"Flatu figurare“ - die Glasmacherpfeife

Klaus A.E. Weber

 

Revolutionäre glastechnische Innovation

Blasrohr - das charakterisierende Werkzeug eines Glasmachers

Glas formen mit der Glasmacherpfeife war eine folgenreiche technische Neuerung im späten 1. Jahrhundert v. Chr. (um 50 v. Chr.) im syrisch-palästinensischen Raum (Levante) - in der römischen Provinz Syrien.

Der Bahn brechende Gebrauch eines Rohres - der Glasmacherpfeife - gilt als die Innovation sidonischer Glasmacher in Verbindung mit der Erzeugung von hinreichend dünnflüssigem Glas.

Antike "sidonische" Glasgefäße gelten als die ersten bekannt gewordene Hohlgläser, die mit der Glasmacherpfeife hergestellt wurden (Sidon: bedeutende Handelsstadt der Phönizier).[3]

 

Rationelle Fertigungstechnik

Es war der epochale Beginn der antiken zeit- und kostensparender Herstellung echter (optisch) geblasener Glasgefäße – mit Übergang von dickwandigen zu feinen, dünnwandigen Glasgefäßen („tube blowing“).

Erstmals war dadurch eine große Formenvielfalt bzw. große Gefäßvariabilität für unterschiedlichste Verwendungszwecke möglich, wobei sich hierdurch letztendlich auch der Sprung zur Massenproduktion von Hohlgläsern des alltäglichen Gebruchs vollziehen konnte - nach RICKE "von der einfachen Flasche bis zur Urne für die Aufnahme der Asche der Verstorbenen".[2]

Die zunächst aus einem hohlen Metall-, Glas- oder Keramikrohr bestehende Glasmacherpfeife ermöglichte durch das Mundblasverfahren gläserne Kugelhohlformen (Salbfläschchen) zu erzeugen.

Das schnelle und kostengünstige pneumatische Aufreiben der heißen Glasmasse mittels einer etwa 100-175 cm langen Glasmacherpfeife führte schließlich zur Blüte des Glasmacherhandwerks, da hierdurch vor allem formenreiche, dünnwandige und durchsichtige Hohlglasgefäße und Flachglas (Fensterglas) hergestellt werden konnten.[1]

Hierdurch wandelten sich letztendlich für viele Glasgefäße vom reinen Luxusobjekt zur erschwinglichen, einfach geblasenen Massenware.

Beim Arbeiten mit der Glasmacherpfeife ist prinzipiell bei der Formgebung zu unterscheiden zwischen

  • dem freien Blasen (optisch) vor dem Ofen
  • dem Blasen in eine Form (Model).

Bei den so genannten formgeblasenen Gläsern kann bei offenen Schalen und Hohlgefäßen unterschieden werden zwischen solchen Typen, bei denen

  • der untere Teil in einer Halbform, der obere Teil frei geblasen
  • die Teile in zwei- oder mehrteiligen Modeln mit Reliefdekor (Ornament, Name) hergestellt

wurden.[1]

Ähnelten zunächst die ersten frei geblasenen Gläser noch einer nach unten hängenden, tropfenförmigen Glasblase, so konnte in der Folgezeit durch das Stoßen auf einer Platte eine Standfläche oder durch das Hin- und Herrollen auf einer flachen Marmorplatte ein Hohlglaskörper erzeugt, durch die Verwendung eines Hefteisens die Mündung umgeschlagen und ggf. Henkel angesetzt werden.[1]

Schon in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gab es eine Vielzahl von Gläsern unterschiedlicher Form, die sich am Charakter des Glases oder an gewohnten Keramik- und Metallgefäßen orientierten.[1]

Im Mittelalter wurde das anspruchslose Waldglas in der Regel frei geblasen, wobei der Glasbläser während des Ausblasens die heiße, zähflüssige Glasmasse (ca. 600–900° C) drehte, schwenkte und schleuderte, um sie in die gewünschte Produktform zu bringen.

Dem hingegen wurde beim „in eine Form Blasen“ eine passgenaue Glasmasse in eine vorgefertigte Form (Model) aus Holz, Ton oder Metall eingeführt und ausgeblasen.

Dieser beschleunigte Herstellungsvorgang war besonders geeignet für Hohlgläser mit etwa gleichem Aussehen und Fassungsvermögen (Serienprodukte).

 

Traditionelles Glasblasen

mit der Glasmacherpfeife

Freies Blasen vor dem Ofen

Blasen in eine Form (Model)

August 2006

Glashütte Gernheim

LWL-Industriemuseum

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Das Blasen mit der klassischen Glasmacherpfeife war eine sehr anstrengende und Kräfte zehrende Arbeit und insbesondere eine hohe Belastung für die Backenmuskulatur.

In den 1920er Jahren wurde die Glasmacherpfeife schließlich durch die industrielle Einführung der Glasblasmaschine („Owens-Maschine“) abgelöst.

Ohnehin wurde seit dem 19. Jahrhundert die Glasproduktion schrittweise industrialisiert mit Umstellung der Mundblas- zur Maschinenproduktion.

Dadurch wurde Glas zur relativ billigen Massenware.

Heute werden Glasflaschen „am laufenden Band“ vollautomatisch in modernen Produktionsanlagen geblasen.

 

Manuelles Blasen

in ein Metallmodel

│ August 2006

Glashütte Gernheim

LWL-Industriemuseum

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Traditionelle frühneuzeitliche Glasherstellung mit der Glasmacherpfeife

Glashütte Oberes Hellental │ 1. Drittel 17. Jahrhundert

Der Originalfund einer wahrscheinlich kompletten Glasmacherpfeife (korrodiertes Eisenrohr, ohne Holzeinfassung) der Waldglashütte Oberes Hellental gelang im Bereich der Abwurfhalde in etwa 20 cm Bodentiefe.[4]

  • Länge: 90,5 cm │ Gesamtgewicht: 720 g │ Durchmesser außen: 13 mm │ Durchmesser innen: Ende zum Mundstück: 4 mm - gegenständiges Ende ("Arbeitsöffnung"): 7 mm

 

© Historisches Museum Hellental, Foto: Klaus A.E. Weber

 

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[1] TRIER/NAUMANN-STECKNER 2016, S. 32.

[2] RICKE 1995, S. 20.

[3] TSCHIRR 2009, S. 21.

[4] Untersuchung des Bereiches der Abfallhalde durch Dr. Klaus A.E. Weber (Hellental) mit Michael Begemann (Holtensen/Einbeck) am 23. Mai 2018.