Trichinenschauzwang im Herzogtum Braunschweig

Klaus A.E. Weber

Leitender Medizinaldirektor / Amtsarzt a. D.

 

In den 1860er-Jahren hatte die Trichinenkrankheit“ - die Trichinose - als Infektionskrankheit mit epidemischem Potential auch im Herzogtum Braunschweig eine hervorgehobene gesundheitliche Bedeutung, wobei der hohe Verbreitungsgrad vor allem beim Schweinefleisch eine entscheidende bevölkerungsmedizinische Rolle.[1]

Schließlich wurde im Herzogtum Braunschweig zur allgemeinen Vorbeugung die Fleischbeschau mit Untersuchung auf Trichinella-Larven zunächst beim Schweinefleisch, später auch beim Wildschweinfleisch und bei hausgeschlachteten Hunden verpflichtend.

Gleichwohl eine Trichineninfektion beim Haus- und Wildschwein in der Regel nur als Einzeltiererkrankung auftritt, wurde es im Herzogtum Braunschweig als erforderlich erachtet, vorsorglich jedes geschlachtete Schwein amtlich sorgfältig auf Trichinella-Larven untersuchen zu lassen.

Da bekannt war, dass gut durchblutete Muskeln bevorzugt befallen werden und dort verkapselt vorkommende „Muskeltrichinen“ nur mit einem Mikroskop zu erkennen waren, wurde das Lichtmikroskop bei der amtlichen Trichinenschau als Untersuchungsinstrument eingeführt.

Nachdem zunächst durch Ortsstatut in einzelnen Städten und Ortschaften die lichtmikroskopische Untersuchung von Schweinefleisch eingeführt worden war, trat flächendeckend im gesamten Herzogtum Braunschweig das am 15. März 1866 von Herzog Wilhelm (1806–1884) erlassene Gesetz [2] „betreffend den Schutz des Publikums gegen den Genuss trichinenhaltigen Schweinefleisches“ am 01. Oktober 1866 in Kraft, mitunterzeichnet vom Staatsminister Karl Ferdinand von Campe (1808–1874), Deensen.

Somit war auch in den Gemeinden Heinade, Merxhausen und Hellental des Kreises Holzminden jedes geschlachtete Hausschwein vor seiner Zerlegung am Schlachtort von einem Sachverständigen (Trichinenschau) mit Hilfe eines Mikroskops auf Trichinenfreiheit zu untersuchen.

Mittels eines Ausweises erteilte die herzogliche Kreisdirektion Holzminden die gebührenpflichtige Befugnis, geschlachtete Schweine amtlich auf Trichinen untersuchen zu dürfen.

Die Befugnis zur amtlichen Trichinenuntersuchung durfte nur an jene Personen übertragen werden, die zuverlässig waren und über die dazu erforderliche Befähigung verfügten.

Darüber hinaus hatte sich die Kreisdirektion zur Konstatierung der Befähigung mit dem Herzoglichen Obersanitätskollegium in Kommunikation zu setzen, welches erforderlichen Falls durch eines seiner ärztlichen Mitglieder oder einen damit beauftragten Physikus oder Arzt die Befähigung ermitteln und attestieren lässt.

Bestellte Trichinenschauer waren amtlich zu verpflichten oder auf ihre schon bestehende Amtspflicht zu verweisen und öffentlich bekannt zu machen.

Die Gemeinden waren verpflichtet, die zur Trichinenuntersuchung benötigten Mikroskope aus der Gemeindekasse zu finanzieren, wenn nicht über deren Beschaffung mit den bestellten Trichinenschauern ein anderes Übereinkommen getroffen worden war.

In den Gemeinden der Dorf:Region des herzoglichen Kreises Holzminden war mindestens am Vortag das Schlachten eines Hausschweins gegenüber dem örtlichen Trichinenschauer anzeigepflichtig.

Über die Untersuchung des als trichinenfrei befundenen Hausschweins war vom Trichinenschauer eine schriftliche Bescheinigung zu erteilen.

Fleischteile, welche der Trichinenuntersuchung zu unterwerfen waren, hatte der Trichinenschauer selbst zu entnehmen oder in seinem Beisein entnehmen zu lassen.

Erklärte der Trichinenschauer der Gemeinden Heinade, Merxhausen und Hellental ein Hausschwein als „trichinenhaltig“, so war er verpflichtet, die Polizeibehörde "sogleich in Kenntnis zu setzen".

Darüber hinaus war die sichere Aufbewahrung "des krank befundenen Schweines anzuordnen".

Die Polizeibehörde ihrerseits verfügte "die Vernichtung und hinreichend tiefe Verscharrung aller Teile des Schweines und des Inhalts der Eingeweide".

War dem hingegen vorgesehen, durch das Auskochen des Fleisches auf gefahrlose Weise Fett zu gewinnen, so war "dasselbe von der Polizeibehörde zuzulassen und unter deren Kontrolle sowie mit Befolgung der Anordnungen auszuführen, welche wegen der ausgekochten Masse von der Polizeibehörde getroffen werden“.

Gleiches galt auch für jene Gewerbetreibende, die in den Gemeinden Heinade, Merxhausen und Hellental vom Ausland bezogenes Schweinegut in den Verkehr brachten.

Die Landesverordnung vom 18. März 1866 zur Ausführung des herzoglichen „Verbraucherschutzgesetzes“ regelte dann detailliert verwaltungsrechtliche wie untersuchungstechnische Belange zum Schutz des Menschen vor trichinenhaltigem Schweinefleisch.

"Damit die Ermittelung der Befähigung zur Trichinenuntersuchung in der raschesten und am wenigsten kostspieligen Weise geschehen könne, hat Herzogliches Obersanitätskollegium in den verschiedenen Kreisen des Landes eine genügende Anzahl geeigneter Ärzte mit dem Prüfungsverfahren zu beauftragen, dieselben amtlich auf eine ihnen zu erteilende spezielle Instruktion zu verpflichten und deren Namen in den Braunschweigischen Anzeigen bekannt zu machen."

In der Stadt Braunschweig war vom Obersanitätskollegium ein überregionales Depot für die bei der Trichinenuntersuchung anzuwendenden Mikroskope anzulegen.

Dadurch konnten Gemeindebehörden von Heinade, Merxhausen und Hellental durch Vermittlung der herzoglichen Kreisdirektion in Braunschweig bei der Herzoglichen Polizeidirektion den lokal nötigen Bedarf beziehen.

Einen weiterentwickelten Qualitätsstandard zur Untersuchung und gesundheitspolizeilichen Behandlung von Fleisch für den menschlichen Verzehr formulierte am 10. Mai 1905 die Bekanntmachung des Herzoglichen Staatsministeriums, betreffend die Trichinenschau, als Ausführungsbestimmung zum Gesetz,"betr. die Trichinenschau", vom 01. Mai 1905 Nr. 26.

Während Gewerbetreibende („Fleischer, Hoken usw.“) ein sechs Rubriken umfassendes „Fleischbuch“ zu führen hatten, war es Nichtgewerbetreibenden freigestellt, eine solche Buchdokumentation zu halten; ansonsten bedurfte es eines „besonderen Attestats“.

Zur Trichinenuntersuchung waren die arteriell gut durchbluteten Fleischteile vom „Bauchmuskel, vom muskulösen Teile des Zwerchfells und vom Halsmuskel“ zu entnehmen.

Hierzu wurden sowohl die Probenahme als auch die lichtmikroskopische Untersuchung vom Herzoglichen Obersanitätskollegium durch spezielle Instruktion standardisiert einheitlich vorgegeben.

Ein „geeignetes Lokal“ sowie Wasser zum Reinigen der Gläser waren dem untersuchenden Trichinenschauer am Schlachtort „zur Disposition zu stellen“.

Mit den herzoglichen Verordnungen vom 06. Juni 1877 und 12. Februar 1878 wurden einzelne Vorschriften der ursprünglichen Verordnung aus dem Jahre 1866 modifiziert.

Am 04. Juni 1893 wurde das Gesetz Nr. 31, "betreffend den Schutz des Publikums gegen den Genuss trichinenhaltigen Wildschweinefleisches", erlassen, mit der Anordnung der mikroskopischen Untersuchung des Fleisches erlegter Wildschweine.

Da zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Deutschen Reich zwar die Anzahl trichinöser Schweine gegenüber früheren Jahren erheblich zurückgegangen war, sie aber immer noch eine bevölkerungsmedizinisch relevante Größenordnung erreichte, traten mit dem Reichsgesetz vom 03. Juni 1900 und den hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen, "betreffend die Schlachtvieh- und Fleischbeschau" (Reichsfleischgesetz), auch rahmengesetzliche Neuregelungen zur amtlichen Trichinenschau in Kraft.

Regelungen der Ausbildung, Prüfung und Bestellung von Trichinenschauern waren nach dem Reichsfleischgesetz den jeweiligen Landesregierungen vorbehalten, ebenso solche zur Durchführung der Trichinenschau.

Als selbständige Einrichtung war die amtliche Trichinenschau bei Schweinen vornehmlich in den in norddeutschen Bundesstaten eingeführt worden; so im Herzogtum Braunschweig.

Im Land Braunschweig löste Albrecht (1837–1906), Prinz von Preußen und Regent des Herzogtums Braunschweig, die bisherigen Bestimmungen ab, indem er im Kontext des Reichsfleischgesetzes das Landesgesetz, "betreffend die Trichinenschau", vom 01. Mai 1905 Nr. 26 in Verbindung mit der entsprechenden Bekanntmachung des Herzoglichen Staatsministeriums vom 10. Mai 1905 erließ.

Hiermit wurde die Trichinenschau in Anlehnung an die allgemeine Fleischbeschau im Herzogtum Braunschweig neu geregelt und zugleich auch der „Trichinenschauzwang“ bei hausgeschlachteten, aber nicht fleischbeschaupflichtigen Hunden eingeführt.

Die Trichinenschau bei Hunden wurde deshalb erforderlich, da diese Tiere ein besonderes Erregerreservoir für Trichinella bildeten und gegenüber Hausschweinen bei ihnen häufiger Trichinella-Larven zu finden waren.

Im Herzogtum Braunschweig waren alle Haus- und Wildschweine, "deren Fleisch zum Genusse für Menschen verwendet werden soll", auf Trichinen hin zu untersuchen.

Praxisorientiert wurde im Herzogtum Braunschweig vom Landesmedizinalkollegium für die Trichinenschauer eine besondere "Anleitung" erlassen.[3]

 

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[1] Übersicht bei WEBER 2012a.

[2] Gesetz- und Verordnungs-Sammlung No. 25, Braunschweig, den 5. April 1866, S. 79–85.

[3] WEBER 2006a, S. 73-83.