Wiesenbewässerung im Hellental

Klaus A.E. Weber

 

Das „Fleuen“, wie es noch heute in der älteren Generation von Hellental bezeichnet wird, ging zudem mit einer natürlichen organisch-mineralischen Düngung durch die Sedimentation der im Wasser enthaltenen Nährstoffe einher.

Hierzu wurden von Bauern im Solling vielfach regelrechte Bewässerungssysteme in den Wiesentälern angelegt und teilweise noch bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges (um 1939) genutzt.[1]

Darüber hinaus konnten durch das „Fleuen“ zu Beginn des Frühjahrs (im März) der noch vorhandene Schnee auf den Feldern und Hangwiesen zeitiger wegtaut werden.

Nach der Frostperiode war das Quellwasser wärmer als der Boden und somit erwärmte das „Fleuen“ den Boden früher, so dass hierdurch auch die Vegetationsperiode teilweise 14 Tage früher einsetzen konnte.

Das „Fleuen“ mit Sollingwässer erbrachte in der Summe letztlich vermehrt Grünfutter für die ohnehin geringe Viehhaltung, da durch diese Form der Wiesenbewässerung eine zweite Mahd zur Viehversorgung ermöglicht wurde.

Wie vielerorts, so wurden früher auch um Heinade und insbesondere im Hellental für das künstliche Rieselbewässern und Düngen von Hangwiesen mehrere quer zum Hang verlaufende Stauwerke, Dämme und Leitgräben mit wenig Gefälle angelegt oder umgeleitet („Fleuegräben“).

Bei der Hangbewässerung der schmalen Grünflächenstreifen wurde vormals im Hellental während der Bewässerungsperiode Oberflächenwasser von einer möglichst hohen Stelle im Tal von einem Zuflussgraben aus über quer verlaufende Verteilungsgräben in Bewässerungsrinnen geleitet, die parallel zu den Höhenlinien streng horizontal angelegt waren.

Zur natürlichen mineralischen Düngung waren insbesondere die feinerde- und schwebstoffreichen Frühjahrshochwässer der zahlreichen Hangquellen und des Wiesenbaches Helle geeignet.

Das „Fleuen“ war für Bauern wie für Kleinstellenbesitzer stets ein mühseliges Unterfangen.

In dörflicher Gemeinschaftsarbeit wurden die zahlreichen Fleuegräben kunstvoll angelegt.

Um immer wieder aufkommenden Streitigkeiten zu begegnen, wurde in „Fleue-Ordnungen“ genau festgelegt, wer an welchen Tagen wie lange „fleuen“, d.h. seine Wiese bewässern durfte.

Oftmals bestand bei erhöhtem sozio-ökonomischen Druck auch die eine oder andere Neigung im Dorf, „dem anderen das Wasser abzugraben“.

Als in den 1950er Jahren im Solling verstärkt Mineraldünger in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, wurde die jahrhundertealte Wiesenkultur des „Fleuens“ allmählich unnötig und schließlich ganz aufgegeben.

Wenige Reste ehemaliger Rinnenstrukturen der wasserbaulichen „Fleue-Anlagen” sind noch heute an östlichen Hangwiesen des Hellentals gut erkennbar.

„Fleuen“ oder „Flößen“ nannte man diese Art der geregelten, künstlichen Bewässerung von Grünland, einhergehend mit natürlicher organisch-mineralischer Düngung.

Dies brachte vermehrt Grünfutter für die ohnehin wenige Viehhaltung (Kühe, Schafe, Ziegen).

Wie berichtet wurde, seien hierdurch bis zu zwei, ausnahmsweise auch drei Schnitte von Wiesen des „Hülsebruchs“ und des Nordwesthanges eingefahren worden.

 

Überwachsener

"Fleuegraben"

April 2007

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die zahlreich am Westhang in Hellental gelegenen Talwiesen wurden so - mit Abfluss in die Helle am Talgrund - über kleinere regulierbare Berieselungsgräben bewässert.

Heute ist durch die vollständige Verrohrung und den Anschluss an die zentrale Kanalisation der ursprüngliche talseitige Quellabfluss nicht mehr erkennbar, vermutlich einhergehend mit ökologischen Veränderungen in den Niederungen der Helle.

Die in den Häusern und Stallungen anfallende Jauche und den Mist wurde seinerzeit ausschließlich als Düngung für das spärliche Ackerland und für die kleinen Gärten genutzt.

Mineralischen Kunstdünger konnten sich ohnehin die armen gewerbetreibenden Dorfbewohner finanziell nicht leisten.

Da diese natürliche Form der Düngung kostenlos und daher auch sehr begehrt war, kam es bald zum Erlass regelrechter Flößeordnungen, da das bis dahin geltende Gewohnheitsrecht durch eine Vielzahl von Streitigkeiten unter den Wiesennachbarn nicht mehr aufrecht zu erhalten war.

Nach der Verkoppelung durfte ein Wieseninhaber nur an einem bestimmten, vorgegebenen Tag den Leitgraben zu seiner Wiese öffnen - in der Flößezeit vom Peterstag (22. Februar) bis zum 01. Mai. So wurden sukzessive alle der meist quer zum Talhang liegenden, schmalen Grünland-Parzellen tageweise beflößt und hierbei natürlich gedüngt.

Ab 1929 wurden die „Fleuerechte“ in das Wasserbuch eingetragen.

Den das Wachstum begünstigenden, künstlichen „Fleue“-Effekt finden man im Hellental vergleichsweise in den quelligen Feuchtwiesen, wo aus Quellen mehrere kleine Bäche das Pflanzenwachstum in dem von ihnen durchflossenen Bereich sichtlich beschleunigen und kräftigen; das Gras wird intensiver grün.

Diese Wachstumsbegünstigung hatte allerdings auch einen Nachteil, die Wiesen wurden teilweise wie guter Ackerboden besteuert.

In den Luftbildausschnitten von 1957 und noch heute kann man in Wiesen am östlichen Talhang („im Mackenschen“) des unteren Hellentals den langen geradlinig imponierenden Verlauf ehemaliger Leit- und Berieselungsgräben ansatzweise erkennen.

Wie der Autor von Führungen im Hellental weis, ist der aufmerksame Beobachter manchmal doch verwundert, dass er die Gräben als bergauf verlaufend wahrnimmt.

Tatsächlich handelt es sich dabei um eine so genannte optische Täuschung, da der Grabenverlauf nur ein sehr geringes Gefälle aufweist und das Hellental mit dem Wiesenweg dagegen aber viel steiler abfällt.

Die Anwendung künstlicher mineralischer Dünger wurde erst in den 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts auch im Hellental üblich.

Die Helle verläuft nun wieder ganzjährig „ungestört“ im Talgrund; gedüngt wird, wenn überhaupt, nur noch extensiv mit handelsüblichem Mineraldünger.

 

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[1] LICHTENHAHN 2005, S. 5.