Glasmacherfamilien - mobil und anpassungsfähig

Klaus A.E. Weber

 

Die persönlich freien Glasmacher im Weser-Werra-Bergland bildeten aus sozialen, technologisch-betriebsbedingten und ökonomischen Gründen wirksame regionale Netzwerke mit weitreichenden Handelskontakten.

Sie waren in Zunftgemeinschaften organisiert, wo sie ihre Interessen regelten und Verstöße ahndeten.[2]

Als bewahrende und flexible Handwerker lebten und arbeiteten die Glasmacher über viele Generationen hinweg in einem engen Familienverband, der zugleich auch als Betriebsgemeinschaft fungierte.

Dabei waren die Glasmacherfamilien stets mobil und „agierten nicht selten ungewöhnlich selbständig oder sogar sehr eigenwillig und selbstherrlich, sie wirkten weiterhin räumlich weit über kleinstaatliche Grenzen hinaus“, zudem waren sie eine „keineswegs der Obrigkeit immer nach Wunsch botmäßige Sondergruppe von Untertanen“.[1]

So bildeten die ihres Standes bewussten Glasmacher während des Mittelalters bis zur frühen Neuzeit eine exklusive berufliche und soziale Gruppe.

Die Beziehungen zum Grund- oder Landesherrn wurden in einem schriftlichen Vertrag festgelegt, wobei die Herzöge des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, die die Betriebserlaubnis einer Glashütte erteilten, darauf achteten, dass einerseits der Holzverbrauch in Grenzen gehalten wurde, andererseits die Hüttenbewohner keine dauerhaften Siedlungsplätze in den herzoglichen Wäldern schufen.

Daher erhielt der Hüttenmeister in der Regel auch nur eine landesherrlich auf 6-8 Jahre festgesetzte Betriebserlaubnis.

Häufig durften in einem Waldgebiet nicht mehr als 2-3 Waldglashütten gleichzeitig produzieren.

Im 17. Jahrhundert verloren die Glasmacherfamilien schließlich ihre althergebrachte Sonderstellung mit Befreiung von Steuern, Militär- und Kriegsdiensten.

 

Beginn der Zeit der Wanderarbeit

Zwischen 1300 und 1700 dominieren im deutschsprachigen Raum die Waldglashütten als "Wanderglashütten", die möglicherweise schubweise durch Wanderungen entstanden sein können.

 

Wanderglashütten im Solling [6]

Seit spätestens der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bestanden in den abgelegenen laubholz- und wasserreichen Mittelgebirgszügen des südniedersächsischen Berglands eine Vielzahl von Glashütten, angelegt als so genannte Wanderglashütten, die dem Holzvorrat als Energielieferant nachwanderten.

Wie zahlreiche Glashüttenstandorte der dicht bewaldeten und wasserreichen Höhenzüge des abgelegenen Mittelgebirges Solling belegen, lag im Oberweserraum seit dem karolingischen Frühmittelalter bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eines der größten Glasmacherzentren im nördlichen Mitteleuropa.

Bislang konnte eine Vielzahl von Standorten ehemaliger Waldglashütten archäologisch erfasst werden.

Bis in die Gegenwart bildet die Glasindustrie mit der Fertigung von Behälter- und Spezialgläsern einen wichtigen Wirtschaftsfaktor in der „Schatzkammer des Weserberglandes“, im Landkreis Holzminden.

Damit ist auch die Zukunft einer über 850-jährigen kontinuierlichen Glasmachertradition regional gesichert.

Die mittelalterlichen Glashütten waren zunächst kleine Betriebe, die wegen ihrer Feuergefährlichkeit abseits von Dörfern tief in den Laubwäldern lagen - wie im Hellental.

Wegen dieser Lage im Wald werden sie üblicherweise als "Waldglashütten" bezeichnet.

Glashandwerker jener Zeit waren Wanderarbeiter.

War das Brennholz in der Umgebung der Glashütte aufgebraucht, so zogen die Glasmacher mit ihren Familien und ihrem Viehbestand zum nächsten unverbrauchten Standort - daher die Bezeichnung „Wanderglashütten“.

Die Herzöge des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, die die landesherrliche Betriebserlaubnis einer Glashütte erteilten, achteten sehr darauf, dass einerseits der an sich enorme Holzverbrauch in Grenzen gehalten wurde, andererseits die Hüttenbewohner keine dauerhaften Siedlungsplätze in den herzoglichen Wäldern schufen.

Daher erhielt der Glashüttenmeister in der Regel auch nur eine landesherrlich auf wenige Jahre festgesetzte Konzession.

Vielfältige, teilweise auch spektakuläre archäologische Funde im Weser-Leinebergland belegen ein reichhaltiges Spektrum an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gläsern mit unterschiedlichen Formen, Verziehrungen und Farbgebungen.

Neben farbigem Flachglas - als Fensterglas für Kirchen - stellten die technisch und künstlerisch versierten Glasmacher in serieller oder Einzelfertigung einfache Trink- und Schenkgefäße her, aber auch technisch diffizile, verfeinerte und ästhetisch reizvolle Hohlgläser zum repräsentativen höfischen und kirchlichen Gebrauch.

 

Betriebsgemeinschaft auf abgelegenen Waldglashütten

Die Glasmacherfamilien gelangten durch Arbeitsmigration in das Umfeld des wirtschafts- wie sozialräumlich abgelegenen Sollingtals.

Die Glasmacher waren Handwerker, die über viele Generationen hinweg in einem engen Familienverband lebten und selbständig in kleinteiliger Produktion arbeiteten.

Die in den Wäldern der Sollingregion tätigen „Glasemeister“ waren Landfremde, zumeist aus Nordhessen, Thüringen und Böhmen kommend.[22]

Sie galten als gut organisierte und auch privilegierte handwerkliche Spezialisten.[16]

 

Ein Glasser war ich lange jar/

Gut Trinckgläser hab ich fürwar/

Beyde zu Bier und auch zu Wein/

Auch Venedisch glaßscheiben rein/

In die Kirchen / und schönen Sal/

Auch rautengläser allzumal/

Wer der bedarff / thu hie einkern/

Der sol von mir gefürdert wern. [17]

 

Die mittelalterlichen Glashütten waren kleine Betriebe, die nur über wenige Arbeiter verfügten.

Erst während der frühen Neuzeit änderte sich dieses Bild, vor allem im 16./17. Jahrhundert.

Die Hütten beschäftigten mehr Personal rund um das Glas und seine Herstellung.

Zur Mitte des 18. Jahrhunderts lösten bei zunehmendem fiskalischen Interesse an der Glasproduktion ortsfeste Hüttenbetriebe und -siedlungen die traditionellen Wanderglashütten endgültig ab, wobei es planmäßig durch staatliche Förderung zu dauerhaften Neuansiedlungen kam - wie die Fürstlichen Glasmanufakturen im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel.

Nach SCHREIBER [31] arbeiteten an einem Glasofen mit drei oder mehr Öffnungen bis zu sechs Personen Hand in Hand.

Hinzu kamen mehrere Schürer, die Tag und Nacht das Ofenfeuer in Gang hielten, zudem auch Packer, Träger und Fuhrleute.

Frauen sorgten für den erforderlichen Lebensunterhalt der gesamten Hüttenbelegschaft.

Nicht zuletzt aus Gründen der Konkurrenz wurde Jahrhunderte lang die geheim gehaltene Kunst der Glasherstellung und -verarbeitung vom Vater persönlich auf die Söhne in immer denselben Meisterfamilien weitervermittelt.

Mit der Weitergabe des Fachwissens wurde zugleich auch der lukrative Glasmacherfachberuf vom Vater auf den Sohn vererbt.

 

Großräumige Wanderungen

Geografische Kernbereiche der Glasmacherkunst

Die für ihr Selbstvertrauen bekannten Glasmacher-Familien entfalteten ihre an große, erreichbare Waldgebiete natürlich gebundenen Lebens- und Arbeitsbereiche durch großräumige Wanderungsbewegungen konzessions- und ressourcenbedingt zeitlich recht unstet und umherziehend.

So sind heute verschiedene regionale Wanderungsgebiete und Sozialbezüge für zahlreiche Glasmachersippen im norddeutschen Raum zu identifizieren.

Es ist der um 1600 in hessischen Waldglashütten aufgetretenen Krise zuzuschreiben, dass zahlreiche hessische Glasmacherfamilien als Arbeitsmigranten im Solling, Hils und Vogler eine neue Bleibe und Möglichkeit fanden, ihr angestammtes Glasmacherhandwerk weiter auszuüben.[2]

Beispielsweise kamen Glasmacher aus Hessen und Südniedersachsen so auch bis nach Holstein und Mecklenburg, wobei sich besonders die Glasmacherfamilien Gundelach und Kunckel hervortaten.[4]

Glasmacherfamilien aus dem Spessart wanderten während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Südharz

  • (K)Gunkel
  • Wentzel
  • Kaufhold
  • Printz.

In der frühen Neuzeit soll es genealogisch in sich weitgehend abgeschlossene, große geografische Kernbereiche der Glasmacherkunst gegeben haben,

  • Südwestdeutschland
  • den Thüringer Wald
  • den Böhmerwald
  • das Werra-Leine-Weser-Bergland.

 

Wanderhandwerker und „Glasemeister“

Mobile Landfremde, die für einen Technologietransfer sorgten

Vielfach sind glasgeschichtlich bedeutsame Wanderungsbewegungen mit landschaftlich-natürlichen wie einheitlichen Ab- und Hinwanderungsgebieten von Glasmachermeistern und -gesellen zu identifizieren und personengeschichtlich auswertbar.[18][33]

Für die kunsterfahrenen Glashüttenleute und ihre Familien war das Glasmachen unter der Voraussetzung eines steigenden Absatzes ein recht profitables Gewerbe, so dass es einige von ihnen zu Wohlstand und Landbesitz brachten.

Zudem bestanden für die Glasfacharbeiter auch Privilegien als freie Männer, wie die Freiheit von Steuern und Kriegsdiensten.

Das Schicksal einer Glashüttenbelegschaft und ihrer Wohnhütten für die Familien war damals eng mit dem des jeweiligen Hüttenmeisters verbunden.[19]

"Glasemeister" galten als gut organisierte und auch privilegierte handwerkliche Spezialisten.[30]

Diese waren damals Großunternehmer und „Manager“ zugleich, die sowohl über glastechnische Fertigkeiten als auch über unternehmerische Fähigkeiten verfügen mussten.[20]

Für die zeitliche Einordnung von schriftlich nicht überlieferten mittelalterlichen Hüttenstandorten wird archäologisch das begleitend geborgene Keramikgut (Fragmente von Irdenware) herangezogen, das sich teilweise sogar recht genau in seiner Herkunft bestimmen lässt.

Dabei kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei der auf älteren Glashüttenplätzen vorgefundenen Keramik am ehesten um solche der täglichen Verpflegung von Glasmachern und ggf. ihren Familien handelt.

Hinweise hierfür liefern auch aus Ton hergestellte Gegenstände, die vermuten lassen, dass sich zumindest vorübergehend auch Frauen und Kinder auf Glashütten aufgehalten haben.

Dem hingegen fehlen aber eindeutige Hinweise auf ein längerfristiges Wohnen aller Mitglieder einer Glasmacherfamilie unmittelbar an der Produktionsstätte.[21]

Zu ihrer Ernährung betrieben die Glasmacherfamilien bei der Glashütte eine „kleine Landwirtschaft“ mit Viehhaltung (Schweine, Ziegen) und Gartenbau.

Auch wurden in der Nähe der Glashütte kleine Ackerflächen angelegt.

Durch die zahlreich nachweisbaren Wanderungen (Arbeitsmigration) von Glasmachern kam es zugleich auch zu einem die Glasherstellung weiterentwickelnden Technologietransfer.

Aus regionaler Betrachtung sind vornehmlich die Glasmacher zwischen

  • Kaufunger Wald [1][32]
  • Reinhardswald
  • Bramwald
  • Solling
  • Vogler
  • Hils
  • Harz

zu benennen.

 

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[1] ALMELING 2006.

[2] BLOSS 1950a, S. 6-9.

[3] STEPHAN 2021, S. 126.

[4] STEPHAN 2010, S. 137-138.

[6] Vortrag beim Kulturnachmittag des Heimatpflege- und Kulturvereins Schorborn-Schießhaus am 13. November 2015 in Schorborn: Die Waldglashütten im Nordsolling, Referent: Dr. Klaus A.E. Weber, Hellental.

[16] STEPHAN 2010, S. 133-134.

[17] STEPHAN 2010, S. 507.

[18] STEPHAN 2010, S. 137.

[19] Der wichtigste Rohstoff neuerer Glasproduktion ist weißer (Quarz-)Sand, woraus Glas zu etwa 70 % besteht. Hinzu kommen noch Pottasche/Soda und Kalk mit jeweils rund 15 % sowie in geringem Umfang noch weitere Materialien (Färbemittel, Läuterungsmittel).

[20] STEPHAN 2010, S. 134, 140, 261, 509.

[21] „Waldglas“ bezeichnet gemeinhin einen eigenen Abschnitt der Glasherstellung. Der Begriff steht für jenes Glas, das vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit rohstofforientiert inmitten von Laubwald gelegenen Glashütten – den „Waldglashütten“ - bis zur Resourcenerschöpfung produziert wurde.

[22] STEPHAN 2010, S. 261.

[30] STEPHAN 2010, S. 516; LILGE 2003, S. 191; TACKE 1943, S. 92.

[31] SCHREIBER 2004, S. 79 f.

[32] u.a. traditionelle Glasmeisterfamilie Becker genannt Gundelach (Spessart, Großalmerode).

[33] STEPHAN 2010, S. 512-513; KUNZE 2000

[34] STEPHAN 2010, S. 511; LEIBER 1994, S. 22.