Frühphase │ Waldglashütten im "hölzernen Zeitalter"

Klaus A.E. Weber

 

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Herrschaft │ Repräsentation │ Frömmigkeit

Die mittelalterliche Epoche wurde geprägt von Burgen, Rittern, Klöstern und aufkommenden Städten, wie auch vom europaweiten Kultur- und Wissenstransfer.

Das "hölzerne Zeitalter" wurde während des Hoch- bis Spätmittelalters maßgeblich von Höfen, Weilern, Dörfern, Märkten, aufkommenden Städten, bemannten Burgen als Wehr- und Wohnbauten wie auch von Klöstern geprägt.

Ausgehend von Frankreich erfolgte etwa von der Mitte des 12. Jahrhunderts an der epochale „Aufbruch in die Gotik“.

Die Gotik erstreckte sich als Epoche europäischer Architektur und Kunst bis um 1500 - einhergehend mit technischen Innovationen.

Städtisches Leben und bürgerliches Selbstbewusstsein nahmen einen bislang nicht gekannten Aufschwung.

Städtewappen wurden zum Zeichen herrschaftlicher Stadtgründungen und Siegel das Hauptbeglaubigungsmittel der mittelalterlichen Urkunden.

Während Stadt- und Klostergründungen zu einem erhöhten Glasbedarf führten, deckten Töpferwaren den Geschirrbedarf ärmerer Haushalte ab.

Im abendländischen Mittelalter beschränkte sich die Glasverarbeitung – neben dem Herstellen von Fensterscheiben für Klöster und Kirchen – zunächst vornehmlich auf einfache gläserne Gebrauchswaren.

Dennoch waren diese Trink-, Schank- und Vorratsgefäße kostbare Gegenstände des gehobenen Bedarfs.

Diese mitunter auch kunstvoll verzierten Gläser waren als Luxusartikel nur vermögenden, fürstlichen Haushalten vorbehalten.

Nach und nach versorgten sich aber auch wohlhabende Patrizier und andere reiche städtische Bürgerhaushalte mit Trink- und Schenkgefäßen aller Art aus Glas für besondere festliche Anlässe.

 

© Historisches Museum Hellental, Foto: Mechthild Ziemer

 

Burgen des 12./13. Jahrhunderts

 

∎ Doppelkonische Spinnwirtel │ Originale

Aus Ton auf einer Drehscheibe stufig abgedrehte doppelkonische Spinnwirtel von dem um 1170 errichteten Großen Everstein, einer ehemalige Höhenburg auf einer Felskuppe des Burgberges bei Bevern

 

Stadtwappen

Abdruck spätmittelalterlicher Rundsiegel

Stadtwappen wurden zum Zeichen herrschaftlicher Stadtgründungen und bürgerlicher Verfassung, wie das seit 1285 benutzte große gotische Siegel der Stadt Höxter, wovon ein Original-Handabguss von 1371 ausgestellt ist.[4]

 


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Großes gotisches Siegel der Stadt Höxter von 1371

Original-Handabguss (⦰ 10,2 cm)

© Historisches Museum Hellental, Foto: Klaus A.E. Weber

 

∎ Großes gotisches Siegel der Stadt Höxter

Original-Handabguss

1371 │ ⦰ 10,2 cm

 

∎ Ältestes erhaltenes Siegel der Stadt Braunschweig

Wachsreplikat 1978

um 1330 │ ⦰ 8,5 cm

 

Kirchen- und Klostergründungen als sichtbare Zeichen der Gottesherrschaft

 

∎ Faksimile von der Bronzesäule des Bischofs Bernward von Hildesheim │ Nachbildung

Christussäule │ um 1020 n. Chr.

 

∎ St.-Petri-Dom zu Schleswig

stark verkleinertes Papiermodell

Der in der Zeit nach 1134 errichtete St. Petri-Dom zu Schleswig gilt als gotische Hallenkirche eines der bedeutendsten Bauwerke der norddeutschen Kirchengeschichte.

 

Von der Kirche dominierte mittelalterliche Weltsicht

 

Ebstorfer Weltkarte │ verkleinerte Nachbildung │ [hmh Inv.-Nr. 2010

um 1300 │ Rundkarte mit der Stadt Braunschweig

Die ehemalige Originalkarte umfasste 30 zusammengenähte Pergamentblätter im Gesamtumfang von 3,58 x 3,56 m.

Die ausgestellte Ebstorfer Weltkarte ist eine stark rekonstruierte Kopie der größten und inhaltsreichsten ‘mappa mundi‘ (Weltkarte) aus dem Mittelalter.

 

Gläserne Zeugnisse des Mittelalters

Saisonal gefertigt aus gereinigtem Sand und Holzasche

Spätestens ab 1200 n. Chr. stellten nördlich der Alpen wandernde Waldglashütten in Mittelgebirgen einfaches, überwiegend grünes Waldglas her.

Das einfache Waldglas war zunächst das Schmelzprodukt eines Rohstoffgemenges aus natürlichen Hauptbestandteilen:

  • silikatreicher Sand („Glasbildner“)

  • Holzasche („Flussmittel“).

Diese wurden auf der Glashütte nach einer geheim gehaltenen Rezeptur zusammengefügt.

Die Grünfärbung der Gläser entstand infolge eisenhaltiger Verunreinigungen (Eisenoxide).

Die traditionelle Glasherstellung stellte einen aufwändigen und komplizierten betrieblichen Arbeitsprozess dar, der von den Glasmachern ein hohes Maß an Fachwissen erforderte und eine Reihe manueller Arbeitsschritte umfasste:

  • Gewinnen der Rohstoffe

  • Vorbereiten des Gemenges

  • Schmelzen und Läutern

  • Verarbeiten der flüssigen Glasmasse mit Blasen und Formgeben

  • Kühlen

  • Veredeln

  • Versenden.

 

Spätmittelalterliche Glashütte, um 1400

Miniatur aus der Reisebeschreibung

des Sir John Mandeville

British Museum, Add.Ms. 24189, fol. 6. [5][6]

 

Mittelalterliche Glashütten wanderten dem Holze nach

Wie systematische Geländebegehungen erbrachten, hinterließen mittelalterliche Glasmacher im Hellentaler Landschaftsraum Spuren ihrer besonderen Tätigkeit.

Geborgene glastechnische Relikte wie auch Keramikfunde belegen, dass bereits im 12./13. Jahrhundert in dem für dieses Spezialgewerbe ressourcenreichen Hellental Glashütten entlang wasserreicher Bachläufe betrieben wurden – in der Zeit der Stadt- und Klostergründungen.

Die Hüttenbetriebe lagen inmitten des Sollingwaldes, abseits mittelalterlicher Bauerndörfer - daher die Bezeichnung „Waldglashütten“.

Da auch im Hellental die Glasöfen Tag und Nacht brannten, ist davon auszugehen, dass sich die Glasmacherfamilien während des saisonalen Produktionszeitraumes dort auch niedergelassen und in einfachen Behausungen gelebt haben.

Unter den lokalisierten mittelalterlichen Glashüttenplätzen lassen sich im Hellentaler Landschaftsraum zwei Betriebsformen erkennen.

Die größeren Fundplätze legen nahe, dass hier Glasmasse sowohl erzeugt als auch direkt bis zum Endprodukt weiterverarbeitet wurde.

  • Dazu waren mehrere Glasöfen erforderlich (Mehr-Ofen-Anlagen).

Die kleineren Fundstellen weisen nur einen Ofenhügel auf.

  • Hier ist davon auszugehen, dass lediglich Glasmasse geschmolzen wurde (Ein-Ofen-Anlagen).

Dabei kann es sich einerseits um „Nebenhütten“ handeln, andererseits um kleinere Glasbetriebe, die die Rohglasmasse zum weiteren Verarbeiten z.B. an Werkstätten in mittelalterlichen Städten lieferten.

War der Holzvorrat in der Umgebung der Glashütte aufgebraucht, zogen die Glasmacher weiter zum nächsten geeigneten Standort im Hellental, wo dieser wichtige Rohstoff in ausreichender Menge vorhanden war.

So musste ein Glashüttenmeister im Laufe seines Berufslebens mehrmals seinen Betrieb verlegen.

Deshalb wird auch von „Wanderglashütten“ gesprochen.

Das in der Dauerausstellung ALTES GLAS gezeigte, aus feuerfestem Ton topfartig gefertigte Glasschmelzgefäß (rekonstruierter Hafen) des späten 12. Jahrhunderts ist ein wichtiges archäologisches Zeugnis hoch- bis spätmittelalterlicher Glasherstellung im nördlichen Solling.

 

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[1] zitiert in: 200 Jahre Grünenplan. 1949, S. 24.

[2] GÖHMANN 1982, S. 50, 109-115.

[3] HEUTGER 1968, S. 12-24.

[4] vergl. KOCH/KÖNIG/STREICH 2015, S. 386 Abb. 6,3: Abdruck des großen gotischen Siegels der Stadt Höxter, 1557 (Dm: 7,6 cm).

[5] Abb. aus LEIBER 1994b, S. 21.

[6] Bei JASCKE 1997 findet sich hingegen auf S. 40 die Angabe: Aus der Reisebeschreibung des J. de Bourgogne. Flämische Miniatur, Anfang 15. Jh. – Aus: Rademacher 1933, Tafel A, Abb.1.