"Friesecken" - Farbige geschliffene Überfangscheiben

Klaus A.E. Weber

 

Die früher im aufwändigen Zylinderverfahren [4] hergestellten und durch den Schliff entstandenen Dekorscheiben werden als „Überfangscheiben“ oder auch als „Friesecken“ beschrieben.

Korrekt als Sprossen- oder farbige Sprossenscheiben bezeichnet, bestehen sie aus einem farblosen Flachglas mit einer dünnen Schicht rotem und blauem Farbglas, in die Ornamente eingeschliffen werden, wobei letztlich das helle, farblose Dekor aus der farbigen Scheibe heraussticht.

 

Farbige Schmuckglasscheiben mit floralem Schliffdekor

„Friesecken" über der Haustür des Museums der Alltagskultur

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Blaue und rote geschliffene Überfang-Glasscheiben

zur dekorativen Verglasung │ Lilien-Motiv

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Zum Vergleich:

Geschliffene blaue Überfang-Glasscheibe eines ausgestellten Holzfensters

LWL-Glashütte Gernheim

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Farbige geschliffene Überfangscheiben von 1884

Das zeittypisch über der Eingangstür im Flurbereich des Museums der Alltagskultur eingebaute rechteckige Buntglasfenster hat die Funktion, als „Oberlicht“ die Diele zu belichten und als Schmuckglas einen gewissen kleinbürgerlichen Wohlstand zu signalisieren.

Die Überfangglasscheiben wurden von einem Glaser in den von einem Tischler hergestellten Sprossenrahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingesetzt - aufgrund der eingeätzten Jahreszahl im Jahr 1884.

Die 138 x 47 cm große Holzeinfassung der Schmuckglasscheiben mit floralem Schliffdekor weist 18 Glastafeln auf, bestehend aus

  • sieben geschliffenen Buntglas-Überfangscheiben (ca. 10 x 10 cm Kantenlänge) aus Überfangglas: vier blaue und drei rote quadratische Glasscheiben mit eher schlicht geschliffenen Rosetten mit dem traditionellen Lilien-Motiv
  • sechs gestrahlte Glastafeln mit durchgehendem Muster aus klassischem Musselinglas
  • zwei mittig platzierten farblos klaren Glasscheiben, davon eine mit der eingeätzten Jahreszahl „1884“
  • zwei ausgetauschten Glasscheiben.

 

Sind es „Gernheimer Scheiben“?

Mutmaßlich wurden die Buntglas-Überfangscheiben mit dem Lilien-Rosettenschliff im Werk Freden der 1871 gegründeten „Deutschen Spiegelglas-Actien-Gesellschaft“ (DESAG) hergestellt.[2]

Entgegen erster Interpretationen konnte keine eindeutige Zuordnung zur früheren Glashütte Gernheim (1812-1893) hergestellt werden, deren Fensterscheiben aus geschliffenem Überfangglas als eine "Gernheimer-Spezialität" gelten.[1]

Dabei wurde klares, farbloses Fensterglas mit einer hauchdünnen, starkfarbigen blauen, roten oder grünen Glasschicht überzogen und mit dem farblosen Grundglas verschmolzen, das in der Technik der Tafelglasherstellung im Mundblasverfahren hergestellt worden war.

Qualitativ unterschiedlich kunstvolle Muster konnten dann in der hütteneigenen Glasschleiferei geschliffen werden.

Von Gernheimer Glashütte aus traten die „Gernheimer Scheiben“ nach KORFF [3] „zu Beginn des 19. Jahrhunderts im östlichen Westfalen und im westlichen Niedersachsen ihren Siegeszug an.“

Nach PARENT [1] findet sich Gernheimer Überfangglas noch 1988 in Fenstern und Türen zahlreicher Bauernhäuser des Weserraums, aber auch eingesetzt in Kirchenfenstern.

 

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[1] PARENT 1988.

[2] Nach persönlicher Mitteilung von Herrn Rainer Gerking, Leiter des Museums Freden (Leine), am 11. April 2023.

[3] KORFF 2023, S. 65-66.

[4] Beschreibung bei KORFF 2023, S. 66-67.