Verborgenes Erbe: Kolonialsmus im Alltag
Klaus A.E. Weber
KLEINE AUSSTELLUNG
Kolonialismus im Mikrokosmos eines entlegenen Sollingdorfes Hellental
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Globale Verwerfungen, geostrategische Kriege und Machtkämpfe, anhaltender Rassismus, wie auch antidemokratische Strömungen vergangener Jahre, insbesondere aber der gegenwärtig weltweit entstehende rechtsextreme Backlash, erfordern es für das LandMuseum, sich gesellschaftlich, politisch, kulturell wie auch individuell mit den unangenehmen geschichtlichen wie aktuellen Themen Imperialismus, Kolonialismus, Sklaverei und Völkermord auseinander zu setzen und hierzu eine kritische Haltung einzunehmen und im gegenwärtigen Diskurs zu vertreten.
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Darüber hinaus ist bedeutsam, dass die Errichtung des heutigen Museumshauses SOLLINGHAUS WEBER im Jahr 1884 erfolgte, dem Jahr des formalen Beginns der kolonialen Eroberungen des Deutschen Kaiserteichs.
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Am 15. November 2024 jährte sich zum 140. Mal der Beginn der historischen Berliner Konferenz mit Bebinn 1884.
- Die Luxuskonsumgüter des 17. Jahrhunderts wurden zum Massenprodukt im Alltag unserer Zeit.
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Direkte Berührung im Alltag mit der Kolonialgeschichte
Die Alltagskultur der Bewohner*innen des abgelegenen Solling-Bergdorfes Hellental hatte ehemals engen Bezug zu herrschaftlichen kolonialen Verhältnissen gegenüber unterworfenen außereuropäischen Gesellschaften.
Wie in den benachbarten Sollingranddörfern gab es auch in Hellental Kolonialwarenhandlungen, die profitabel mit Produkten aus den Kolonien handelten.
Im Jahr 1934 verfügte Hellental über drei Kolonialwarenhandlungen.
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Luxuskonsumgut Gewürze - Triebfeder des Kolonialismus
Gewürzpflanzen um 1934 [6]
Profitable Kolonialwaren - Triebfedern des Kolonialismus und der Sklaverei
Als Kolonialwaren wurden überseeische Lebens- und Genussmittel bezeichnet, so die Erzeugnisse deutscher Kolonien, wie die Luxuskonsumgüter
Gewürze │ Kaffee │ Kakao (Schokolade) │ Palmöl │ Reis │ Tabak │ Tee │ Zucker
Diese Profit versprechenden Erzeugnisse aus überseeischen Kolonien erreichten nach und nach breitere gesellschaftliche Schichten, wodurch der Kolonialismus Einlass in die Konsumkultur fand – so auch in den dörflichen Alltag.
Werbung 1932
© Archiv Historisches Museum HellentaI
Noch in den 1970er Jahren wurden auch regional beim Einzelhandel die Begriffe Kolonialwarenladen, Kolonialwarenhandlung oder Kolonialwarengeschäft verwendet.
Jene Kolonialwaren unterworfener außereuropäischer Gesellschaften gelangten in den Alltag und in die Küchen von Familien in Heinade, Hellental und Merxhausen.
Somit ist der außerhalb europäischer Grenzen vollzogene Kolonialismus und Rassismus auf das Engste Teil der regionalen dörflichen Geschichte – mit bis heute anhaltenden Folgen und Auswirkungen im Alltag.
Kolonialwarengeschäft und Bäckerei Kempe │ Hellental, Haus №ass. 67
© Archiv Historisches Museum Hellental
Kolonialwarenhandlung Georg Sturm in Hellental │ um 1934
© Archiv Historisches Museum Hellental
Werbung 1932
© Archiv Historisches Museum Hellental
⋙ Blog »Wie der Kolonialismus in den Alltag kam«
Die „reinste und feinste Marke"
Der schwäbische Unternehmer Johann Heinrich Franck (1792-1867) gründete eine Zichorienkaffeefabrik, die sich nach dessen Tod unter den Nachfahren - „Heinrich Franck Söhne“ - in Ludwigsburger sowie in anderen Fabrikanlagen weiterentwickelte (Marke Franck - Geschichte eines inustriellen Familienunternehmens).
Der in der Dauerausstellung als greifbares Objekt präsentierte unscheinbare schaufelförmige Messlöffel für das Kaffeegetränk «Kornfranck» erinnert an den brutalen Kolonialismus des Deutschen Kaiserreichs von 1871 bis 1918.
Das eher unscheinbare alltagskulturelle Expont aus Hellental steht im LandMuseum stellvertretend für das Deutsche Kaiserreich als Kolonialmacht in Namibia und den Völkermord an den Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika.
„Aecht Franck mit der Kaffeemühle“
Mit dem aus deutscher kolonialer Perspektive mit klarer Hierarchie erstellten Reklamebild von 1905, das streng bewachte, gefangene Hereros sowie einen gefesselten Herero entwürdigend abbildet, dokumentierte «Aecht Franck mit der Kaffeemühle» den grausamen deutschen Kolonialismus mit maximaler Ausbeutung einheimischer afrikanischer Arbeitskräfte.
Quelle: Frankfurter Rundschau │ 14. Oktober 2019 │ 75. Jahrgang │ Nr. 238 │ Abb. S. 19. [1]
Das Sammelbild als Instrument der Herrschaft und Kontrolle trägt den Titel „Herero-Aufstand in Deutsch-Südwest-Afrika“.
Der blutige Herero-Krieg von 1904 führte zum Völkermord an den Volksgruppen der Herero und Nama (1904-1908).
Die Marke «Kornfranck» wurde geschaffen als sich in der Zeit um 1900 ein neuer Markt für das Kornkaffeegeschäft entwickelte und man sich vom Kathreiner Malzkaffee abheben wollte.
Auch nach dem Ersten Weltkrieg wurden Produkte des Unternehmens u. a. weiter unter Namen «Kornfranck» vermarktet.
Die Einführung des neuen Produktnamens »Mühlen-Franck« für den Zichorienkaffee sollten Assoziationen an die Zichorie und an Elend, Krieg und die schlechte Ernährungssituation vermieden werden.
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Zielgruppen von »Kornfranck«
Während der Autarkiebestrebungen des nationalsozialistischen Regimes und der zunehmenden Genussmittelverknappung während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) wurde der „Kaffee-Surrogat-Extrakt" staatlich verwaltet und werbepsychologisch unterlegt, teils diskriminierend beworben.
Frauen
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"Den Geschmack einer Frau kann man am Kaffeezusatz erkennen. Ist ihr Geschmackssinn gut ausgebildet, so verlangt sie für ihr Geld nicht nur die besten Kaffeebohnen, sondern auch den besten Kaffeezusatz, nämlich Aecht Frank mit der Kaffeemühle. Mit ihm bereitet sie eine Tasse guten Kaffee."
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"Vielen Frauen gelingt es nicht, einen wirklich guten Kaffee zustande zu bringen, trotzdem sie viel Geld für die besten Kaffeebohnen ausgeben. Woran liegt es? Sie achten nicht auf die Qualität des Kaffeezusatzes.Würden sie sich an die reinste und feinste Marke Aecht Frank mit der Kaffeemühle halten, so hätten sie stets einen aromatischen und wohlschmeckenden Kaffee."
Schulkinder von Merxhausen mit Kornfranck-Werbung
während des Zweiten Weltkriegs │ um 1940
© Archiv Historisches Museum Hellental
Schulkinder
Wie die ausgestellte Fotografie von Schulkindern aus Merxhausen in der Zeit um 1940 ausweist, wurden zur Werbung für »Kornfranck - gesund wie das tägliche Brot!« zielspezifisch auch Schulkinder werbepsychologisch eingesetzt.
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[1] WIEDEMANN 2019.