Hohlglasgefäße der römischen Hochkultur

Klaus A.E. Weber

 

Vierkantige römische

Vorratsflaschen

50-150 n. Chr.

Rijksmuseum van Oudheden

Leiden

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Vorbildlich mit vielfältigen Formen, reich an Verzierungen

Roman Glass

World History Encyclopedia

 

Hoher römischer Trinkbecher

eingravierte lateinische

Großbuchstaben

"SABINI" [34]

Römisch-Germanisches

Museum Köln

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Prunkgläser und Gebrauchsgläser

Vom zerbrechlichen Luxus mit Prunkgefäßen zur Massenware des täglichen Gebrauchs

Recherchierbarer digitaler Sammlungskatalog der WLM Glassammlung Ernesto Wolf:

 

Wenngleich im Imperium Romanum ähnliche Glasformen in kaum abweichender Qualität in zahlreichen Werkstätten

  • im Kernland Italien - 14 n. Chr. Glasmacherwerkstätten in Rom [64]

  • in Spanien

  • in der Region an den Ufern des Schwarzen Meeres

  • vermutlich auch an der afrikanischen Küste

erzeugt werden konnten, so lagen dennoch die Glas produzierenden Zentren weiterhin in

  • Syrien

  • Mesopotamien

  • Unterägypten

aufgrund der vorzüglich geeigneten Sande und der natürlichen Lagerstätten von

  • Natursoda ⦋Natriumcarbonat (Na2CO3)⦌

  • Natron ⦋Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3)⦌,

welche bei der Glasgewinnung als Flussmittel eingesetzt werden konnten.[49]

Vorrangig dienten Muschelschalen als Calcium-Quelle.

Vor diesem Hintergrund bezogen die im Imperium Romanum aufkommenden Glashütten Jahrhunderte lang ihr Soda aus Lagerstätten des Vorderen Orients (Ägypten), was ein hochentwickeltes see- und landgestütztes Fernhandelssystem erforderte.

Dabei ist zugleich auch davon auszugehen, dass kaiserzeitlich eine Arbeitsteilung zwischen Glaserzeugung (weiterverarbeitungsfähiges Rohglas) einerseits und Glasverarbeitung andererseits bestand.

Wie TSCHIRR [64] ausführt, sollen in Spanien nach den "eigenartigen Glasformen" bereits vor der Eroberung durch das Römische Reich Glaswerkstätten bestanden haben.

Nach STEPHAN [62] waren im antiken „Mittelitalien nach Schriftzeugnissen und archäologischen Ausgrabungen die Rohglasherstellung in Waldgebieten und die Glasverarbeitung in Siedlungen strikt getrennt“.

So ist nach wie vor nach KRAMER [66] davon auszugehen, „dass wenige »mega-producers« im östlichen Mittelmeer das gesamte römische Imperium mit Rohglas versorgt haben“.

Nach RICKE wurde der Aufstieg des Römischen Reiches zur Führungsmacht der antiken Welt von einem ungeahnten Aufschwung der Glasherstellung im Mittelmeerraum begleitet.[49]

Als eine der schöpferischsten Perioden der Glasgeschichte und als absolutes Vorbild für alle folgenden Blütezeiten gilt die römische Epoche - mit ihrer Formenvielfalt und ihrem Verzierungsreichtum an frei geblasenem und variant geformtem Glas.

Hervorzuheben sind vor allem kleinere und größere Formen geblasenes klares durchsichtiges Gebrauchsgläser, wie Krüge, Becher, Schalen und Flaschen.

Zudem treten als kunstvoll gestaltete Ziergläser zahlreiche Verzierungsarten auf, wie plastische Rippen, Riefen, Schliffmuster und ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. aufgelegte farbige Nuppen und Zickzackfadenauflagen.[57]

 

Antike Gläser als Grabbeigaben:

Becher

Ascheurne (Brandbegräbnis) [50]

Doppelhenkelflasche

Römisches Reich (verm. Rheinland)

Naher Osten

1.-2. Jahrhundert n. Chr.

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast Düsseldorf

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Römische Glasurne

1.-2. Jahrhundert n. Chr.

Kastell Saalburg im Taunus

Obergermanisch-Raetischer

Limes

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Das Soda-Kalk-Glas war im Imperium Romanum einerseits ein „zerbrechlicher Luxus“ mit Zier- und Prunkstücken, andererseits zugleich aber auch eine Massenware für römische Haushalte und für den imperialen Handel.[52]

Glas wurde wegen seiner Geruchsneutralität bei Römern, wie später auch bei den Franken, geschätzt, ebenso auch seine Verwendung als Tafel- und Vorratsgefäß und als Urne.

Glasgefäße dienten wohl auch propagantistischen Zwecken mit Darstellung der psychischen Stärke und kulturellen Überlegenheit gegenüber den Barbaren, insbesonder in Grenzregionen.

  • Geformtes Hohlglas entstand im 4.-1. Jahrhundert v. Chr.
  • Echt (optisch) geblasene Gefäße ab Mitte ⎸2. Hälfte 1. Jahrhundert v. Chr.

 

(a)

(b)

Weit verbreitete, verschiedenfarbige

römische Rippenschalen

Römisches Reich

Italien

(a) Zarte Rippenschalen

2. Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr.

(b) Schwere Rippenschalen,

30-60 v. Chr.

Glasmuseum Hentrich

Museum Kunstpalast Düsseldorf [51]

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Für gläsernes römisches Tafelgeschirr war die intensive Farbigkeit der Gefäße in der frühen Kaiserzeit (1. Jahrhundert v. Chr. - 1. Jahrhundert n. Chr.) charakteristisch, entsprechend der hellenistischen Tradition.

Die Glaskunst der frühen römischen Kaiserzeit wurde um 50-150 n. Chr. nachhaltig von der vielgestaltigen Luxusglasherstellung im ägyptischen Alexandria bestimmt [48], wobei verschiedenfarbige Rippenschalen als Trink- oder Auftragsschalen bei der römischen Tafel sehr beliebt waren.

BISCHOP [2] berichtet vor dem Hintergrund, dass römisches Glas in den ersten beiden Jahrhunderten n. Ch. nur selten bis an die Weser gelangte, über den Fund eines blau-weißen Glasgefäßbruchstückes einer in die ersten Jahrzehnte n. Chr. datierten römischen Mosaik-Rippenschale (tiberisch/claudisch) als Luxusgefäß aus der älterkaiserzeitlichen Siedlung im Vahrer Feld nordöstlich von Bremen.

Zugleich beschreibt BISCHOP [2] den Herstellungsprozess römischer Rippenschalen.

In die rotierende Form gepresste Farbglasschalen, wie auch die Millefiori - und Mosaikglasteller, wurden, wie auch andere Glasgefäße, aus der hellenistischen Kulturwelt übernommen.[49]

Nach RICKE treten seit dem 2. Jahrhundert in der späteren Kaiserzeit im Erscheinungsbild mehr und mehr Transparenz, Leitigkeit und der Oberflächenglanz des Materilas in den Vordergrund, verbunden mit einer zunehmenden Tendenz im Dekorverständnis zu einer reicheren Detaillgestaltung, farblichen Akzentuierung sowie geschliffener und gravierter Dekors.[52]

Hierfür ist der farblose römische Glasbecher aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. mit dem germanischen Namen MERVEIFA (vielleicht Besitzerinschrift) ein kulturübergreifendes Beispiel.[63]

 

Der Werkstoff Glas gelangte mit den Römern in den Raum nördlich der Alpen

Glasimporte aus der Zeit um Christi Geburt kam als kostbares mediterranes Handelsgut aus Syrien in das Römische Reich.

Gläser wurden schließlich bis in die niedergermanische Provinz importiert.

Hierbei gab es während der römischen Kaiserzeit provinzübergreifende Moden bei gängigen Glasgefäßen und -dekore, so dass bei der Zuordnung zwischen dem Ort ihrer Herstellung und dem ihrer Nutzung zu unterscheiden ist.[25]

 

Fabenfrohe Schälchen

dunkelrotes, grünes

und weißes opakes Glas

frühes 1. Jahrhundert n. Chr.

Römisch-Germanisches

Zentralmuseum Mainz

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die Innovation der Glasmacherpfeife in der römischen Provinz Syrien

Die Glaserzeugung in römischen Provinzen gelangte infolge der sidonischen glastechnischen "Revolution" mit der Glasmacherpfeife zur Blüte.

Erstmals war dadurch eine große Gefäßvariabilität für unterschiedliche Verwendungszwecke möglich.

 

Absolutes Vorbild

Die Glaskunst der Römer blieb für alle folgenden Blütezeiten das absolute Vorbild.[1]

Bis zur römischen Antike wurde Glas auch rot gefärbt (opakrotes Glas u.a. mittels Beimengung von Kupfer und Einhaltung bestimmter Schmelzbedingungen), wie es der bis heute einzigartige spätantike "Lykurgos-Becher" mit teils vollplastischem Hochschnitt zeigt.[6]

 

Antike Zierschale

aus blauem Glas

Ausstattung eines

reichen Kammergrabes

  1. 4. Jahrhundert n. Chr.

  2. Schiffstyp, 1. Jahrhundert n. Chr. (?)

Museum für

Antike Schifffahrt

RGZM Mainz

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Verwendung von Glas in antiken römischen Haushalten [14]

Mit der Herstellung von Massenware für den täglichen Gebrauchs wurde Glas verstärkt auch zur Handelsware und zugleich zum Zeugnis der Überlegenheit der römischen gegenüber der barbarischen Kultur.[49]

Nahezu alle in römischen Haushalten benötigten kleinen Gefäße und Geräte wurden seit dem 1.-2. Jahrhundert n. Chr. - neben Tafelgeschirr aus Keramik (Terra Sigillata) oder Holz - in Glas hergestellt.[49]

  • Verpackung für Flüssigkeiten und empfindliche Stoffe: Behältnisse für Salböle (Salbölbehälter, Salbgefäße, "Merkurflaschen"), Duftstoffe/Parfüm, Kosmetika bzw. kostbare Essenzen, Arzneimittel
  • Tischgeschirr │ Speise- und Trinkgeschirr: Kannen und Krüge, Teller/Schalen, Trinkhörner, Becher, Pokale, Näpfe
  • Maßgefäße (Volumen), (Stapel-)Gewichte, Trichter, "Saugheber"
  • Vorratsgeschirr zur ungeziefersicheren Aufbewahrung von Lebensmitteln
  • Lampen, Kerzenhalter, Tintenfässer
  • Kinderspielzeug und Spielsteine
  • Glasschmuck: Halsketten, Ohrgehänge, Glasgemmen für Fingerringe
  • Fensterglas als übliche Ausstattung römischer Wohnhäuser und Thermen
  • Graburnen für Brandbegräbnisse (Ascheurnen): Amphoren, Krüge, Kugeltöpfe
  • Glasperlen als Spielsteine

 

Spätrömisches Tischgeschirr

Glas

Teller, Schale, Becher

und Näpfe

Römisch-Germanisches Museum

Köln

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Römischer Glasteller

Kunsthistorisches Museum

Wien

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Spätrömisches Glas

Gräberfeld Basel-Aeschenvorstadt

Aus diesem römisch-frühmittelalterlichen Gräberfeld konnte eine Perlenkette der 2. Hälfte 4. Jahrhundert n. Chr. geborgen werden (Frühmittelalter Basel│5.–9. Jahrhundert).[59]

Des Weiteren ließen sich in Gräbern des spätrömischen Friedhofes als Grabbeigaben zahlreiche frei geblasene kleine Glasflaschen - "Unguentarien" - nachweisen, die kostbare Salböle, Parfüme oder auch Farbstoffe für Schminke enthielten und hiermit den hohen sozialen Status von Frauen und Männern im 4. Jahrhundert n. Chr. bezeugen.[60]

 

Saugflaschen

kleine Tülle für Kinder

Keramik

30-100 n. Chr.

Glas

170-230 n. Chr.

2. Jahrhundert bis

frühes 5. Jahrhundert n. Chr.

Colonia Augusta Raurica

Basel Landschaft

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

"Gläser für die Ewigkeit" [61]

Eine Jagdschale aus Stein am Rhein wurde vermutlich zwischen 260 und 290 n. Chr. in einer Manufaktur im Rheinland hergestellt.

Die Trinkschale zählt zu den besonders kostbaren Glasfunden aus römischer Zeit.

 

Kunstvoller spätantiker

Glasbecher

4. Jahrhundert n. Chr.

Netzbecher (Diatretglas)

römisch

Daruvarn

Kunsthistorisches Museum

Wien

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

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[1] nach: Museum Kunstpalast – Spot on 07 Düsseldorf 2011.

[2] BISCHOP 2023. S. 47-50.

[6] KERSSENBROCK-KROSIGK 2001, S. 15-19.

[14] TRIER/NAUMANN-STECKNER 2016, S. 41-52.

[25] TRIER/NAUMANN-STECKNER 2016, S. 91.

[34] Das mittelitalienische Volk der Sabiner (Sabini) war in der Antike ein unmittelbarer Nachbar der Römer und stammte von den Umbrern in den Sabiner Bergen des Apennins ab („Raub der Sabinerinnen“).

[48] RICKE 1995, S. 16.

[49] RICKE 1995, S. 20.

[50] RICKE 1995, S. 28 (26).

[51] RICKE 1995, S. 28 (23-25).

[52] RICKE 1995, S. 20-35.

[57] Sonderausstellung des Landesmuiseum Mainz 2019: "Zu Tisch!" 2000 Jahre Genusskultur in Rheinland-Pfalz entdecken.

[59] ARCHÄOLOGISCHE BODENFORSCHUNG BASEL-STADT / HISTORISCHES MUSEUM BASEL 2008, S. 176-177.

[60] ARCHÄOLOGISCHE BODENFORSCHUNG BASEL-STADT / HISTORISCHES MUSEUM BASEL 2008, S. 198-200.

[61] Blog-Artikel des Schweizerischen Nationalmuseums vom 24. Juli 2020 von Felix Graf, bis 2017 Kurator am Landesmuseum Zürich, jetzt freier Publizist.

[62] STEPHAN 2020, S. 126.

[63] PÖPPELMANN/DEPPMEYER/STEINMETZ 2013, S. 369-370.

[64] TSCHIRR 2009, S. 21.

[66] KRAMER 2021, S. 31.