Manuelle Herstellung von Flachglas
Klaus A.E. Weber
Bei der traditionell-manuellen Fertigung von Flachglas - als Tafelglas bzw. Spiegelglas oder Fensterglas - wird die Glasmasse nach dem Zylinderverfahren oder Scheiben nach dem Butzen-/Mondglasverfahren geformt:
-
Fensterscheiben/Butzenscheiben
-
Kristallspiegelglasscheiben
- Scheiben für Kirchenfenster mit Glasmalereien
Bereits die Römer fertigten voll gegossene Glasplatten; später die Klöster in ihren eigenen Glashütten Fensterglas für Kirchen und Klosterräume..
Gefärbte, undurchsichtige
Fensterscheibenfragmente
Villa rustica
2.-3. Jh. n. Chr.
Museum Roemervilla
Bad Neuenahr-Ahrweiler
Silberberg
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Nach SÜSSMUTH [6] lassen sich für den mittelalterlichen Zeitraum 700-1000 n. Chr. "eine ganze Reihe von Glashütten nachweisen, in denen Fenstergläser gearbeitet wurden".
Flachglas-Fragment
smaragdgrün
rote Schlieren
Hochmittelalterliche
Glashütte
„Am Wiegelweg“
Holzmindetal
Dezember 2018
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Mittelalterlicher Flachglasbedarf
Der romanische Speyerer Dom (Kaiser- und Mariendom zu Speyer) als anschauliche Modellbetrachtung [10]:
-
Verglasung der Fensteröffnungen mit einer Fläche von mindestens 500 m²
- durchschnittliche Dicke einer Fensterglasscheibe von 4 mm
→ Flachglasmenge mit einen Volumen von 1,7 m³ und einem Gewicht von 4,2 t
Zylinderverfahren
Zur manuellen Fertigungsart des Zylinderblasverfahrens für Flachglas zur Fensterverglasung schreibt SÜSSMUTH [4]:
„Das Glas wird zum Külbel, der Kugel, aufgeblasen.
Über das Külbel wird neue Glasmasse genommen, darüber geleichmäßig – durch das „Wulgern“ in einer Holzform, dem „Löffel“, verteilt und zu einem länglichen Hohlkörper aufgeblasen.
Durch Ausschwenken entsteht ein langer zylindrischer Körper, an dessen geschlossenes Ende ein Hefteisen „angepickt“ wird.
Das Glas wird von der Pfeife abgeschlagen und nach vorherigem Erwärmen (erneutes Erhitzen) „aufgetrieben“.
Durch Umlegen eines glühenden Glasfadens wird die andere Rundung abgesprengt, wodurch ein an beiden Seiten geöffneter Zylinder, eine Röhre, entsteht.
Mit einer glühenden Eisenstange wird die Röhre in der Länge aufgesprengt und dann in einem Ofen so aufgewärmt, daß sich der Zylinder „streckt“ und aufrollt.
Der Ofen wird bis auf den heutigen Tag Streckofen genannt.
Durch das „Bügeln“ mittels eines an einer Eisenstange befindlichen Holzklotzes wird nachgeholfen, bis die Glasplatte ganz plan ist.
Bis zu 2 m lange Zylinder wurden geblasen und geschwenkt, und es ergaben sich Glasbehälter von 1x2 m im Geviert.“
Herstellung
von Tafelglas
nach dem
Zylinderverfahren
Darstellung
einzelner Arbeitsschritte
um 1764 [2]
[5]
Schematisierte Rekonstruktion
Produktionsablauf zur
Tafelglas-Herstellung
im Zylinderverfahren
in mittelalterlichen
Glashütten [3]
Mondglasverfahren
Zur manuellen Herstellung der runden Butzenscheiben ( u.a. für Bleiverglasungen) führt SÜSSMUTH [7] aus:
„Der Glasmacher holt mit dem Blasrohr, der Pfeife, glühende Glasmasse aus dem Ofen, wälzt und bläst sie zur Kugel auf.
Mit einem Hefteisen wird die Kugel auf der Gegenseite des Pfeifenansatzes angepickt und von der Pfeife abgeschlagen.
Das Glas wird im Ofen wieder aufgewärmt und mit einem Eisen bei steter drehender Bewegung des Glases geweitet und schließlich aufgeschleudert.
In dieser Weise wurden nicht nur die kleinen Butzen hergestellt, sondern runde Scheiben bis zu 90 und mehr Zentimetern Durchmesser.“
Die Butzenscheiben können grünlichem, aber auch farblosem Glas bestehen ("Venedische Scheiben").
Sie sind kennzeichnet durch einen Abriss ("Nabel") im Zentrum der runden Scheibe.
Schematisierte Herstellung
von Scheiben nach
dem Mondglasverfahren
nach SÜSSMUTH [7]
[5]
Fensterscheiben
Für die Bleiverglasung wurde das Fensterglas zurechtgeschnitten.
Im Mittelalter beginnend, entstanden in Werkstätten prächtige bunte Glasfenster durch Bemalung der bleiverglasten Fensterscheiben mit Emailfarben und Schwarzlot.[9]
Mittelalterliche Fensterscheiben
im Bleinetz zusammengefügten
Glasmalereien
Klosterkirche Amelungsborn
Entstehungszeit
um 1360
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Bemalte Fensterscheibe
1585
Stadtmuseum Einbeck
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Gussverfahren für Spiegelglas
Das venezianische Spiegelglas kennzeichneten einst kleine, geschliffene Scheiben.
SÜSSMUTH [8] beschreibt bei der Flachglasherstellung ein Fertigungsverfahren zur Gewinnung von Spiegelglasscheiben, einhergehend mit dem Schleifen und Polieren der Glasflächen:
„Die Franzosen entwickelten um das 17. Jahrhundert das Gußverfahren , bei dem glühende Glasmasse auf einen Gießtisch geschöpft oder gegossen wurde.
Nach dem Auskühlen in einem Kühlofen wurden beide Flächen der Glasplatte geschliffen und poliert.
Es entstand Spiegelglas.
Später wurde der Inhalt ganzer Häfen über die Gießtische gegossen.
Walzen liefen über die glühende Masse und walzten sie zu einer gleichmäßig starken Scheibe, die auch wieder durch den Kühlkanal geschoben werden mußte.“
Kurmainzer
Spiegelmanufaktur
Ausschnitt aus der
im Maßstab 1:1 nachgebauten
Fabrikanlage
der Kurmainzischen
Spiegelmanufaktur Lohr
Im 18. Jahrhundert
„High Tech“-Verfahren
zur Fabrikation der
„Lohrer Spiegel“
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Kostbarer Spiegel
im "Spiegelzimmer"
Spessartmuseum
Schloß zu Lohr
am Main [1]
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
⊚ Zum Anklicken
"Fürstliche
Spiegelmanufactur
am grünen Platz"
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
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[1] BALD 2008, S. 32-33.
[2] JASCHKE 1997, S. 48. Kupferstich aus: Recueil de planches sur les sciences, les arts libéraux et les arts mécaniques … 1764, Tafel 36.
[3] KAUFMANN 2012, S. 190.
[4] SÜSSMUTH (1950), S. 65-66.
[5] BROCKHAUS 1902, 1002-1044.
[6] SÜSSMUTH (1950), S. 63.
[7] SÜSSMUTH (1950), S. 64-65.
[8] SÜSSMUTH (1950), S. 66.
[9] STEPHAN 2021, S. 27.
[10] JENISCH 2022, S. 27.