und meistgehandelte Naturfaser in der Textil- und Modeindustrie – allerdings mit zweifelhaftem wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Ruf.[4]

Die temperaturausgleichende, widerstandsfähige, waschbare und leicht zu färbende Baumwolle wurde einerseits zum Motor der Industrialisierung und zur global bedeutendsten Industrie.[5]

Andererseits schaffte sie mit der kolonialen Ausbeutung im Baumwollanbau, mit Enteigung, Zwangsarbeit und Versklavung von Millionen von Menschen durch Kolonialmächte und Menschenhändler neue Gesellschaftsformen.

 

Getrocknete Zweige der Baumwollpflanze (Gattung Gossypium)

Weiße Baumwollfasern in geöffneten Samenkapseln

Sonderausstellung „100% Baumwolle“ │ Übersee-Museums Bremen

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Textilindustrieller Baumwollboom und handwerkliche Leinenkrise

Etwa bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kulturtechnik des Spinnens und Webens in Heimarbeit als hausindustrielles Textilgewerbe ausgeübt.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert und im frühen 19. Jahrhundert spielte die Baumwolle eine zentrale Rolle in der Herausbildung der industriellen Revolution.“[1]

Die um 1764/1765 von dem britischen Baumwollweber James Hargreaves (1721-1778) entwickelte Baumwollspinnmaschine „Spinning Jenny“ führte gemeinsam mit der wasserradbetriebenen Spinnmasche („Waterframe“, 1769) des Textilindustriellen Richard Arkwrights (1732-1792) zur maschinengeprägten industriellen Revolution in England - mit weitreichenden gesellschaftlichen und globalen Folgen.

Als weitere schlüsseltechnolgische Verbesserung trat um 1793/1794 in den USA die Egreniermaschine hinzu, die Entkörnungsmaschine "Cotton Gin".

Ab 1780 kam die mechanisierte Fabrikproduktion als Errungenschaft des aufstrebenden Kapitalismus auf, die durch ihre enorme maschinelle Produktivitätssteigerung weltweit billige Baumwolltextilien liefern konnte.[5]

Als soziale Folge der aufkommenden Mechanisierung der Baumwollverarbeitung entstand in der Baumwolltextilindustrie eine ausgebeutete Textilarbeiterschicht.

Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts verdrängt die billige, in Textilfabriken maschinell verarbeitete Baumwolle auch die Leinenproduktion der „kleinen Landleute“ auf dem rauen Solling.

Immer mehr Hellentaler Leinenweber waren zur Aufgabe ihres häuslichen textilen Gewerbes gezwungen.

So verschärfte der Aufstieg der Baumwollindustrie und der Niedergang des handwerklichen Leinengewerbes auch die soziale und wirtschaftliche Notsituation der armen Leute in dem Sollingdorf Hellental.

Die „Leinenkrise“ lies zahlreiche Familien der ländlich-dörflichen Unterschicht erwerbslos werden; sie drückte die Stimmung der ohnehin notleidenden Bevölkerung.

 

Verkleinertes Modell der Bauwolle-Spinnmaschine "Spinning Jenny", gebaut etwa ab 1790

Im Hintergrund: Abbildung des Spinning-Room in Shadewell [2]

Sonderausstellung „100% Baumwolle“ │ Übersee-Museums Bremen

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Industrielle Revolution im Deutschen Kaiserreich

Der Motor des industriellen Aufschwungs im Deutschen Reich während des 19. Jahrhunderts ist die Baumwolle – nicht jedoch die Kohleindustrie oder die Eisen- und Stahlindustrie.[7]

Die Textilindustrie wurde zum führenden Industriebereich im Deutschen Kaiserreich.

So produzierte 1897 die deutsche Textilindustrie (in Preußen, Bayern und Sachsen) Waren im Wert von einer halben Milliarde Reichsmark – 36% mehr als die Kohleindustrie, 45% mehr als die Eisen- und Stahlindustrie erwirtschafteten.[3]

 

Baumwollstadt Bremen

1788 erreichten die drei ersten nordamerikanischen Rohbaumwollballen den Bremer Hafen.[7]

Zum Baumwollimport wurden im 19. Jahrhundert bremische Auswandererschiffe in den USA vor ihrer Rückreise nach Bremen u.a. mit Rohbaumwolle beladen.

Dank langjähriger, gut vernetzter Handelsbeziehungen der Bremer Kaufmannschaft mit den USA war Bremen gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit seinem Baumwollhafen der bedeutendste Rohbaumwollumschlagplatz Kontinentaleuropas.[3]

Am 01. Oktober 1872 wurde die Bremer Baumwollbörse gegründet, ein Rohstoffkompetenzzentrum des globalen Baumwollhandels.[6]

 

Bremer Baumwollbörse seit 1872

Sonderausstellung „100% Baumwolle“ │ Übersee-Museums Bremen

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

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[1] GREIM 2022, S. 12.

[2] GREIM 2022, S. 13 Abb. 1.

[3] GREIM 2022, S. 18, 103.

[4] GREIM 2022, S. 20.

[5] GREIM 2022, S. 85-86.

[6] GREIM 2022, S. 94-101.

[7] GREIM 2022, S. 102-103.