Spinnen und Weben

Klaus A.E. Weber

 

Zunächst wurde Garn gesponnen …

Garn war das erste Fertigprodukt aus dem Rohstoff Flachs.

Nach KAUFHOLD [27] waren im niedersächsischen Raum um 1800 die Garnspinnerei und Leinenweberei „der mit Abstand der größte Zweig der Textilerzeugung“ und der wichtigste Gewerbebereich überhaupt.

Das Land, nicht aber die Städte, bildete den Schwerpunkt des Garnspinnens und der Leinenproduktion.

Im Gegensatz zu anderen niedersächsischen Territorien, war im Herzogtum Braunschweig die Garnspinnerei aber der wichtigste Erwerbszweig.

"In allen Teilen [28] beschäftigt sich alles, es sei jung oder alt, arm oder bemittelt, Landmann oder Städter, damit: selbst angesehene Frauenzimmer sieht man oft am Spinnrade".[1]

1787 war im „Holzmindener Wochenblatt“ zu lesen:[2]

"Das vornehmste und zugleich nützlichste Produkt für die Untertanen ist der Flachs.

Davon wird im Wesertal so viel gebaut, gesponnen und verwebt, daß das Bedürfnis an Hemden, Kitteln, Beinkleidern, Schürzen, Bett- und Tischtuch, Säcken und Saatlaken u. dgl. damit bestritten werden kann.

Das größte Gewerbe wird mit dem Legge-Linnen gemacht.

Es hat seinen Namen daher bekommen, weil es beim Einkauf über einen Tisch oder Bank gelegt und gezogen, und auf solcher nach der Länge und Breite gemessen und nach der Güte beschaut wird …

Das Leggelinnen wird aus Hede und Flachsgarn gewebt und tuchweise zu 15 Ellen verkauft."

 

Spinnsaison in den Wintermonaten

Gleichwohl das ganze Jahr über gesponnen wurde, lag die eigentliche Spinnsaison in den Wintermonaten.

Frauen und vor allem junge Mädchen verrichteten an den langen Winterabenden zwischen November und März das Verspinnen des gehechelten und zu Zöpfen zusammengedrehten Flachses, oft gemeinsam in den reihum gehenden dörflichen Spinnstubenabenden.

Ziel des Spinnvorganges war es, die aufbereiteten Fasern mit dem Trittspinnrad so zusammenzudrehen und auf eine Spule zu wickeln, dass ein gleichmäßiger, fortlaufender Faden aus den einzelnen Flachsfasern entstand (Garn).

Auch Kinder wurden von ihrem 12. Lebensjahr an zum Spinnen herangezogen.

Der gesponnene Garnfaden wurde von der Spule oder Spindel auf eine geeichte Haspel aufgewickelt, um das Garn nach einem einheitlichen Maß abzumessen.

Nach einer definierten Anzahl von Umdrehungen wurde der bis dahin aufgehaspelte Faden ein „Gebind“ oder „Bind“.

10 Bind ergaben 1 Lop Garn (1.000 Faden = 2.340 m), eine Garnmenge, die etwa an einem Arbeitsnachmittag hergestellt werden konnte.

Vor dem Verweben wurde das Garn gesäubert und in einem Bottich gekocht (mit Buchenasche – „Büken“) und anschließend gebleicht oder gefärbt.[3]

Mit dem Spinnen wurde um Martini (11. November) begonnen und im Regelfall zur Fastenzeit wieder eingestellt.

Die Garnspinnerei beruhte fast ausschließlich auf selbst angebautem und vorbereitetem Flachs.

Es wurde sowohl gebleichtes als auch ungebleichtes Garn hergestellt und verkauft.

Um 1800 befand sich auch in Altendorf bei Holzminden eine bedeutende „Bleiche“, die einen erheblichen Absatz in die Schweiz tätigte.

Ansonsten sei das Garn zur weiteren Verarbeitung hauptsächlich nach Elberfeld und England gegangen.[4]

Der Wert des Garnexportes wird für die Zeit um 1800, inklusive der Handelsgewinne, auf etwa 1,7 Millionen Taler geschätzt, also knapp neun Taler pro Einwohner.[5]

Für Merxhausen könnte demnach der dörfliche Garnausfuhrgewinn statistisch etwa 3.400 Taler, für Heinade etwa 2.700 Taler, für Hellental etwa 1.100 Taler betragen haben.

Diese hypothetischen Angaben erlauben aber keine Aussage darüber, welches Realeinkommen die jeweiligen Garnspinner im Nebenerwerb in den drei Dörfern tatsächlich erzielt haben.[6]

Die nebenerwerblichen Garnspinner der hier betrachteten Dörfer zwischen nördlichem Solling und Holzberg dürften in das landesweite, auch exportierende Handelssystem einbezogen gewesen sein, welches von den kleinen Garnaufkäufern bis zu den großen Garnhandlungen in Braunschweig und Wolfenbüttel reichte.[7]

 

Weben im Museum Grafschaft Dassel

Ausstellung 2016

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

… dann auch Leinen heimgewerblich gewebt

Leinen war das zweite Fertigprodukt aus dem zum ersten Fertigprodukt „Garn“ verarbeiteten Rohstoff Flachs.

Die Leinenweberei basierte fast ausschließlich auf eigenproduziertem Garn.

Das Leinenweben war unter mehreren ökonomischen Gesichtspunkten ein besonders interessantes, weil unternehmerisch rentables Landhandwerk und Gewerbe.

Das investitionsarme, aber arbeitsintensive textile Kleingewerbe - mit den Produktionsschritten Flachsaussaat- und -anbau, Flachsverarbeitung durch Garnspinnen, anschließendes Leinenweben – bot den Familien, insbesondere den Tagelöhnern, zwar ein wichtiges, aber nur dürftiges Zubrot („Kummerfaden”) bei sehr geringem Verdienst („Hungerlöhne”).

Ein weiterer, ökonomisch günstiger Faktor ist darin zu sehen, dass saisonal in den Wintermonaten, also in der durch die Umweltbedingungen vorgegebenen „arbeitsarmen Zeit“, mit der arbeitsintensive Phase des Garnspinnens und der Leinenherstellung begonnen werden konnte.

Sie bestimmten in den kalten, landwirtschaftlich „unproduktiven“ Monaten das Alltagsleben der Land besitzenden Bauern wie landlosen „kleinen Leute“ auf dem platten Lande.

Zudem war die Leinenherstellung insofern auch besonders günstig, als nur wenig Grund und Boden zum Flachsanbau, nur relativ wenige Produktionsmittel und nur geringe Fachkenntnisse zur Ausübung des Gewerbes erforderlich waren.

Nach KAUFHOLD [24] stellte die braunschweigische Leinenweberei zwei Hauptprodukte her, zum einen die „Hausleinwand“ als feine Leinwandsorte, zum anderen das „Löwendleinen“, eine gröbere Leinwandsorte, die als eine Spezialität des Weserbezirks gilt.

Die hausgewerbliche Leinenproduktion stand dabei im Vordergrund der Leinenweberei.

Auf Grund der sozialhistorischen Erkenntnis, dass Hausleinwand im gesamten Herzogtum Braunschweig produziert wurde, ist deren Herstellung auch für die Dörfer Heinade, Hellental und Merxhausen anzunehmen.

Im benachbarten Stadtoldendorf gab es selbständige Leinenweber (76 Meister in der Gilde).

Nach GRIMM [25] können drei Typen von Leinenwebern unterschieden werden:

  • Bauern, die in den Wintermonaten zur Selbstversorgung webten (meist Frauen);

  • Weber, die als „kleine Leute“ (meist Häuslinge) Garn kauften und das selbst hergestellte Leinen verkauften;

  • Lohnweber, die von einem Verleger Garn erhielten und für das in Heimarbeit hergestellte Leinenprodukt meist nur gering entlohnt wurden (Verlagswesen; Verlagsbeziehungen mit großer Abhängigkeit, im niedersächsischen Leinengewerbe sehr selten [KAUFHOLD 1983, S. 217])

Wie im gesamten Weserbezirk, so wurde auch in Heinade, Hellental und Merxhausen aus selbst gesponnenem Garn nebengewerblich Leinwand teils für den Eigenverbrauch, teils für den Verkauf hergestellt. Ob dabei Verlagsverhältnisse bestanden haben, ist nicht mehr zu ermitteln.[8]

Einerseits dienten somit die Flachsverarbeitung und Leinenherstellung der Eigenversorgung mit Textilien, andererseits waren sie eine zusätzliche Einnahmequelle für Kleinbauern und Tagelöhner.

Nach KAUFHOLD [26] ist die existenzielle Bedeutung des Leinenwebens für die Landbevölkerung insgesamt aber als relativiert einzuschätzen.

War demnach das Leinengewerbe mehr Zubrot und weniger Notwenigkeit, die existenzielle Abhängigkeit von der Flachsverarbeitung und Leinenherstellung also nicht so enorm, wie oft berichtet wird?

Es ist davon auszugehen, dass während des 18./19. Jahrhunderts in fast jedem bäuerlichen und nicht-bäuerlichen Haushalt (Bauernstände, Häuslinge) von Heinade, Hellental und Merxhausen Leinen hausgewerblich hergestellt wurde, wahrscheinlich vornehmlich Löwendleinen.

Unselbständig hausgewerblich aus Flachs oder Hede gewebte Textilien dürften in den Dörfern vornehmlich dem gewinnorientierten Verkauf gedient haben.

Soweit bekannt, gab es hier keine Leggen, d.h. keine Stellen, an welchen unter amtlicher Kontrolle die hergestellte Leinwand geprüft und hinsichtlich ihrer Qualität und Preis beurteilt wurde.

Für den großen Absatz sorgten die bedeutenden Leinenhandlungen in Dohnsen (Floto) und Kirchbrak, aber auch jene in Holzminden (Klingemann).

Der Leinenexport ging sowohl über Bremen nach Spanien und Portugal sowie in deren Kolonien, als auch nach Holland.[9]

Nach einem Bericht des „Holzmindener Wochenblattes“ [10] wurde das Leggelinnen "in Gestalt großer Räder fest zusammengerollt, gepackt und auf der Weser nach Bremen, Hamburg und von beiden Orten nach Westindien und Amerika versandt …

Aus dem Weserdistrikt können jährlich 130.000 Taler Leggelinnen geliefert werden."

Zum historischen und ökonomischen Hintergrund ist anzumerken, dass insbesondere die staatlich reglementierte "Beförderung des Linnenhandels" im Herzogtum Braunschweig von zentraler fiskalischer Bedeutung war, nachrangig wohl aber auch die staatliche Sorge um die sehr "herabgekommenen Untertanen".[11]

Ein weiterer wirtschaftsförderlicher Aspekt war, dass die hiesige Landwirtschaft nur geringe Einkünfte abwarf und daher die erwerbsträchtige häusliche Leinwandherstellung gerne als zusätzliche Einnahmequelle herangezogen wurde.

Um die Wirtschaftsförderung des sich entfaltenden, fiskalisch einträglichen Gewerbes möglichst ungestört zu sichern, wurden die Leinenweber keinem Gildenzwang unterworfen.

Im Braunschweiger Weserdistrikt wurde die gewerbsmäßige Produktion von Webwaren staatlich mit großen Hoffnungen gefördert.

In der Bauverordnung für den Weser-Distrikt war daher 1750 von Herzog Carl I. u.a. bestimmt worden:[12]

"Die Hauptstube ist dergestalt mit anzulegen, daß darinnen zur Treibung der Weberei, wenn auch gleich der gegenwärtige Hauswirt solches Handwerk selbst nicht exerziert (Anm.: ausübt) hinlänglicher Raum bleibe."

Dies bedeutete für Anbauer in Heinade, Hellental und Merxhausen, die Wohnstube eines jeden Wohnhauses so zu gestalten, dass darin zumindest einen „Werketau” (Webstuhl) aufgestellt werden konnte.

Einst stand auch in jedem Bauernhaus ein Webstuhl.

Zudem wurden im Rahmen der verstärkten Förderung des „Neuen Anbaus auf dem Lande“ im Herzogtum Braunschweig durch staatlich Baukostenzuschüsse und sachliche Baubeihilfen in vielen wirtschaftlich stagnierenden Dörfern gezielt und rasch 10-20 Neuanbauerstellen geschaffen, wobei gerade den "neu sich anfindenden Leinewebern" zusätzliche, besondere Vergünstigungen gewährt wurden.[13]

So konnte sich die Leinenweberei zum wichtigsten, ganze Gemeinden versorgenden „Nahrungszweig“ im Braunschweiger Weserdistrikt entwickeln, wodurch in den Dörfern sogar eine gewisse „Wohlhabenheit“ entstand.[14]

Das Leinengewerbe zählte spätestens um 1750 zu der „besten Nahrung des Weserdistrikts“.

Es waren vornehmlich die „kleinen Leute“, die Brinksitzer und Kleinköter, die diesem textilen Gewerbe nachgingen [15], so auch in Heinade, Hellental und Merxhausen.

Um 1765 waren in Hellental unter 15 steuerpflichtigen Gewerbetreibenden 11 Leinenweber.

Somit kann das Leinenweben als das dominierende Gewerbe und als eine der Haupteinnahmequellen des kleinen Sollingdorfes eingestuft werden.

War die Flachsbearbeitung und das Spinnen fast ausschließlich eine Aufgabe von Frauen, so besorgten überwiegend Männer mit ihren Händen und Füßen das Weben auf dem Webstuhl.

Zuvor wurde das „Bind“ auf eine Garnwinde gelegt und mit einem Spulrad auf große Spulen gewickelt. Ehefrau und Kinder hatten täglich 3-4 Stunden für die Tagesleistung eines Webers vorzuspulen.[16]

War ein Weber arbeitsam, so konnte er bei vorgespultem, webfertigem Leinengarn täglich 1 Stiege Leinen (11,60 cm x 80 cm) verfertigen.

Hierzu war etwa 8-15 Lop (Kett-)Garn erforderlich.

Sechs Stiegen wurden meist gewebt, wozu ein Weber durchschnittlich 12 Arbeitstage zu je 10 Arbeitsstunden benötigte.

Der Wochenverdienst eines Webers betrug dabei etwa 1½ - 2 Taler bzw. 1 Dukaten.[17]

Neben Leinen wurde auch Mischgewebe hergestellt:

Das zumindest in Hellental gerne getragene, haltbare und auch kleidsame Beiderwand bestand aus einer Mischung von Leinen- und Wollgarn.

 

Lokaler Leinenhandel

Aufgekauft wurde das Leinen seinerzeit hauptsächlich von den großen Firmen Floto in Dohnsen und Klingemann in Holzminden, die zugleich auch das Garn den Webern lieferten und die fertigen Produkte entgegennahmen.

In Deensen war der Kaufmann Burghard Hilmar Campe mit dem Leinenhandel befasst.[18]

Von den Leinenhändlern gelten die Kaufleute Floto in Stadtoldendorf als die bekanntesten.[19]

1765 hatte Georg Dietrich Floto in Stadtoldendorf eine Manufaktur "Weberei-Fabrique" von buntem Linnen und gefärbten Baumwollerzeugnissen begründet, deren Absatz hauptsächlich nach Holland ging.

Von da an begannen die lokalen Weber „auch auf eigene Hand buntes Linnen mit guten Mustern zu weben, was bis dahin nicht geschehen war“.[20]

Merxhausen erlebte während der norddeutschen Blütezeit des Leinenhandels im 18. Jahrhundert seine „größte Zeit”.

Die von Georg Dietrich Floto in Stadtoldendorf betriebene Manufaktur betrieb im 18. Jahrhundert in Merxhausen eine Niederlassung.

An die Blütezeit des Leinengewerbes und an den einst florierenden Leinenhandel erinnernd, trägt seit 1998 die alte evangelische Dorfkapelle in Merxhausen den Namen "Lydia-Kapelle".[4]

In Altendorf bei Holzminden bestand ehemals eine Leinwand- und Drellmanufaktur zur Produktion feiner Waren.[21]

Der Wert des herzoglich-braunschweigschen Leinenexportes wird für den Zeitraum um 1800 zwischen 250.000 - 300.000 Taler beziffert, also etwa 7 - 8,5 Taler pro Einwohner.[22]

Für Merxhausen könnte demnach der dörfliche Leinenausfuhrgewinn statistisch etwa 2.600 - 3.200 Taler, für Heinade etwa 2.000 - 2.500 Taler und für Hellental etwa 850 - 1.000 Taler betragen haben.[23]

 

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[1] zit. in KAUFHOLD 1983, S. 193.

[2] zit. in RAULS 1983, S. 134.

[3] BUSSE 2002, S. 14 ff.

[4] KAUFHOLD 1983, S. 193, 216.

[5] KAUFHOLD 1983, S. 193.

[6] Hierüber liegen bis heute keine nachprüfbaren Informationen vor.

[7] KAUFHOLD 1983, S. 193.

[8] KAUFHOLD 1983, S. 194.

[9] KAUFHOLD 1983, S. 194 f.

[10] zit. in RAULS 1983, S. 134.

[11] TACKE 1943, S. 87.

[12] zit. in RAULS 1983, S. 134.

[13] TACKE 1951.

[14] TACKE 1943, S. 20 f.

[15] TACKE 1943, S. 87.

[16] BUSSE 2002, S. 17.

[17] BUSSE 2002, S. 18; RAULS 1983, S. 134; TACKE 1943, S. 20.

[18] RAULS 1983, S. 134.

[19] TACKE 1943, S. 89.

[20] RAULS 1983, S. 135.

[21] KAUFHOLD 1983, S. 194.

[22] KAUFHOLD 1983, S. 194.

[23] Wie zuvor bei der Garnspinnerei beschrieben, so gibt es auch bei der Leinenweberei bislang keine verlässlichen Auskünfte darüber, welches tatsächliche Einkommen die hausgewerblichen Leinenweber in den vier Dörfern erzielt haben.

[24] KAUFHOLD 1983, S. 194.

[25] GRIMM 2002, S. 37.

[26] KAUFHOLD 1983, S. 216 f.

[27] KAUFHOLD 1983, S. 190.

[28] in allen Teilen des Landes Braunschweig.