Die „Böse Krankheit“ und der angelobte Choleratag

Klaus A.E. Weber

Leitender Medizinaldirektor / Amtsarzt a. D.

 

Der Choleratag

1851 wurde der erste Mittwoch im September als örtlicher Feiertag bestimmt

Die tiefe geografische Abgeschiedenheit und die nur mangelhafte Erschließung des Hellentals, vor allem seine schlechte Erreichbarkeit bei eingeschränkter Verkehrsanbindung, aber auch die Berglage mit steil abfließendem Quellwasser (ohne Stagnation) wirkten sich gegenüber der „fürchterlichen Würgerin”, der Cholera des Jahres 1850, offenbar infektionspräventiv für die ansonsten Not leitenden und damit eher immungeschwächt disponierten Dorfbewohner aus – vielleicht aber auch das im Dorf damals weit verbreitete Branntweintrinken?

Der verkehrstechnisch eher ungünstige Wirtschaftsstandort Hellental erwies sich in jenem Jahr der schweren Cholera-Epidemie als vorteilhafte geografische Barriere gegenüber einer bis hin tödlichen Infektionseinschleppung.

Diese geografische Isolierung führte zu einem infektionsepidemiologischen Sonderstatus gegenüber benachbarten, verkehrsräumlich besser erschlossenen Bauerndörfern am nördlichen Sollingrand.

Wie sich epidemiologisch zeigte, hatten Heinade und Merxhausen gegenüber der Cholera ein weitaus höheres Expositionsrisiko zu tragen.

Aus tiefem religiösem Dank heraus, dass durch „göttliche Fügung“ die fürchterliche Cholera-Epidemie des Jahres 1850 in Hellental keine Todesopfer forderte, wurde von der Gemeindevertretung Hellental beschlossen, für „ewige Zeiten“ jährlich für die Errettung von der Cholera zu danken.

Ab 1851 wurde der erste Mittwoch im September als örtlicher Feiertag (Buß-, Bet- und Gedächtnistag)- der „Choleratag“ – bestimmt.

Er wurde dann jährlich durch einen gemeinsamen Abendmahlgang in der Hellentaler Dorfkapelle würdig begangen.

In einer eindrucksvoll gestalteten Erzählung versuchte Pastor Querfurth [1], allerdings erst mehr als 60 Jahre nach der schweren Cholera-Epidemie, aus der Erinnerung heraus die lokalen Umstände und Auswirkungen jener Tage im Sommer des Jahres 1850 erzählerisch nachzuzeichnen.

SOHNREY beschrieb Jahre später in seinem 1928 verfassten Solling-Werk „Tchiff, tchaff, toho!” ebenfalls eindrucksvoll „Die Cholera”, wobei auch er auf die Besonderheit des Hellentaler Dorfes hinwies:

"... Ein außerordentlicher Fall war es gewiß, daß das Leineweber- und Holzhauerdorf Hellenthal, obgleich es nur eine halbe Stunde von Merxhausen entfernt ist, von der Cholera vollkommen verschont blieb, auch nicht einen einzigen Krankheitsfall dieser Art hatte.

Die Hellenthaler glaubten, glauben auch heute noch fest, daß sie diese denkwürdige Verschonung nur dem fleißigen Branntweintrinken zu verdanken hätten.

Sie wurden aber deswegen nicht übermütig und undankbar gegen Gott, sondern gelobten feierlich, fortan solle der erste Mittwoch im September Feiertag sein und ein Gottesdienst mit Abendmahl abgehalten werden.

Was denn auch bis heute treu bewahrt wurde.

Es gehen aber nur die Verheirateten zum Abendmahl.

Als zum erstenmal der angelobte Cholerafeiertag gefeiert wurde, war ein solcher Andrang zum Abendmahle, daß die Feier nicht in der Kapelle, sondern auf dem Friedhofe stattfand.

Man hat in Hellenthal auch einen Hagelfeiertag, wie im Solling überhaupt, aber der Choleratag steht den Hellenthalern höher."

Noch bis um 1961 soll diese regional einmalige Hellentaler Tradition der großen dörflichen Feier des „Choleratages“ angehalten haben.[3]

Nach mündliher Überlieferung habe zuletzt Pastor Wilhelm Friedrich Ernst Jeremias (1939–1949) am ersten Mittwoch im September noch den „Choleratag“ in der Hellentaler Dorfkapelle begangen.[2]

Danach sei in Hellental die Tradition des örtlichen Gedächtnistages nicht weiter fortgesetzt worden.

Heute ist der "Choleratag" bei der jüngeren Hellentaler Dorfbevölkerung aber längst in Vergessenheit geraten.

 

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[1] nach dem maschinengeschriebenen Manuskript von Pastor Querfurth, Geschäftsführer des Christlichen Presseverbandes in Braunschweig, datiert vom 23. August 1913 in Uehrde bei Schöppenstedt.

[2] Nach mündlicher Auskunft von Hedwig Hannelore Schulz, geb. Siebers (geb. 02. Oktober 1932 in Hellental, verst. 18. April 2020)..

[3] LESSMANN 1984; RAULS 1983.