Schwere Infektionskrankheiten bei Kindern
Klaus A.E. Weber
Leitender Medizinaldirektor / Amtsarzt a. D.
Scheuerchen │ Frieseln │ Keichhusten
Von übertragbaren Krankheiten waren vormals wie heute hauptsächlich anfällige (immuninkompetente), unterernährte und biologisch am wenigsten gerüstete Personen besonders häufig und klinisch schwer betroffen, wie alte Menschen, Säuglinge und Kinder.
Dabei ist zu erinnern, dass die im vorliegenden Ortsfamilienbuch historisch betrachtete Zeitspanne bis 1926 in der präantibiotischen Ära liegt, also in jener Zeit, in der der Medizin bei bakteriellen Infektionskrankheiten noch keine antibakteriell wirksamen Chemotherapeutika (Antiinfektiva/Antibiotika) zur Verfügung standen.
Scheuerchen
Bei den durch Kirchenbucheintrag dokumentierten Todesfällen in den hier betrachteten Dörfern wurde auffällig häufig die Todesursache "Scheuerchen" angegeben.
„Scheuerchen“, auch „Schäuerchen“, „Scheuerken“ oder „Schürchen“ genannt, ist eine seit langem medizinisch nicht mehr gebräuchliche Symptom- bzw. Krankheitsbezeichnung.
Der Quellenbegriff [2] ist als Sammelbegriff für klinisch schwerere Infektionserkrankungen der Atemwege und des Darmtraktes zu deuten, die offenbar mit Fieber-„Schauern“ (Schüttelfrost) bzw. Krämpfen einhergingen (SOHNREY 1929: „Scheuerken“ = Krämpfe).
Im 18./19. Jahrhundert stellten "Scheuerchen" die häufigste Todesursache bei Kindern vornehmlich in den ersten Lebenswochen und –monaten dar.
Aber auch bei Kleinkindern bis etwa zum 4. Lebensjahr waren "Scheuerchen" noch recht häufig anzutreffen.
Frieseln
Zudem findet sich in den Kirchenbucheinträgen zur Todesursache oftmals auch der Vermerk "Frieseln", eine klinisch schwer verlaufende Erkrankung, die man heute so nicht mehr kennt.
Jenes lebensbedrohliche klinische Krankheitsbild ging mit hohem Fieber („Frieselfieber“) einher.
Korrespondierend kam es zum starken Schwitzen, das hirsekorngroße, wasserhelle, meist auch gerötete Hautbläschen ("Frieselbläschen") entstehen ließ (auch als „Roter Hund“ bezeichnet).
„Der Friesel”, auch als „echter Schweiß- oder Schwitzfriesel” bezeichnet, trat zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Hautausschlag bzw. lokale Hautentzündung auf, mit und ohne Fieber, meist aber in Begleitung einer anderen Krankheit.
Die Beteiligung innerer Organe (u.a. Herz) wurde beschrieben, wie auch plötzliche Todesfälle infolge der „Friesel”.
Das ehemals erkrankungsschwere Frieselfieber, möglicherweise auch als Masernerkrankung zu deuten, grassierte in jener Zeit auf dem Lande recht häufig mit „Frieselepidemien”.
Solche „Frieselausbrüche“ betrafen nicht nur Kinder, sondern ebenso Jugendliche und junge Erwachsene.
Bereits im 16. Jahrhundert wütete in England eine als „englischer Schweiß“ bezeichnete Epidemie, gekennzeichnet durch Fieber und heftige Schweißausbrüche.
Es war eine klinisch schwere Krankheit, die auch binnen weniger Tage zum Tode führen konnte.
Symptome und klinischer Verlauf sollen denen einer Grippe (Influenza) geähnelt haben.
Das „Schweißfieber“ griff von England schließlich auch auf das europäische Festland über, das hier „Frieselfieber“ oder „Miliarfieber“ genannt wurde.[3]
Noch im 19. Jahrhundert soll es in Frankreich kleinere, lokal eng begrenzte epidemische Spitzen gegeben haben [1].
Keichhusten
Im späten 18. Jahrhundert kam es zu einer regionalen Häufung von durch Tröpfchen übertragenem „Keichhusten” ("Stickhusten", Keuchhusten, Pertussis) unter den Kindern, von denen viele an "Auszehrung" verstarben.
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[1] RUFFIE/SOURNIA 2000, S. 186.
[2] MÜNCH 1990.
[3] RUFFIE/SOURNIA 2000.