Venedig │ Muranesisches Glas

Klaus A.E. Weber

 

Venezianische Gläser der Renaissance - mit Ruf und Bedeutung

 

Venezianische Gläser

Ende 16. Jahrhundert

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast, Düsseldorf

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Technologischer Wandel mit eigenständiger Glasherstellung

Mit dem Ende der hochstehenden mittelalterlichen islamischen Glaskultur im Nahen Osten wurde Europa ein neues Zentrum der Glaskunst und Venedig trat als mediterrane Handelsmacht das Erbe der syrischen Glaskunst an.

Ohnehin hatte Venedig im Mittelmeerraum lange "als Vermittler orientalischer Vorstellungen" gedient und durch den "Levantehandel" in intensivem kulturellen Kontakt mit dem Orient gestanden.[5][6]

Unterlag in Italien und in den Ländern nördlich der Alpen die verfeinerte und hochentwickelte Glasgestaltung des 13. Jahrhunderts unverkennbar noch islamischen Einflüssen, so entwickelte sich einhergehend mit einem technologischen Wandel eine eigenständige Glasherstellung in Europa.

In spätbyzantinischer Zeit war es zum Niedergang Konstantinopels gekommen, der Hauptstadt des Oströmischen Reichs (Eroberung durch die Osmanen 1453).

Während im 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen nach handfesten Formvorstellungen in Verbindung mit derben Trinksitten die Tradition des "Waldglases" mit kräftig gefärbten oder mit Emailmalerei dekorierten Glasgefäße in teils beträchtlicher Größe entstand, entsprachen die farblosen, dünnwandig ausgeblasenen Gläser aus Venedig dem Geschmack kultivierter Adelskreise und des Patriziats großer Städte.[5]

 

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Als „Spitze des Möglichen“ der Glasveredelungstechnik gilt die exklusive venezianische Glasproduktion auf der Inselgruppe Murano in der Lagune von Venedig – angesehen als Wiege und neues Zentrum europäischer Glaskunst im Mittelalter.

Das heutige Murano besteht aus sieben venezianischen Inseln - die „venezianische Glasinsel“ - mit der Produktion von hochwertigem venezianischem Murano-Glas.[3]

 

Die Inselrepublik Venedig [2]

Hochgeschätztes Erbe mittelalterlicher Glaskunst des islamischen Kulturkreises

Der Mongolen- oder Tatarensturm im 13. Jahrhundert mit Eroberung, Plünderung und Verwüstung der Metropolen des Vorderen Orients beendete die blühende islamische Kultur des frühen und hohen Mittelalters.

In der Folgezeit sollte schließlich im westlichen Europa Venedig als führende Handelsmacht im Mittelmeer das Erbe der syrischen Glaskunst antreten.

Intensiver mediterraner Fernhandel mit Ägypten, Phönizien und Syrien ("Levantehandel") brachte die ursprüngliche Technik zur Glasproduktion vom Ostmittelmeerraum nach Venedig, wo seit dem 14. Jahrhundert im Nordosten von Venedig das Glasmacherzentrum Venedig-Murano besteht.

Im frühen 13. Jahrhundert erfuhr das venezianisches Glas ein immenses wirtschaftliches Wachstum, da neben den glastechnischen Erkenntnissen und dem Wissen um die besondere Kunstform zudem auch wichtige Handelsmärkte für Glaswaren übernommen wurden.

 

Murano - Glasherstellung zwischen Wasser und Feuer

֍ Murano - Die Insel der Glasbläser

Die bereits im hohen Mittelalter umfangreiche venezianische Glasherstellung nötigte nunmehr - wegen der zunehmenden Zahl der Glashütten und der hiervon ausgehenden Feuergefahr - schließlich um 1291 den Rat der Inselrepublik (Signoria), alle Glasbläsereien auf die kleine Insel Amurianum (amurianum venezia) zu verlagern - auf Murano.

Hierdurch entstand ein frühes, einzigartiges Monopol, dessen glaskulturelles Erbe über die Frühzeit bis in die Neuzeit hineinreichte, dessen Geheimnisse bis heute nicht vollständig gelüftet sind.

Hervorragende Glasmacher aus Murano wirkten mit ihren geübten Händen schließlich überall in Europa als Lehrmeister, so auch in den böhmischen und schlesischen Bergen.[10]

 

Formgeblasenes,

emailbemaltes Ziergefäß

Gestalt einer Moscheenampel

um 1500

islamischer Stil

singulär gefertigt

Zeichen für die

aufblühende Glaskunst

Venedigs

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast, Düsseldorf

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Glas aus Venedig - „Spitze des Möglichen“

Das Glas aus Venedig-Murano war farblos und dünnwandig ausgeblasen - für kultivierte Adelskreise und das städtische Patrizitat.

 

Deckelpokal

Venedig

um 1500

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast, Düsseldorf

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Berühmt wurde das venezianisch Glas während des späten Mittelalters aufgrund seiner Dünnwandigkeit in Verbindung mit der Klarheit und Reinheit der farblosen Glasmasse("Cristallo", "Cristallino"), die die muranesischen Glasmacher seit dem 15. Jahrhundert zu schmelzen verstanden.[7]

Bei der Herstellung qualitativ hochstehender Gläser nahm in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Venedig-Murano in Europa die führende Position ein - mit zahlreichen Form- und Dekorvarianten.[1]

So wurden beispielsweise kunstvolle Fadengläser hergestellt mit in kristallheller Glasmasse eingelegten farbigen Glasfäden, die zu Spiralen gedreht oder im Randbereich um den Glaskörper gesponnen wurden.

Flügelgläser mit angesetzten, reich verzierten Henkeln und Stilen, wie auch Goldemailgläser aus Murano entwickelten sich zum hochgeschätzen Kulturgut des ausgehenden Mittelalters, wobei von 1500 bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts die unangefochtene Vorherrschaft des venezianischen Glases in Europa aufrecht erhalten werden konnte.[7]

Eine herausragende Bedeutung kam gerade auch den großen venezianischen Spiegeln als Luxusgut zu, gegründet auf ein sorgsam gehütetes Geheimwissen.

Muraneser Glasmacher nahmen antike Glasverfahren auf und entwickelten eigene, komplizierte Glastechniken:

  • Millefioritechnik
  • Fadentechniken - Gläser mit eingelegten opak weißen Fadenstäben im 16. Jahrhundert
  • Retticello- oder Netzglastechnik

 

Netzglas-Tazza

Venedig oder

"à la façon de Venise"

1. Hälfte 17. Jh.

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast, Düsseldorf [8]

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Das venezianische Glasmonopol wurde bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verändert, als nördlich der Alpen erste Weißglashütten gründetet wurden, die es meisterlich verstanden, Gläser in venezianischer Art - "à la façon de Venise" - herzustellen.

 

Gerippte Fußschale

Venedig

Anfang 16. Jh.

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast, Düsseldorf

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Seit dem späten 17. Jahrhundert kam es unübersehbar zu einer anhaltenden Krise der venezianischen Glaskunst.

Zahlreiche leistungsfähige Glashütten "à la façon de Venise" entstanden in den südlichen Niederlanden, in Frankreich, Deutschland und Österreich.[7]

 

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[1] GIESE/BAUMGARTNER 2021, S. 33.

[2] KRÄMER 2021, S. 33-35.

[5] Dauerausstellung Glasmuseum Hentrich im Museum Kunstpalast, Düsseldorf.

[6] RICKE 1995, S. 52.

[7] RICKE 1995, S. 78.

[8] RICKE 1995, S. 84 (132), 85 (134).

[10] SÜSSMUTH (1950), S. 49.