Grundstoffe des Glases

Klaus A.E. Weber

 

Thon und Sand sind geringschätzige Dinge,

aber Gott gibt dem Menschen Vernunft und Verstandt,

daß er diese Dinge, wie gering und schlecht sie auch geachtet und angesehen werden,

zur Nahrung und Leibes Notturfft brauchen und das tägliche Brot daran erwerben kann.

Johannes Letzner (1631-1613) [19]

 

Ars Vitraria Experimentalis

oder Vollkommene Glasmacherkunst

1679

Johannes Kunckel

(~ 1630 - 1703)

Alchimist und Glasmacher

Potsdam Museum

Forum für Kunst und Geschichte

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Glas aus Feuer + „Sand, Asche und Saltz [12]

Folgt man der Beschreibung von AGRICOLA [21] aus dem Jahr 1556, so wird Glas „aus gewissen Salzen und aus grobem und feinen Sand durch die Wirkung des Feuers und nach einem kunstvoll ausgearbeiteten Verfahren hergestellt“.

Hier wurden als „Salze“ [22] verwendet:

1) „in erster Linie Soda

2) „weißes, durchscheinendes Steinsalz

3) „Salz, das aus Lauge dargestellt wird, die man aus der Asche von Anthyllium [4] oder anderen Salzkräutern gewinnt

Wie AGRICOLA [22] weiter ausführt, wurden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts primär folgende Rohstoffen gemischt:

  • 2 Teile von großem oder feinem, aus schmelzbaren Steinen gewonnenem Sand
  • 1 Teil Soda, Steinsalz oder aus Salzkraut hergestelltem Salz

  • kleine Stücke von Magnetstein

oder alternativ folgende Rohstoffe, die aber „ein weniger helles und durchsichtiges Glas“ ergeben:

  • 2 Teile Asche aus Eiche, Steineiche, Zerreiche oder, wenn solche nicht zur Verfügung steht, von Buche oder Fichte
  • 1 Teil grober oder feiner Sand

  • setzt etwas Salz hinzu, das aus Sole oder Meerwasser gewonnen ist

  • kleines Stück Magnetstein

 

Das Gemenge macht's

Der Werkstoff Glas ist das Schmelzprodukt eines Gemenges aus den drei natürlichen Hauptbestandteilen (Grund- oder Primärstoffe)

  • Stabilisator/Härter (Kalk)

die als Glassatz mit Sekundärstoffen nach einer streng geheim gehaltenen Rezeptur des Glashüttenmeisters gut gemischt zusammengefügt in einen Schmelzhafen (feuerfestes Schmelzgefäß) eingelegt werden - ggf. auch mit Glasscherben misslungener Glasprodukte.[15]

Dabei spielte das "Fingerspitzengefühl" - das Erfahrungswissen, die Kenntnisse und die Intuition - des Gemengemachers bei der jeweiligen differenzierten Mischung der Primär- und Sekundärastoffe eine wesentliche Rolle.[3]

Der wichtigste Rohstoff ist möglichst feiner und reiner Sand, woraus Glas zu etwa 70-74 % besteht.

Mit etwa 11 % Kalk kommen noch hinzu Holz- bzw. Pottasche oder Soda mit jeweils rund 11-15 % sowie weitere Materialien (Färbemittel, Läuterungsmittel) in geringem Umfang, aber auch der Sekundärstoff Glaubersalz (Natriumsulfat).

Die Zusammensetzung des Glassatzes variierte bei bestimmten Witterungskonstellationen (u.a. bei Winden).[3]

 

„Erden, Sand, Soda und Kalk“ [20]

Glas als eigenständiger, „neutralartiger“, amorpher Werkstoff - "unterkühlter flüssiger Stoff" - ist prähistorisch seit der Bronzezeit (2500 v. Chr.) (Urnenfelderzeit, ca. 1100 v. Chr.) nachweisbar – als erster künstlicher Werkstoff in der Kulturgeschichte, hergestellt aus der Mischung dreier einfacher Roh-/Primärstoffe: Sand ⎸Asche ⎸Kalk.

Gab es genügend Rohstoffe, so gab es auch Glas.

Dabei bedurften die Rohstoffe erst einer Aufbereitung, denn je feinkörniger gemahlen das Gemenge war, umso besser wurde die Qualität des gefertigten Glases.

Der Bau und Betrieb einer Glashütte war abhängig von Standortfaktoren (lokale Roh- und Brennstoffe, Wasserlauf) und topografischen Rahmenbedingungen (Geländemorphologie).

 

Komplexer chemo-thermischer Prozess

Zunächst wurde Rohglas in den Ofenanlagen erzeugt, das in anderen Hütten weiterverarbeitet wurde.

Der Werkstoff Glas entsteht durch einen komplexen chemo-thermischen Prozess:[12]

  • Rauschmelze Läuterung zum Austreiben von Gasen ▶ Abkühlung (Abstehen)

SÜSSMUTH [6] bemerkt hierzu:

Läuterungsmittel sind notwendig, um den Schmelzprozeß zu beschleunigen; sie haben den Zweck, eine verstärkte Glasbildung bzw. eine Sauerstoffabgabe auszulösen, durch die das Glas zum Wallen gebracht wird,.

Es erfolgt gleichzeitig eine Verbrennung der Kohlenstoffe und anderer Unreinigkeiten und eine Umwandlung der Eisenverbindungen.

Dadurch wird auch eine chemische Entfärbung erreicht.

Eine gute Läuterung ist von großer Wichtigkeit.“

 

Eigenart und Qualität des Glases

Eigenart und Qualität des erzeugten Glases sind im Wesentlichen abhängig

  • vom Reinheitsgrad der zugesetzten Grundstoffe im Glasgemenge
  • vom Prozentsatz der zugesetzten Grundstoffe im Glasgemenge, insbesondere der Flussmittel
  • von der Dauer der Erhitzung des Glasgemenges
  • von der Höhe der Temperatur bei der Glaschmelze

 

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Schmelz- und Formgebungstemperatur

die Viskosität ist an der Glutfarbe erkennbar:

  • ca. 1.400° C   Glasmasse - dünnflüssig [2]
  • ca. 1.000° C   Glasmasse wie Sirup - gießfähig
  • ca. 900° C      Glasmasse wie Honig – lässt sich aufblasen
  • ca. 500° C      Glasmasse wird fest

 

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast, Düsseldorf

Glasmuseum Wertheim

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Zusammensetzung der modernen Glasschmelze

Mischungsangaben nach SÜSSMUTH [5], Hauptbestandteile im Durchschnitt

 

Gewöhnliches Glas

  • 75 % Kieselsäure (SiO2), eingebracht durch Quarzsand

  • 13 % Natriumoxyd, eingebracht durch Soda, also Natriumcarbonat (Na2CO3)

  • 12 % Calciumoxyd, eingebracht durch Kalk, also Calciumcarbonat (CaCO3)

 

Kristallglas (Verwendung zumeist für den Glasschliff)

  • 75 % Kieselsäure (Quarzsand)

  • 14 % Kali (Pottasche)

  • 5 % Natron

  • 6 % Calcium (teilweise ersetzt durch Bariumcarbonat, BaCO3)

 

Bleikristallglas (Glas mit hoher Lichtbrechung, an Stelle von Kalk Bleioxyd)

  • 65 % Quarzsand

  • 4 % Natrium

  • 10 % Kali

  • 21 % Bleioxyd

 

 

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[2] SÜSSMUTH (1950), S. 21.

[3] VOHN-FORTAGNE 2016, S. 169-170.

[4] wahrscheinlich kretisches Harzkraut │ Salzblume │ im südlichen Europa und im Orient am Ufer des Mittelmeeres wachsende kleine Staude.

[5] SÜSSMUTH (1950), S. 74-80.

[6] SÜSSMUTH (1950), S. 75.

[12] in ALTHAUS 2015, S. 17.

[15] JENTSCH 2004, S. 12-16.

[19] zitiert in: ALMELING 2006.

[20] SÜSSMUTH (1950), S. 8

[21] AGRICOLA 1556, S. 500; 1977.

[22] AGRICOLA 1556, S. 501; 1977.