Form- und Gestaltungsvielfalt an kostbarem Glas

Klaus A.E. Weber

 

"Vergoldet, bemalt, schön geschnitten und geschliffen"

 

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Kuppa eines Pokals mit radierter Goldmalerei

Johann Nicolaus Fleischhauer (~1732-1803) [5][18]

Künstlerisches Spitzenwerk um 1790

Ligierte Initialen "CGA" = Carl Georg August (1766-1806),

Erbprinz von Braunschweig-Wolfenbüttel

zur Vermählung mit Friederika Louise Wilhelmina von Nassau-Oranien (1770–1819)

am 14. Oktober 1790 │ Museum Schloss Wolfenbüttel

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Kaum eine andere Glashütte des Oberweserraumes umfasst ein der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts und im beginnenden 19. Jahrhundert eine vergleichbare Form- und Gestaltungsvielfalt mit breiter Herstellungskreativität wie die Schorborner Glasmanufaktur mit ihren nahegelegenen Filialglashütten im Solling - Wein- und Biergläser, Schnapsgläser, Bierkrüge, Flaschen und Gebrauchsgegenstände.[1]

Die merkantilistische Gründung der Schorborner Glasmanufaktur, zunächst unter fürstlicher Administration, führte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem außergewöhnlich breiten Produktionsspektrum an Hohlglas und Flachglas (Fensterglas), böhmischem Tafelglas und schließlich farblosem (weißem) Hohlglas - mit einem Katalog typischer Merkmale bei den Hohlgläsern.[2][3][11][13]

Wie HASSEL/BEGE [14] ausführen, liefert die Schorborner Glasmanufaktur um 1802 "weisses Hohlglas, chemische und physische Instrumente von allen Sorten (unter andern auch die Parkersche Lebensluftmaschine) vergoldet, bemalt, schön geschnitten und geschliffen".

Als detaillierte Übersicht ist eine "Verkaufstabelle von weißem und grünem Hohlglas der Schorborner Hütte 1778" bei OHLMS [6] hinterlegt zu

  • Weingläsern
  • Biergläsern
  • Brandteweingläsern
  • Krügen
  • Flaschen, Caraffinen

Wie OHLMS [3] vermerkt, findet sich 1788 im Holzmindener Wochenblatt folgender Vermerk:

"Seit einiger Zeit bläst man auch Glas von blauer, rotmarmorierter, orange etc. Farbe zu Trinkgläsern, Salzfässern, Aufsätzen, Urnen, Zucker- und Tabaksdosen, Stockknöpfen usw."

 

Herstellung von "einerley und gezeichneten Bouteillen"

Formmarkierte Einheitsflaschen

Die fürstliche Hohl- und Tafelglashütte war als erste langfristig ortsfeste Glashütte im Solling ("Schorborner Glas") mit der Herstellung vielfältiger, besonderer Glaswaren beauftragt.

Grünes Hohlglas wurde vornehmlich im Braunschweiger "Inland" umgesetzt, aber auch in weiten Gebieten des "Auslandes".[15]

Während Flachglas (grünes Tafelglas) in Braunschweig, Hameln, Göttingen und an anderen Orten Abnehmer fand, ging das farblose (weiße) Hohlglas ins Hannoversche und darüber hinaus.[15]

Denn neben der traditionellen Grünglasproduktion wurde in der Schorborner Glasmanufaktur zugleich auch ein glastechnisches Verfahren entwickelt, wonach farbloses "Christallglas" hergestellt werden konnte.[16]

Das farblose "Christallglas" eignete sich gut für die Dekoration mit feinem Kunstschnitt wie auch zum Kunstschliff.

Die landesherrliche Verordnung vom 14. Dezember 1748 verfügte, dass die Herstellung von "einerley und gezeichneten Bouteillen" einzig den Fürstlichen Glashütten zu Schorborn und "unterm Renneberg bey Holtensen" (Holzen am Ith [41]) oblag.

Ziel war es hierbei, für jene einheimischen, formmarkierten Einheitsflaschen ausschließlich eine inländische Nutzung im Herzogtum Braunschweig zugewährleisten.

Zugleich verboten weitere Verordnungen, "fremdes" (ausländisches) Hohlglas einzuführen, um den Absatz dieser beiden landeseigenen Hohlglashütten zu sichern.[4]

 

1788

Im Jahr 1788 heißt es im Holzmindener Wochenblatt:

Seit einiger Zeit bläßt man auch Glas von blauer, roth marmorierter, Orange etc. Farbe zu Trinkgläsern, Salzfässern, Aufsätzen, Urnen, Zucker- und Tobacksdosen, Stockknöpfen etc."[19]

 

Böhmisches Tafelglas

"Geschnittene und verguldete Gläser"

Neben Grünglasprodukten war für die Schorborner Glasmanufaktur ökonomisch die Fertigung von "böhmischem Tafelglas" (farbloses "weißes" Flach-/Fensterglas) bedeutsam.

Zunächst haben in den ersten Jahrzehnten der Absatz wie wohl auch die Fabrikation "geschnittener und verguldeter Gläser" nur eine untergeordnete Rolle gespielt; bedeutender sei der Absatz von böhmischem Tafelglas gewesen.[4]

Neben der traditionellen Grünglasfabrikation wurde in der Schorborner Glasmanufaktur zugleich auch ein glastechnisches Verfahren entwickelt, wonach farbloses "Christallglas" hergestellt werden konnte, welches sich als Hartglas für die Dekoration mit feinem Kunstschnitt wie auch zum Kunstschliff eignete.

Laut einem "Verzeichnis der Lagerbestände" aus dem Jahr 1768 - 24 Jahre nach Übernahme der Glasmanufaktur durch den Administrator Joachim Carl Nagel - waren u. a. folgende Glasgegenstände auf der Hütte vorhanden [4]:

  • geschliffene Pokale mit dem königlich-preußischen Wappen und Namenszug

  • Pokale mit Pelikan und Devise

  • Pokale mit und ohne Deckel

  • Pokale mit geschnittenem "C"

  • Pokale mit braunschweigischem Wappen

  • Deckelgläser mit geschnittener Jagd
  • Deckelgläser mit geschnittenem Hirschkopf
  • Deckelgläser mit herzoglichem Wappen und Namen
  • Blumentöpfe
  • große Tafelaufsätze mit "plat de ménage"
  • Fruchtkörbe
  • Tafelleuchter mit und ohne Ketten
  • geschliffene Konfektschalen
  • Spitzgläser (für Schnaps, Likör)

  • Weingläser

  • Biergläser

 

Schorborn │ 19. Jahrhundert

Farbloser Spitzkelch mit Blaurand und Luftblasen im Schaft

Formsammlung Städtisches Museum Braunschweig)

Vollständig in blauem Glas hergestelltes Gefäß [1]

Erich-Mäder-Glasmuseum Grünenplan

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

"Schorborner Glas"

Bei großer Form- und Gestaltungsvielfalt und hoher Produktivität lieferte die Schorborner Glashütte bedeutende Gläser an den Braunschweiger Hof und trug mit ihrer großen Form- und Gestaltungsvielfalt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im beginnenden 19. Jahrhundert wesentlich zur Abdeckung des gewachsenen Glasbedarfs im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel bei.

▷ "Schorborner Glas"

  • Pokale, geschliffen und geschnitten - prunkvolle höfische Tafelkultur │ hochwertige Abendmahlkelche und andere Gläser für den kirchlichen Gebrauch

  • Kelche (Spitz- und Perlenkelche)

  • Bouteillen - Flaschen für den Haushalt und das Gewerbe

  • Wirtschafts-/Gebrauchsgläser (u.a. Blaurandgläser)

  • Gläser mit farbiger Emaille-Bemalung

  • Apparate- und Medizingläser

  • Gefäße für die Arzneiausgabe durch Apotheken

  • Geschirrgläser

 

Produktionsumfang und Glaspreise

1814 stellte Schorborn binnen 44 Wochen 293.000 "Hüttenstück ordinären weißen Hohlglases" her.[6]

In den beiden Filialglashütten Pilgrim und Mecklenbruch betrug nach OHLMS [6] die Produktionsmenge in jeweils etwa 20 Wochen 400 "Hüttentausend" grünes Hohlglas und 350 - 380 Kisten grünes Fensterglas (1 Kiste grünes Fensterglas enthielt 120 Glastafeln (21 x 18 Zoll)), während in Mühlenberg jährlich in 44 - 46 Wochen 3.500 "Bund" Tafelglas und 352 "Hüttentausend" Medizinglas hergestellt wurden.

Die Herstellung von Flaschen und weißem Tafelglas soll bedarfsdeckend für das Braunschweiger Land gewesen sein.

 

1814

Um 1814 beliefen sich die Preise für

  • 100 "Hüttenstück" weißes Hohlglas incl. Einfasselohn auf 4 Thaler 6 Gute Groschen
  • 1 "Hüttentausend" grünes Hohlglas auf 12 Thaler
  • 1 Kiste Fensterglas auf 11 Thaler
  • 1 "Bund" weißes Tafelglas auf 2½ Thaler
  • 1 "Hüttentausend" Medizinglas auf 10 Thaler.

 

1818 bis 1827

Im Zeitraum von 1818-1827 konnte ein Gesamtwert der zehnjährigen Glasproduktion in Höhe von 189.698 Thalern erzielt werden, davon entfielen auf die

  • Glashütte Schorborn 59.193 Thaler = 31,2 %
  • Glashüttte Pilgrim 58.642 Thaler = 30,9 %
  • Glashütte Mühlenberg 71.863 Thaler = 37,9 %

 

"Eigentümlichkeiten"

Produktqualität Schorborner Glaserzeugnisse

Zu "Eigentümlichkeiten" Schorborner Glaserzeugnisse findet sich ein Überblick mit detaillierten Hinweisen zur Herkunftsbestimmung und weiteren Informationen bei OHLMS 2006:

  • Weißglaserzeugnisse [8]
  • Medizinglas [9]
  • Grünglas [10]

Den Nachteil der außerordentlich hohen Transportkosten bei den Holzeinschlägen im Solling betriebswirtschaftlich ausgleichend, führte zur Senkung der Stückkosten mit negativen Auswirkungen auf die Produktqualität.

Nach KRAMER [12] war der Vorbereitungszeitraum für die verarbeitungsfertige Glasmasse strikt auf drei Tage verknappt und die Glasöfen "bis zu 40 Wochen oder länger im Jahr betrieben" worden.

Dies könne möglichweise eine Erklärung dafür sein, dass das Schorborner Glas in seiner Qualität "durchgängig etwas schlierig", grünlich und mit Blasen durchsetzt ist; ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Nachbarglashütten Osterwald im Amt Lauenstein, Altmünden und Emde.

Dem gegenüber teilte der Oberbergrat Stünkel am 22. Februar 1815 der Fürstlichen Kammer mit, dass das Schorborner Glas "schön weiß, sehr gut geschnitten und geschliffen wäre und dem englischen Glas nur im Klang etwas nachstünde".[5]

 

1839

Bei einer Gewerbeausstellung von Industrieerzeugnissen im Herzogtum Braunschweig wurde 1839 auch ein Schorborner Glassortiment präsentiert.

Hierzu gab es eine durchaus kritische Kommentierung im Hinblick auf die Glasqualität:

"Vom Herrn Commerzien-Rath Seebass, Pächter der Herzogl. Glashütte zu Schorborn, war ein Sortiment dportiger Fabrikate - Hohlglaswaaren (25 Glasgefäße) - eingesendet.

Sie bestanden, mit Ausnahme eines Bechers, in ordinairer Waare zum gewöhnlichen Gebrauche.

Die bei der Einsendung gemachten Mittheilungen über die auf den Betrieb der Fabrik einwirkenden dortigen Verhältnisse lassen die Schwierigkeiten nicht verkennen, welche einer Vervollkommnung der Erzeugnisse derselben bis zu einem Grade, um mit den Glasfabriken des Auslandes concurriren zu können, entgegenstehen, doch sind diese Umstände nicht der Art, daß sie Rückschritte rechtfertigen, und in früheren Zeiten sind günstigere Urtheile über die dort gefertigten Waaren gefällt worden.

Die Glasmasse bei den Wein- und Wassergläsern war nicht rein und von verschiedener Färbung.

Selbst der geschliffene Becher war nicht von tadelloser Masse, wiewohl in Betracht der kostspieligen Schleiferei eine sorgfältige Wahl zu treffen, die Veranlassung vorlag.

Uebrigens war das eingeschliffene Wappen so gut gearbeitet, daß Fleiß und Geschick des Schleifers Belohnung verdienen.

Der Preis des Bechers aber war sehr hoch.

Die Lampenkuppeln waren zu schwer und die Färbung des Glases nicht milchweiß genug; es steht jedoch zu hoffen, daß es der Industrie des Herrn Einsenders gelingen werde, wenigstens in diesem Artikel, bei welchem eine minder gefährliche Concurrenz der auswärtigen Fabriken, als bei dem weißen Hohlglase eintritt, die Consumtion des Inlandes von dem Auslande unabhängig zu machen.

Die Weinbouteillen waren gut und von gefälliger Form, bei den übrigen Flaschen ließen Form und Masse mehrfache Verbesserungen zu.

Die notierten Preise waren im Allgemeinen sehr billig."[5]

 

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[1] Die fürstliche Glasmanufaktur Schorborn. Ein Ausstellungs- und Forschungsprojekt im Erich-Mäder-Glasmuseum Grünenplan. 17.05.2015 - 01.11.2015.

[2] Ausstellungs- und Forschungsprojekt im Glasmuseum Grünenplan - Wissenschaftliches Fachsymposium am 10. Oktober 2015.

[3] Sonderausstellung "Kostbarkeiten aus Sand und Asche - entstanden im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel", Museum Schloss Wolfenbüttel, 11. März - 02. Juli 2017. Täglicher Anzeiger Holzminden vom 20. März 2017, S. 15.

[4] BECKER 1927, S. 62; BLOSS 1950a, S. 23-24.

[5] OHLMS 2006, S. 17.

[6] OHLMS 2006, S. 16.

[7] OHLMS 2006, S. 22-23.

[8] OHLMS 2006, S. 25-50.

[9] OHLMS 2006, S. 51.

[10] OHLMS 2006, S. 52-54.

[11] KRAMER 2017a, S. 16-21.

[12] KRAMER 2017a, S. 21.

[13] MALCHOW 2019, S. 32-34.

[14] HASSEL/BEGE 1802, S. 163-164 (2).

[15] RAULS 1983, S. 318.

[16] MALCHOW 2019, S. 32-34.

[19] STEINACKER 1907, S. 197-199.