Transdisziplinäres Waldglas-Projekt

Klaus A.E. Weber

 

Holzasche-Blei-Gläser im Solling

Fragmente von Bleiglashäfen des 12./13. Jahrhunderts sichern für den Solling die Herstellung von Holzasche-Blei-Gläsern.

Im 12./13. Jahrhundert zählten jene Gläser ohnehin zu den kennzeichnenden Waldglaserzeugnissen der Glashütten des Oberweserraumes.

 

Waldglasprojekt 2014 – 2018

 

Prof. Hans-Georg Stephan (Mitte)

Grabungsleiter Radoslaw Myszka

Grabungsfläche der

hochmittelalterlichen Glashütte

„Am Wiegelweg“

Holzmindetal

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

9. Jahrhundert

Karolingische Waldglashütte auf Königsgut am Solling

Unter Hinweis auf eine Glaswerkstatt des letzten Viertels des 8. Jahrhunderts in der karolingischen Königspfalz in Paderborn, wurde davon ausgegangen, dass in karolingischer Zeit als Flussmittel Holzasche anstelle der älteren Soda-Kalk-Beimengung eingeführt wurde - jedoch ohne entsprechenden Glashüttenbefund.[22]

Nun konnte die frühmittelalterliche Waldglashütte im Kreickgrund auf Königsgut am östlichen Sollingregion - am Waldrand im Kreickgrund zwischen Bodenfelde und Polier - archäologisch nachgewisen und anhand lokaler Gebrauchskeramik dem 9. Jahrhundert zugeordnet werden.[3][14]

Das Freilegen dieser Waldglashütte belegt, dass bereits in der Karolingerzeit mit der anspruchsvollen Glasverarbeitung in der Sollingreion begonnen wurde.[4]

Es konnten engräumig drei, eher kleine Öfen - Hauptofen als Schmelz- und Arbeitsofen, zwei Nebenöfen (davon ein Kühlofen) - der karolingerzeitlichen Waldglashütte an einem kleinen Bachlauf freigelegt werden.

Ein in Scherben geborgener, aus gelblichem Ton gefertigter Glashafen von 0,75 Liter Volumen wurde geborgen und nahezu wieder komplett zusammengesetzt; daneben fanden sich weitgehend erhaltene, sehr kleine Häfen.

In größerer Anzahl konnten grüne wie auch blaue Glastropfen sowie keine Fragmente Rohglas geborgen werden, ergänzt durch den einzigartigen Fund eines vollständigen, nur an der Oberfläche angegriffenen Glättglases (Glätter) aus grünlichem Glas.

Die frühmittelalterliche Waldglashütte kann in Verbindung mit der nahegelegenen Reichsabtei Corvey an der Weser mit karolingischer Hauptaufbauphase (822–885) gesehen werden, zumal das Benediktinerkloster 833 Königsgut in Bodenfelde besaß.[4]

 

Sanft ansteigendes Rumohrtal

mit dem Holzminde-Bach

zwischen Neuhaus-Fohlenplacken

und Holzminden

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

1. Hälfte 12. Jahrhundert

Nachweis zweier romanischer Glashütten (Mehrofenanlagen) im nordwestlichen Solling

Nach STEPHAN und MYSZKA (2018) habe sich "inzwischen herauskristallisiert, dass im Tal der Holzminde eine in Niedersachsen in ihrer Art und Weise einzigartige frühe Waldglashüttenlandschaft des 12. Jahrhunderts verborgen ist, die europaweit ihresgleichen sucht".

Im Nordwestsolling - Ausgrabungsstellen im Rumohrtal zwischen Neuhaus-Fohlenplacken und Holzminden [1] - konnten die Produktionsstätten zweier hochmittelalterlicher Waldglashütten archäologisch untersucht und anhand der Gebrauchskeramik in die Zeit um 1100-1150 datiert werden.⦋2⦌[16][18]

  • Waldgashütte „Am Wiegelweg“

Die Glasmacher errichteten ihre Glasöfen aus arbeitstechnischen Gründen recht eng beieinander auf einer Fläche von 8,5 × 6 Metern.[24]

Die vorherrschenden gebrauchskeramischen Grundformen und die Herstellungstechnik der Fragmente der traditionell eher grob, reduzierend weich bis hart gebrannten Irdenware weisen in die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts.

 

Gebrauchskeramisches Fundmaterial

Waldglashütte

"An der Holzminde"

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Als Produktionskeramik imponieren mehrere, unterschiedlich große Glashafen-Fragmente mit variierender Wandungsstärke.

Die hauptsächlich gefundenen, unterschiedlich großen Flachglas-Fundstücke bestehen vornehmlich aus verschieden farbigem Kali-Blei-Glas: (smaragd-)grün, blau, rot, gelb-bräunlich und fast farblos.

In den Waldglashütten um 1100–1150 wurden bleihaltige Holzaschegläser, vornehmlich farbige Fenstergläser, gefertigt.[4]

 

Flachglas-Fragment

mit „Marmoreffekt“

Smaragdgrünes Fensterglas

ausgeprägte rote Schlieren

Waldglashütte

„Am Wiegelweg“

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Das Flachglas (Fensterscheiben) ist wahrscheinlich im Zylinderblasverfahren unter Weiterverarbeitung im Streckofen hergestellt worden.

Außerordentlich gut erhaltene Glasfragmente mit "frischer" Farbigkeit und großer Klarheit der Glasmasse legen nahe, dass es sich hierbei um "Kaliglas" handelt, welchem in hoher Dosierung Bleioxid zugesetzt worden war.

 

Archäologisches Grabungsfeld

Waldglashütte

„Am Wiegelweg“

Holzmindetal

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Mehr-Ofen-Anlage "An der Holzminde"

Die romanische Waldglashütte an der Holzminde bestand als Mehrofenanlage aus 5–6 technischen Glasöfen:

  • Schmelz- und Arbeitsofen
  • Streckofen zur Fensterglasfertigung
  • Kühlofen
  • Frittofen
  • Metallschmelzofen.

 

Glasschmelztiegel

auf der Hafenbank

der Schmelzkammer

mit Feuerungskanal

Waldglashütte

"An der Holzminde"

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

In der hochmittelalterlichen Waldglashütte wurden hochwertige romanische Holzasche-Blei-Mischgläser als Buntglas erzeugt.

So fanden sich im Fundmaterial grünes Hohlglas mit roten Schlieren, qualitativ hochwertiges dünnwandiges hellblaues Hohlglas mit feiner opakweißen Fadenauflage, Glasringe und Glasperlen (Glasköpfe) wie auch grünes iund blaues Fensterglas.

Vermutlich wurde das bunte Fensterglas für das ehemalige Benediktinerkloster mit karolingischem Westwerk - das Kloster Corvey - gefertigt.

Zudem ist für die Zeit um 1100-1200 das kaum eine Tagesreise entfernte Benediktinerkloster Helmarshausen mit seinen Kunstwerkstätten in die Überlegungen einzubeziehen.[24]

 

Rekonstruierte Mehrofenanlage

Waldglashütte

"An der Holzminde“

September 2018

© [hmh, Foto: Christel Schulz-Weber

 

Mehr-Ofen-Anlage „Am Wiegelweg“

Als größter und am besten erhaltener Standort gilt nach STEPHAN und MYSZKA (2018) die Hüttenanlage „Am Wiegelweg“, wobei die Glasöfen eine ähnliche streng geregelte Anlage wie auf der Glashütte "An der Holzminde" ausweisen.

 

Fundmaterial

Waldglashütte

"Am Wiegelweg"

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Der Hüttenbetrieb der Zeit um 1120-1150 weist neben dem Schmelzofen mehrere Nebenöfen auf:

  • Frittofen - zur Fertigung eines Vorproduktes - der Fritte,
  • Streckofen - zur Herstellung von Fensterglas im Zylinderblasverfahren
  • Kühlofen - zum langsamen Herunterkühlen der Produkte.

Neben dem mutmaßlichen Schwerpunkt der Produktion auf hochwertigen bleihaltigen Kalium-Gläsern sei auch Holzascheglas hergestellt worden.

 

Glashafen-Fragment

innen tief blau

verfärbt

Waldglashütte

„Am Wiegelweg“

Dezember 2018

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Wie bei beiden Waldglashütten sei es "sehr wahrscheinlich, dass die Häufung der ungewöhnlich alten Glashütten und deren Fokus auf der Fertigung von Fensterglas mit dem nahegelegenen ehemaligen Reichskloster Corvey zusammenhängt, welches über reiche Besitzungen im Umfeld und Waldrechte im Solling verfügte".

STEPHAN und MYSZKA (2018) gehen davon aus, dass diese archäologischen Entdeckungen ein "helles Licht auf die Technik der Glasmacher" werfen und "neue Einsichten bezüglich des weltberühmten Kompendiums der technischen Künste, welches wahrscheinlich im nahen Helmarshausen entstand" ermöglichen (Theophilus Presbyter, möglicherweise Rogerus von Helmarshausen: „De diversis artibus“).

Zu den höchsten Leistungen der mittelalterlichen Kunst zählen wertvolle farbenfrohe Bildfenster, wobei die beiden hochmittelalterlichen Glashütten gut 100 Jahre vor den ältesten am Bau erhaltenen Farbglasfenstern in Niedersachsen (z. B. in Bücken bei Bremen, Goslar, Amelungsborn) arbeiteten.

 

1. Hälfte 15. Jahrhundert

Eine spätmittelalterliche Waldglashütte im Solling bei Bodenfelde, die Waldglashütte im Reiherbachtal der Zeit um 1420-1450, gilt als eine „Hütte mit einer Spezialisierung auf Flachglas und einem durchaus respektablen Farbglasanteil“.[35]

 

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[1] Seit 2012 werden Ausgrabungen und Forschungen zu mittelalterlichen Waldglashütten im Solling von Prof. Dr. Hans-Georg Stephan und Radoslaw Myszka als Grabungsleiter durchgeführt; seit 2017 besteht ein neuer Fokus auf frühe Hütten bei Holzminden.

⦋2⦌ KRAMER 2018d, S. 12-15.

[3] STEPHAN 2015a, S. 4-8.

[4] STEPHAN 2020. S. 125.

[5] JEBERIEN/EMGRUND 2022, S. 135-143.

[14] Untersuchungszeitraum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Prof. Dr. Hans-Georg Stephan) 2012-2015/16.

[16] ARNOLDT/CASEMIR/OHAINSKI 2004, S. 16, 19-23.

[18] KOCH 2007, S. 130-143; STEPHAN 2010, S. 133-143.

[22] BERGMANN 2008, S. 1-3.

[24] STEPHAN/MYSZKA/WILKE 2018, S. 309.

[25] STEPHAN/MYSZKA/WILKE 2018, S. 328.

[26] DBU: „Inhalt des Projekts war die modellhafte Bergung, Versorgung und Konservierung umweltgeschädigter archäologischer Kaliumgläser. Archäologen und Restaurierungswissenschaftler wollten gemeinsam Erfahrungen gewinnen und Richtlinien erarbeiten. Die einzigartige Häufung von lokalisierten Waldglashütten im Weserbergland bot eine hervorragende Basis. Bei der Analyse der Fundstellen stand die Frage der Einbettung in die historische Ökologie und die Ressourcennutzung im Wandel der Zeit ebenso im Blick-feld wie die akute Bedrohung der Fundstätten und der hochempfindlichen Waldgläser durch Umwelteinflüsse und moderne Bewirtschaftung.

[28] DBU 2018, S. 35.

[35] STEPHAN 2022b, S. 59-60.