Zum regionalen historischen Kontext

Klaus A.E. Weber

 

Häufung von Waldglashütten der Zeit um 1100-1250 im Weserbergland

Die Naturräumliche Region "Weser- und Weser-Leinebergland" im Südwesten Niedersachsens (Oberweserraum) kann heute als "ein Kernraum der historischen Glaserzeugung Europas im Mittelalter bei hoher Anzahl im Gelände lokalisierter mittelalterlicher Hüttenplätzen, besonders aus dem 12./13. Jahrhundert, auch aus dem 14./15. Jahrhundert" gekennzeichnet werden.[6]

Das 12./13. Jahrhundert war eine mittelalterliche Epoche der Herrschaft, Repräsentation und Frömmigkeit, geprägt von Burgen, Rittern, Klöstern und aufkommenden Städten.

Kirchen- und Klostergründungen wurden zu sichtbaren Zeichen der geistlichen Macht und Gottesherrschaft.

In jenem Zeitraum erfolgte der epochale „Aufbruch in die Gotik“ [8] mit technischen Innovationen.

Dem DBU-Forschungsbericht [4] ist hierzu zu entnehmen:

Die erste Hauptphase der mittelalterlichen Waldglashütten um 1100-1250/1300 mit der stärksten Konzentration an Glashütten korrespondiert weitgehend mit den Höhepunkten sakraler und gehobener profaner Bautätigkeit in der Romanik ab etwa 1100/1150.

Seinerzeit vergrößerte man die Fensterflächen und den Lichteinfall in dem nunmehr auf breiter Linie ein ganz neues, überaus hohes Qualitätsniveau erreichenden Bau- und Ausstattungswesen ganz erheblich.

Fensterglas wurde in den neu entstehenden bzw. sich stark entwickelnden älteren Märkten und Städten, auf Burgen und selbst für dörfliche Kirchen in bis dahin unbekanntem Umfang auch überregional bis hin nach Skandinavien und Osteuropa nachgefragt.

Diese hoch innovative kulturelle Entwicklung in der Architektur und (Wohn-) Kultur förderte den regionalen Absatz, nicht zuletzt aber auch den Fernhandel.“

 

Weltliche und geistliche Grundherren

Nach STEPHAN [12] war die Glaserzeugung in den waldreichen Landschaften des Weserberglandes „eine wichtige Einnahmequelle für die Grundherren, insbesondere wohl für die Landesherrschaften als Herren großer Teile des Waldes“.

Da im Hochmittelalter die Interessen weltlicher und kirchlicher Grundherrschaften siedlungsprägend waren, ergeben sich hinsichtlich der Gründung und des Betriebs hoch- bis spätmittelalterlicher Waldglashütten im Umfeld des Hellentals soll folgenden Fragen zumindest ansatzweise nachgegangen werden:

  • Welchen Anteil hatten Waldglashütten bei der Erschließung, dem Ausbau und der Intensivierung hiesiger Kulturlandschaftsflächen?

  • Wer waren um 1170–1300 die „big player“ als die Waldglashütten im Umfeld des Hellentals gründet und betrieben wurden - und vor etwa 1170 im Solling keine Märkte und Städte vorhanden waren?

  • Wer übte in diesem Gebiet die Grundherrschaft mit den wertvollen Holzbeständen aus?

  • Wer verfügte über eigenes oder fremdes betriebstechnisches Know-how, Waldglas zu erzeugen oder erzeugen zu lassen?

  • Wer waren die Gründer und Betreiber der Glashütten und wem lieferten sie ihre Glaswaren?

  • Waren die hoch- bis spätmittelalterlichen Waldglashütten im Umfeld des Hellentals Klosterglashütten, möglicherweise des in der Nähe gelegenen Klosters Amelungsborn?

Grundsätzlich können hier auch Waldglashütten der nahe gelegenen Mittelgebirge Vogler und Homburgwald in Betracht gezogen werden.

 

Grundherrschaften und ihre wirtschaftliche, rechtliche und machtpolitische Basis

Zu den Grundherrschaften wichtiger sächsischer Adelsfamilien des 10. bis 12. Jahrhunderts siehe STEPHAN [9].

Als große politische und territoriale „big player“ jener Zeit gelten in der hier betrachteten Sollingregion

Im historischen Kontext mit der Glasverarbeitung in den baubezogenen Klosterwerkstätten des Benediktinerklosters Corvey [2] konnte am Südrand des Sollings auf Königsgrund bereits eine Waldglashütte des 9. Jahrhunderts mit dem Fokus auf der Fertigung von Fensterglas lokalisiert werden.[3]

Die im Jahr 822 in einer Weserschleife auf sächsischem Boden gegründete Reichsabtei verfügte seinerzeit über reiche Besitzungen im Umfeld und Waldrechte im Solling.

 

Pionierfunktion für den Ausbau von Ackerland

Grundlegende Betrachtungen zur Siedlungsgeschichte und zum Wandel der mittelalterlichen Kulturlandschaft im Oberweserraum finden sich in Veröffentlichungen von STEPHAN [6].

Wie STEPHAN [10] zur hoch- bis spätmittelalterlichen Raumerschließung am Solling exemplarisch ausführt, hatten möglicherweise Glashütten „Pionierfunktionen für den Ausbau des Ackerlandes im Bereich zwischen Nienover, Dankwardessen und Helmwardessen von 1150-1250“.

Des Weiteren führt STEPHAN hierbei aus: „Abgesehen von einigen Bereichen, in denen Glashütten in der Zeit um 1200 Pionierfunktionen für Rodung und Siedlung erfüllten, sind die sich langsam konkret abzeichnenden Glashüttenregionen wichtige Indizien für im 13. Jahrhundert noch verbliebene, mutmaßlich bewußt geschützte Waldgebiete.

Mit Blick auf die Schwarzwald-Region, einem wichtigen Zentrum der historischen Glasherstellung im Südwesten, führt JENISCH [14] aus, dass weltliche und geistliche Grundherren dort gezielt die Ansiedlung von Glasmachern förderten, „vermutlich um auch um Ackerflächen für eine spätere Besiedlung zu erschließen“.

Waren vor etwa 1170 im Solling keine Märkte und Städte vorhanden, so entwickelte sich während der mittlalterlichen Rodungen im 12.-14. Jahrhundert etwa zeitgleich eine landesherrliche Stadtgründungswelle, insbesondere in Anschluss an landesherrliche Burgen, was letztendlich auch zur verstärkten Nachfrage nach Glaswaren geführt haben dürfte.[1]

Spätestens Ende des 15. Jahrhunderts gelangte Fürstenberg mit seinem ausgedehnten Waldbesitz im Solling in den Besitz der Wolfenbütteler Welfen, wobei sich das Territorium des Amtes Fürstenberg um 1589 u. a. über die Ortschaft Merxhausen am nördlichen Sollingrand erstreckte - und damit auch im Nordsolling das Hellental umfasste.

Zu Gunsten des Amtes Holzminden wurde Mitte des 17. Jahrhunderts das Amt Fürstenberg verkleinert.

 

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[1] STREICH 1996, S. 37.

[2] STREICH 1996, S. 97-101.

[3] STEPHAN 2020, S. 125.

[4] DBU 2018, S. 26.

[6] STEPHAN 2017, S. 8-16.

[8] PUHLE 2009.

[9] STEPHAN 2010, S. 62-63 Abb. 21.

[10] STEPHAN 2010, S. 68-72.

[12] STEPHAN 2010, S. 133.

[13] DBU 2018, S. 105.

[14] JENISCH 2022, S. 27.