Spinnen und Haspeln

Klaus A.E. Weber

 

֍ Bäuerliche Flachskultur - Spinnen und Haspeln

 

Zunächst wurde Garn gesponnen

Garn war das erste Fertigprodukt aus dem Rohstoff Flachs.

Nach KAUFHOLD [8] waren im niedersächsischen Raum um 1800 die Garnspinnerei und Leinenweberei „der mit Abstand der größte Zweig der Textilerzeugung“ und der wichtigste Gewerbebereich überhaupt.

Das Land, nicht aber die Städte, bildete den Schwerpunkt des Garnspinnens und der Leinenproduktion.

Im Gegensatz zu anderen niedersächsischen Territorien, war im Herzogtum Braunschweig die Garnspinnerei aber der wichtigste Erwerbszweig.

"In allen Teilen [28] beschäftigt sich alles, es sei jung oder alt, arm oder bemittelt, Landmann oder Städter, damit: selbst angesehene Frauenzimmer sieht man oft am Spinnrade".[1]

1787 war im „Holzmindener Wochenblatt“ [9] zu lesen:

"Das vornehmste und zugleich nützlichste Produkt für die Untertanen ist der Flachs.

Davon wird im Wesertal so viel gebaut, gesponnen und verwebt, daß das Bedürfnis an Hemden, Kitteln, Beinkleidern, Schürzen, Bett- und Tischtuch, Säcken und Saatlaken u. dgl. damit bestritten werden kann.

Das größte Gewerbe wird mit dem Legge-Linnen gemacht.

Es hat seinen Namen daher bekommen, weil es beim Einkauf über einen Tisch oder Bank gelegt und gezogen, und auf solcher nach der Länge und Breite gemessen und nach der Güte beschaut wird …

Das Leggelinnen wird aus Hede und Flachsgarn gewebt und tuchweise zu 15 Ellen verkauft."

 

Spinnsaison in den Wintermonaten

Gleichwohl das ganze Jahr über gesponnen wurde, lag die eigentliche Spinnsaison in den Wintermonaten.

Frauen und vor allem junge Mädchen verrichteten an den langen Winterabenden zwischen November und März das Verspinnen des gehechelten und zu Zöpfen zusammengedrehten Flachses, oft gemeinsam in den reihum gehenden dörflichen Spinnstubenabenden.

Ziel des Spinnvorganges war es, die aufbereiteten Fasern mit dem Trittspinnrad so zusammenzudrehen und auf eine Spule zu wickeln, dass ein gleichmäßiger, fortlaufender Faden aus den einzelnen Flachsfasern entstand (Garn).

Auch Kinder wurden von ihrem 12. Lebensjahr an zum Spinnen herangezogen.

Der gesponnene Garnfaden wurde von der Spule oder Spindel auf eine geeichte Haspel aufgewickelt, um das Garn nach einem einheitlichen Maß abzumessen.

Nach einer definierten Anzahl von Umdrehungen wurde der bis dahin aufgehaspelte Faden ein „Gebind“ oder „Bind“.

10 Bind ergaben 1 Lop Garn (1.000 Faden = 2.340 m), eine Garnmenge, die etwa an einem Arbeitsnachmittag hergestellt werden konnte.

Vor dem Verweben wurde das Garn gesäubert und in einem Bottich gekocht (mit Buchenasche – „Büken“) und anschließend gebleicht oder gefärbt.[3]

Mit dem Spinnen wurde um Martini (11. November) begonnen und im Regelfall zur Fastenzeit wieder eingestellt.

Die Garnspinnerei beruhte fast ausschließlich auf selbst angebautem und vorbereitetem Flachs.

Es wurde sowohl gebleichtes als auch ungebleichtes Garn hergestellt und verkauft.

Um 1800 befand sich auch in Altendorf bei Holzminden eine bedeutende „Bleiche“, die einen erheblichen Absatz in die Schweiz tätigte.

Ansonsten sei das Garn zur weiteren Verarbeitung hauptsächlich nach Elberfeld und England gegangen.[4]

Der Wert des Garnexportes wird für die Zeit um 1800, inklusive der Handelsgewinne, auf etwa 1,7 Millionen Taler geschätzt, also knapp neun Taler pro Einwohner.[5]

Für Merxhausen könnte demnach der dörfliche Garnausfuhrgewinn statistisch etwa 3.400 Taler, für Heinade etwa 2.700 Taler, für Hellental etwa 1.100 Taler betragen haben.

Diese hypothetischen Angaben erlauben aber keine Aussage darüber, welches Realeinkommen die jeweiligen Garnspinner im Nebenerwerb in den drei Dörfern tatsächlich erzielt haben.[6]

Die nebenerwerblichen Garnspinner der hier betrachteten Dörfer zwischen nördlichem Solling und Holzberg dürften in das landesweite, auch exportierende Handelssystem einbezogen gewesen sein, welches von den kleinen Garnaufkäufern bis zu den großen Garnhandlungen in Braunschweig und Wolfenbüttel reichte.[7]

 

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[1] zit. in KAUFHOLD 1983, S. 193.

[2] zit. in RAULS 1983, S. 134.

[3] BUSSE 2002, S. 14 ff.

[4] KAUFHOLD 1983, S. 193, 216.

[5] KAUFHOLD 1983, S. 193.

[6] Hierüber liegen bis heute keine nachprüfbaren Informationen vor.

[7] KAUFHOLD 1983, S. 193.

[8] KAUFHOLD 1983, S. 190.

[9] in allen Teilen des Landes Braunschweig.