Glasperlen - Buntes Alltagsgut und Opfergaben
Klaus A.E. Weber
Restauriertes, rekonstruiertes eisenzeitliches Nydamboot
Nydam-Halle │ Schloss Gottorf
August 2016
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Opfergaben mit Glasperle
Nydam-Halle │ Schloss Gottorf
Museum für Archäologie
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Das etwa 1.700 Jahre alte „Nydamboot/Nydambåden“ gilt als das älteste erhaltene hochseetüchtige Wikingerschiff.[13][14]
Das um 320 n. Chr. auf Kiel gelegte, etwa 23 m lange Ruderboot aus Eichenholz, das provinzialrömische Einflüsse aufweist, wurde im Nydam-Moor (ursprünglich ein See als Kriegsbeuteopferplatz) niedergelegt, einem eisenzeitlichen Opferplatz in der Nähe von Sønderborg im südlichen Dänemark.
Neben Gegenständen aus Holz, Geweih, Eisen sowie Edel- und Buntmetall enthielten die Thorsberger (Thorsberg im nördlichen Schleswig-Holstein) wie die Nydamer Opfergaben Glasperlen als Schmuck (Halsschmuck - Kriegsbeute/Mitbringsel/Zahlungsmittel?) im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr.[15][16]
In der Glut geformt: Wikingerzeitliche bunte Glasperlen
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Frühmittelalterlich an der westlichen Ostsee am „Haddebeyer Noor“ gegründet, gilt die frühurbane Ansiedlung Haithabu mit Hafenbereich als bedeutsamer zentraler Umschlagsplatz im Warenverkehr zwischen Mitteleuropa und den Rohstoffmärkten Nord- und Osteuropas.
Dabei lässt sich sowohl der Import als auch die lokale Herstellung und Verarbeitung von Glas auf qualitativ hohem Niveau nachweisen.
So können für das 9.-10. Jahrhundert verschiedenfarbige Glasperlen als Körper- bzw. Halsschmuck nachgewiesen werden - ein beliebter und fester Bestandteil der wikingerzeitlichen Frauentracht.[18]
Ein zusammen mit sieben Münzen entdeckter Fund von rund 600 Glasperlen aus der Zeit um 825 n. Chr. legt nahe, dass Perlen zugleich auch als Zahlungsmittel dienten.[5]
"Unauffälliger Arbeitsplatz"
Glasperlenmacherin am offenen Werkplatz im Wikingerdorf
Perlenherstellung auf einer Feuerstelle
mit Luftzufuhr über einen Blasebalg (Holz und Leder)
August 2016
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Glasperlenofen (Kuppelofen) nach antikem Vorbild
Glashütte Gernheim │ LWL-Industriemuseum
2014
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Glasperlen von Haithabu
Vor 1.000 Jahren wertgeschätzte bunte Kugeln mit Loch
In der Epoche der frühmittelalterlichen Wikingerzeit zählte im 09. bis 11. Jahrhundert das Herstellen von Glasperlen in Glasmacherwerkplätzen mit einfachen Lehmöfen zu den am weitesten entwickelten Handwerken mit unterschiedlichen Herstellungs- und Verarbeitungstechniken des wikingerzeitlichen Nordens bzw. im frühurbanen Haithabu.[1][6]
Wie SCHIETZEL [5] ausführt, scheint die Glas-Verarbeitung "überwiegend auf die Herstellung von Perlen verschiedener Art gerichtet gewesen zu sein".
⊚ Zum Anklicken
Perlenfunde
Wikinger Museum Haithabu
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Haithabus Perlenmacher
Glasperlen in zahlreichen Formen, Farben und Mustern herzustellen, gilt als ein faszinierendes, hochentwickeltes Handwerk, das in Haithabu bereits vor 1000 Jahren beherrscht wurde.
Eine Fundauswahl aus dem umfangreichen Glasperlenmaterial (n = 7.141) weist folgende Form resp. Bezeichnung auf [5][6]:
-
scheibenförmig
-
ringförmig
-
hohl
-
tonnenförmig
-
gedrückt kugelig
-
einfach segmentiert
-
mehrfach segmentiert
-
melonig gerippt
-
flach
-
prismatisch
-
zylindrisch
-
walzenförmig
-
kugelig
-
polyedrisch
-
doppelkonisch
-
birnenförmig
Museum für Archäologie │ Schloss Gottorf
August 2016
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Mit dem mitgebrachten Spezialwissen wohl zugewanderter westeuropäischer oder byzantinischer Glasmacher wurde aus selbst erzeugtem oder importiertem Rohglas im Freien mit Hilfe eines Kuppelofens auf dem Werkplatz ein breites Formen- und Farbspektrum an Glasperlen hergestellt - mit den neu geschaffenen Formen der Flach- oder Mehrfachperle.[2][3][4][5][17][18]
-
So wurden Perlen aus transparentem und opakem Glas gefertigt, zumeist in der Farbe blau, aber auch in den Farben gelb und grün.
-
Als "Haithabu-tyisch" gilt eine blau-graue, meist opake Glasmasse vieler Perlen, verziert mit verschiedenfarbigen Ornamenten.
-
Auch wurden kunstvolle Millefiorieperlen hergestellt, oftmals zusätzlich mit einem speziellen "Augenmuster" gestaltet.
-
In besonders dünnwandige, transparente Perlen Gold- oder Silberfolie einzublasen, gilt als schwierige Glastechnik, die virtuos beherrscht wurde.
Der Fund mit Birkenteer "geklebter" Glasperlen zeigt zudem, dass Perlen im wikingerzeitlichen Haithabu wertgeschätzt und daher im Einzelfall auch repariert wurden.[5]
Aus Ribe und Bornholm sind besonders aufwändig gearbeitete Mosaikperlen im dänischen Raum bekannt.[10]
Kosten für eine Perle im späten 10. Jahrhundert:[11]
- 1 grüne Glasperle = 1 Dirham (arabische Währungseinheit) = ca. 3 g Silber = 1 Messerklinge / 5 kg Getreide
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Wikingerzeitliches Perlenmachen
Herstellen einer „Wickelperle“ am offenen Feuer einer Feuerstelle im Wikingerdorf mit unterschiedlich gefärbten Glasstäben (Weichglas, das bei 800–1.000° C schmilzt):
Wickelvorgang
⩥ Glasstab ⩥ Metalldorn mit Trennmittel zum Perlenwickeln
Glattschmelzen
Temperatur: 800-1.000° C
Einkerben
Herstellung einer gekerbten "Wickelperle"
Glasperlen am offenen Feuer
Wikingertage in Schleswig im August 2016
Vergl. Experimentelle Arbeit [8][9][17]
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Rekonstruktion wikingerzeitlicher Herstellungsschritte
mittels glasarchäologischer Funde
Wikinger Museum Haithabu [12]
(1) Selbst erzeugtes oder importiertes, verschiedenfarbiges Rohglas
zur Perlenherstellung
(2) Aufnahme des Rohglases zur Weiterverarbeitung
(3) Zwischenprodukte durch Erhitzen des Glases
(4) Aufwickeln der Glasmasse mit einem Perldorn (Eisenstab)
Rohperlen entsehen aus Zwischenprodukt
(5) Hin- und Herrollen auf einem glatten Stein
bringt die Rohperlen in die beabsichtigte Form.
(6) Die Glasperlen werden durch Einkerben von Rippen verziert.
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
___________________________________
[1] MAIXNER 2012, S. 46-49, 104, Abb. 123, 129.
[2] MAIXNER 2012, S. 92-93, Abb. 106, 173, Abb. 198.
[3] MAIXNER 2012, S. 177, Abb. 201.
[4] ELSNER 2004, S. 104.
[5] SCHIETZEL 2014, S. 452-458.
[6] STEPPUHN 1998.
[7] DEKÓWNA 1990, S. 9-63.
[8] SCHIETZEL 2014, S. 456-457.
[9] DREWS 2002.
[10] Anschauliche Darstellung bei LAUWIGI 2014, S. 54-55.
[11] Angaben bei LAUWIGI 2014, S. 56.
[12] Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen.
[13] GEBÜHR 2000.
[14] ABEGG-WIGG 2014.
[15] GEBÜHR 2000, S. 26.
[16] ABEGG-WIGG 2014, S. 60.
[17] Zur Geschichte der Glasperlen und praktischen Glasperlenherstellung: JENKINS 1999.
[18] Vergl. EBERTH 2022, S. 179-187.