Nach 1945: "Kollektive Amnesie" und Komplizenschaft

Klaus A.E. Weber

 

"Alle waren stille, so war es eben so ..."

 

Hannoversche Presse

3. Jg. Nr. 19

24. Januar 1948, S. 4.

 

Die Nürnberger Prozesse von 1945 [5]

Ganz Deutschland war vom Nationalsozialismus infiziert gewesen ("Nazi-Deutschland").

Am 20. November 1945 begann in Nürnberg der 218 Tage währende Prozess gegen Hauptverantwortliche der monströsen NS-Verbrechen -auch "zur Belehrung für die Zukunft".

Die Nürnberger Prozesse und die sich anschließenden Nachfolgeprozesse richteten sich gegen gesellschaftliche Eliten des "Dritten Reiches" in Partei, Regierung, MIitär und Terrorapparat.

 

Beginn der Zeit der "Unschuld" und der "kollektiven Amnesie" [13]

"Der Umgang mit der Geschichte gegen die Nazi-Diktatur hat viele ideologisch gefärbte Variationen durchlaufen."[12]

 

Nur keine Fragen stellen!

Nahe Berchtesgaden entdeckte am 09. Mai 1945 der Buchhändler aus Philadelphia und Angent des Counter Intelligence Corps der US-Armee Georg Allen (1920-1998) die Überreste der Besprechungsprotokolle Adolf Hitlers und seiner SS-Generäle (Lagebesprechungen von September 1942 bis April 1945) - "Ein Fund, der Geschichte schreiben sollte".[4]

 

Die Tat von Georg Elsner beschämte nach dem Krieg

Der hochbegabte Handwerker Johann Georg Elser (1903-1945) von der Schwäbischen Alb war ein einzelgängerischer Gegner des Krieges und des Nationalsozialismus,

Der Schwabe Georg Elsersah früher als andere, besser Gebildete und sozial besser Situierte die Folgen nationalsozialistischer Gewaltpolitik voraus, und zo Konsequenzen aus dem, was er mit scharfem Verstand beobachtete und unbestechlich analysierte.“[12]

Perfekt vorbereitet, brachte er als Einzeltäter am 08. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller - ein Gasthauskeller für politische Veranstaltungen während der Weimarer Republik - um 21:20 Uhr eine Bombe zur Explosion.

Der irritierende Münchener Attentäter ist ein weiteres Beispiel "kollektiver Amnesie.

Der am 09. April 1945 im Konzentrationslager Dachau umgebrachte Georg Elser führte lange nach dem Krieg ein Schattendasein „in der Galerie deutscher Widerstandkämpfer".[2]

Der mutige, pietistische Schreinergeselle wurde jahrelang ignoriert.

Hierzu konstatieren die Historiker Peter Steinbach und Johannes Teichel [3]:

"Georg Elsner war eine Herausforderung.

Er machte deutlich, dass ein einfacher Mann aus dem Volke sich zu einer weltgeschichtlichen Tat aufraffen konnte.

Er strafte all jene Lügen, die sich weiterhin einredeten, sie hätten dem Terror des NS-Staates nichts entgegensetzen können."

 

Fortbestand der Täter*innen-Struktur

Es beginnt in Deutschland jene Zeit der "kollektiven Amnesie" [1], in der der Vernichtungskrieg des faschistisch-nationalsozialistischen Deutschlands kein Thema war - und die Nationalsozialisten noch für lange Zeit allgegenwärtig präsent waren, wohl auch in der hiesigen Dorf:Region.

Man verdrängte und stellte sich gern als "Opfer" dar, während dem hingegen andere hoffend dachten:

"Den Nazi-Schweinen geht's nun an den Speck."

Noch in der Studentenzeit des Autors während der 1970er Jahre wurde öffentlich skandierend u. a.  folgende Slogan verwandt:

Denn die so genannte Entnazifizierung war letztlich entgleist und die nationalsozialistische Vergangenheit längst nicht aufgearbeitet.

 

Gewinnmaximierung

"Hauptsache: Geld, Geld, Geld" [6]

In der „politisch chaotischen Nachkriegszeit“ nahm die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) unter Vorsitz von Konrad Adenauer  (1876-1967) ihren Anfang.

Mit vielfältigen Verflechtungen mit der Wirtschaft in Verbindung mit ihren zahlreichen skandalösen Affären bei der Parteifinanzierung machen die Christdemokraten seither überwiegend Parteipolitik gemäß ihrer Wachstumslogik für Reiche und für gewinnorientierte Unternehmen.

 

Nachkriegsjustiz

Der Jurist Hans Luther (1909-1970), der 1942 als Polizeikommandeur der Nationalsozialisten in Bordeaux die Résistance verfolgte und die Erschießung von 70 Geißeln angeordnet hatte, avancierte zum Frankfurter Richter – und vom Kriegsverbrecher zum Historiker.[9]

Der Marburger Jurist Professor Erich Schwinge (1903-1994), Doktorvater von Hans Luther, war trotz seiner NS-Vergangenheit 20 Jahre lang Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät und zeitweise Rektor der Philipps-Universität in Marburg.[9]

Erst nach 76 Jahren sollen 2021 mehrere juristische Standardwerke wegen ihrer nationalsozialistisch kontaminierten Herausgeberschaft umbenannt werden.[7]

ORTNER [7] schreibt über "Deutschlands braune Gesetzgeber":

"... Die Generation der Täter und die ihrer Nachfolger schlossen gewissermaßen einen generationsübergreifenden Pakt: eine Komplizenschaft, die auf konsequente Ausgrenzung, Strafverfolgung und Verurteilung verzichtete: Die Ära Adenauer - der große Frieden mit den Tätern, Mitläufern und Wegsehern.

In Ministerien und Gerichtssälen hielten ehemalige Parteigänger und Funktionsträger (der NSDAP) wieder Einzug, auch in den juristischen Fakultäten.

Alles bekannt - und wird doch vergessen."

 

Fritz Bauer: "Das Verbrechen und die Gesellschaft"

Fritz Bauer (1903-1968) war unter dem hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn (1901-1976) von 1956 bis 1968 als Generalstaatsanwalt in Hessen tätig.

Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr.“

Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“

 

Nachkriegsjahre 1945-1950

"Man hat versucht, was zu essen und zu trinken zu bekommen - und ein Dach überm Kopf. Das war das Primäre." [10]

Nach der Inflation um 1923 folgte 1945 die zweite Inflation, 1948 die Währungsreform.

Improvisation prägte den Alltag für Geflüchtete und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

Freilichtmuseum am Kiekeberg:

 

24. Mai 1949

Gründung der Bundesrepublik Deutschland

Die Etablierung der Bundesrepublik war ein Gegenentwurf zum Führerprinzip.[11]

 

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[1] Begriff von Dr. Angela Jannelli - Historisches Museum Frankfurt, Kuratorin Stadtlabor "Schwierige Dinge" und Bibliothek der Generationen.

[2] ORTNER 2019.

[3] zitiert bei ORTNER 2019.

[4] DAHMS 2020.

[5] ULLRICH 2020.

[6] ZETSCHE 2021.

[7] ORTNER 2021.

[8] "Zeitzeichen" aus dem studentischen Hochschulprotest an der Mainzer Universität zur Mitte der 1970er Jahre.

[9] BÖKEL 2022.

[10] Rolf Hilbert, zitiert in STILLBAUER 2023.

[11] STEINMARK 2023.

[12] zit. in STERNBURG 2023.

[13] Angela Janelli vom Historisches Museum Frankfurt in Einbeck am 04. November 2019.