GESCHICHTE │ Gesundheit und Heilkunde

Klaus A.E. Weber

Leitender Medizinaldirektor / Amtsarzt a. D.

 

Einigen wenigen ausgewählten Spuren regionaler heilkundlicher, volks- und dorfmedizinischer Traditionen, verbunden mit medizinhistorischen Aspekten, soll sozialmedizinisch nachgespürt werden.[1]

Wollen wir nun Spuren überlieferter volks- und dorfmedizinischer Traditionen im Solling nachgehen, so bedarf es eingangs des Versuches einer kurzgefassten Bestimmung des schillernden, heute weitgehend vergessenen Begriffes „Volksmedizin“.

Zudem ist der Begriff „Volksmedizin“ in Beziehung zum Begriff der so genannten klassischen Schulmedizin zu setzen.

Heute tummelt sich auf dem bunten, gewinnorientierten Gesundheitsjahrmarkt „unkonventioneller Heilmethoden“ und der „Alternativmedizin“ geradezu ein Sammelsurium unscharf gefasster Begriffe und vager Angebote im Wettbewerb.

Wie medizinethnologische und kultursoziologische Studien nachwiesen, sind es vor allem kulturbedingte Vorstellungen, die Menschen dazu veranlassen, bestimmte Heilweisen und Behandlungskonzepte zu akzeptieren oder auch zu verwerfen.

Das betrifft gerade auch die wissenschaftliche Medizin mit den Spielarten ihres diagnostischen und therapeutischen Denkens und Handelns.

Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die jeweils vorherrschenden Medizinsysteme historischen Wandlungsprozessen unterlagen.

 

 

Gesundheit! [2]

Im Mittelalter glaubte man, dass das Gleichgewicht von vier Körpersäften über Gesundheit und Krankheit entscheidet.

Wer es sich leisten konnte, konsultierte einen Arzt, der eine «Urinschau» durchführte.

Im Mittelalter war Gesundheit eine Frage des Geldes: Nur die Oberschicht hatte überhaupt Zugang zu geschulten Ärzten und Chirurgen.

Alle andern ließen sich von Laien- und Wundärzten behandeln.

Basis der mittelalterlichen Medizin war die sogenannte «Vier-Säfte-Lehre».

Sie geht davon aus, dass die vier Körpersäfte Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim für die Gesundheit im Gleichgewicht sein müssen.

Geraten die Säfte aus ihrem natürlichen Gleichgewicht, kommt es zu Beschwerden und Krankheitssymptomen.

Um die Balance wiederherzustellen, braucht es Behandlungen wie Aderlass oder Schröpfen.

Um Krankheiten auf die Spur zu kommen, begutachtete der Arzt des Mittelalters den Urin seiner Patientinnen und Patienten.

Im Harnfarbenkreis orientierte er sich dabei an 20 Farbnuancen, wie beispielsweise «weiß wie Quellwasser».

Wässriger, dünner Urin etwa zeigte einen schwachen, womöglich verschleimten Magen oder eine geschwächte Verdauung an.

Auch heute gewinnen Medizinerinnen und Mediziner wichtige Erkenntnisse aus dem Urin.

Mit der Harnschau im Mittelalter hat dies jedoch nicht mehr viel zu tun.

Heute werden für die Untersuchung chemische Verfahren angewendet.“

 

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[1] „Hexenkraut für Holzfäller - Traditionen der Volksmedizin im Solling“ - In dem lokalgeschichtlichen und medizinhistorischen Vortrag sind am 08. März 2013 im „Lönskrug“ in Hellental Dr. Wolfgang Schäfer (Sozialwissenschaftler, Bodenfelde) und Dr. Klaus A. E. Weber (Sozialmediziner, Hellental) sowie in Dassel und Boffzen 2013/2014 Spuren der Volksmedizin im Solling nachgegangen.

"Von Anschöt, Scheuerchen & Blattern - Traditionen der Heilkunde & Mittelalterlich geprägte Volksmedizin im Solling" - Vortrag von Ltd. Medizinaldirektor i. R. Dr. Klaus A.E. Weber, Hellental, am 22. März 2018 in Holzminden–Neuhaus.

[2] zitiert aus dem Newsletter des Landesmuseums Zürich │ Schweizerisches Nationalmuseum vom 27. Juni 2024.