Vom Sodaglas zum Holzascheglas=Kaliumglas=Waldglas

Klaus A.E. Weber

 

Mitteleuropäische Kaliumgläser des Mittelalters - in der Literatur auch als „Holzascheglas“ oder „Waldglas“ bezeichnet – weisen einen hohen Flussmittelgehalt auf, wobei im Hochmittelalter auch Bleioxid als Flussmittel eine entscheidende Rolle für die Stabilität und den Glanz sakraler romanischer Farbgläser spielte.

Hierbei wird "Waldglas" gemeinhin auch als eine eigene historische Epoche der Glasherstellung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit bezeichnet, da es bei den in regionalen Hütten hergestellte Glaserzeugnisse dominiert.

Aufgrund eines Technologietransfers oder einer autochthonen Neuentwicklung vollzog sich in der Karolingerzeit, während des 8./9. Jahrhunderts, ein technologischer Wandel mit eigenständiger Glasgestaltung in Europa.[12]

Archäologisch nachweisbar, tauchte erstes Holzascheglas um 778 im Frankenreich unter dem fränkischen Herrscher Karl der Große auf.[24]

 

Antikes mediterranes Glas = Sodaglas = Natriumglas

Ganz in antiker Tradition ruhend, wurde in römischer Zeit ein Soda-Kalk-Glas unter Verwendung von mineralischem Soda, Kalk und Sand erzeugt.[21]

Zur Glasherstellung wurde Natriumcarbonat (Soda) verwendet, wie in Italien (Venedig-Murano), weshalb alle Soda-Gläser bzw. Soda-Asche in der chemischen Analyse sehr hohe Natriumgehalte bei vergleichsweise sehr geringen Kaliumgehalten aufweisen.

Die Schmelztemperatur des Gemenges mit Flussmittel betrug etwa 1.000° C.

 

Mittelalterliches transalpines Glas = Kaliumglas

In späterer mittelalterlicher Tradition wird in Waldglashütten Glas aus Kaliumcarbonat (Holzasche) mit weiter zunehmendem Kaliumgehalt hergestellt, aber auch mit deutlich höheren Calciumgehalten.[21]

Hieraus resultierend, lag die Schmelztemperatur des Gemenges mit Flussmittel bei etwa bei etwa1.250 - 1.350° C.

Die gegenüber der Herstellung antiker Natriumgläser der römischen Epoche (etwa 1.000 - 1.100° C) um rund 200° C höhere Ofentemperatur erforderte allerdings "resistentere Materialien für Häfen und Öfen".[14]

Was folgte, war eine ofentechnologische Weiterentwicklung mit innovativen Glasofentypen und Feuerungstechniken.

Während die aus Soda hergestellten mediterranen Natrongläser über eine hohe chemische Beständigkeit verfügen, sind die aus Holzasche erzeugten transalpinen Kaliumgläser extrem feuchte- und schadstoffempfindlich.[8]

Die ersten aus Holzasche hergestellten Gläser sind in die zweite Hälfte des 1. Jahrtauschend n. Chr. zu datieren.[21]

Es bestehen „eindeutige Anhaltspunkte für die Fertigung oder Verarbeitung von Kaliumglas aus der Königspfalz in Paderborn (um 780/800) und dem Reichskloster Corvey (ab etwa 822)“.[13]

Im Solling bestanden „hochwertige Lagerstätten von hellem tertiärem Glasmachersand“ [7], so die Quarzsandgrube in der „Sandwäsche“ am Langenberg bei Neuhaus.

 

Mittelalterlicher Rippenbecher [9][10]

konserviert und rekonstruiert

aus zersetztem Holzascheglas

Stadtwüstung Nienover

um 1200

Foto: Chr. S. Fuchs, NLD, Hannover

 

Mittelalterliches Holzascheglas

In der Tendenz eher dickwandig ausgeformtes mittelalterliches Waldglas bestand meist nur aus jeweils vor Ort vorgefundenem Sand und Holzasche.

Mittelalterliche Holzasche-Gläser weisen im Vergleich zu den Glasprodukten der römischen Antike hohe Anteile an Kalium-Ionen auf, die der Glasmasse zur Absenkung der Produktionstemperaturen in Form von Buchenholzasche zugefügt wurden.“[6]

Dem DBU-Forschungsbericht zum transdisziplinäres "Waldglasprojekt" 2014 – 2018 [1] zufolge, ist die mit einem Wissens- und Technologietransfer verbundene Herstellung von Kaliumglas kaum vorstellbar, „ohne weiträumige Verbindungen der christlichen fränkisch-sächsischen Eliten“.

Hierzu ist dem DBU-Forschungsbericht [8] zusammenfassend zu entnehmen:

Einen Umbruch brachte für Europa die Störung traditioneller Handels- und Austauschbeziehungen im Mittelmeerraum und dem Atlantik in Folge der militärischen Expansion des Islam im 7./8. Jahrhundert.

Hinzu kam, hervorgerufen durch Klimaeinbrüche, Hungersnöte und politische Turbulenzen, eine Verknappung von natürlicher ägyptischer Soda, die zur Umstellung auf Kaliumgläser in allen Regionen unter der Herrschaft der Muslime führte.

Die traditionelle Versorgung mit Rohglas und Rohstoffen aus dem Vorderen Orient und Ägypten wurde seit spätestens etwa 800 in Europa zunehmend schwierig.

Deshalb sah man sich im Frankenreich Karls des Großen, dessen Eliten großen Wert auf kostbare Gläser für die sakralen (Groß-) Bauten und Königspfalzen, vermutlich auch für die repräsentativen Wohngebäude des Adels legten, vor erhebliche Versorgungsprobleme und neue Aufgaben gestellt.

Offenbar gelang aber kurzfristig die Umstellung auf neue Rezepturen mit einheimischen Rohstoffen, bei denen der Buchenholzasche als alkalireichem Naturstoff eine besondere Stellung als Sodaersatz zukam.

Die daraus gefertigten Holzaschegläser entstanden wahrscheinlich in den experimentierfreudigen und höchst leistungsfähigen Offizinen der Blütezeit der fränkischen Hofkultur unter Karl dem Großen und seinem adligen Umfeld, insbesondere aber wohl im Kontext der Reichskirche innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne um das Jahr 800.

Damit war das abendländische Holzascheglas geboren, das die Grundlage der nordalpinen europäischen Glaskultur bis in die Neuzeit werden sollte.“

Nach ZIMMERMANN [25] verbreitete sich das neue Holzascheglas „zuerst im Bereich der fränkischen Herrscherfamilie" und der ihnen nahestehenden Personenkreise.

Auf dem Areal der karolingischen Königspfalz von Paderborn konnten Reste bemalter Glasscheiben archäologisch nachgewiesen werden, zudem eine Glaswerkstatt, die beim ersten Bau der Königspfalz um 776/777 eine neuartige Glasrezeptur ohne Soda verwendete.[25][26]

Die neue Glasrezeptur fand ebenso um 780 bei der Errichtung des Klosters Brunshausen Verwendung.[25]

 

Mittelalterliche Glastypen des mitteleuropäischen Raums [19]

  • Holzasche-Glas – frühmittelalterlich

  • Holzasche-Glas – spätmittelalterlich

  • Holzasche-Kalk-Glas / Kali-Kalk-Glas (Kalium-Calcium-Glas)

  • Holzasche-Bleigläser (Blei-Asche-Glas)
  • Bleigläser (hoch bleihaltiges Glas, Bleiglastyp ohne Aschezusätze)[22]

Das eher einfache mittelalterliche Holzascheglas war als Kaliumglas das Schmelzprodukt eines Gemenges aus drei natürlichen Hauptbestandteilen, die sehr hohe Schmelztemperaturen erforderten:

  • Glasbildner - Silikate: Quarz (SiO2)/Glassand / Aluminium (Al2O3)

  • Flussmittel - Kalium (K2O) / Phosphoroxid (P2O3) aus der Holzasche, vornehmlich aus Rotbuchenstammholz (Fagus sylvatica L.), aber auch aus Laub und Zweigen

  • Flussmittel - Bleioxid (PbO)

  • Glasstabilisator - mit der Holzasche Calcium (CaO) und Magnesium (MgO).

Lag die für die Herstellung der Fritte (Vorprodukt) bei Kaliumgläsern benötigten Schmelztemperaturen im Bereich von etwa 900-1100° C, so war für die Fertigung des Endproduktes die höhere Schmelztemperatur von etwa 1150-1300° C notwendig.[2][5]

Die neue Rezeptur des Holzasche-Glases machte führte nun zur Verlagerung der primären Glasschmelze in waldreiche Regionen [4], wie in den Solling.

Zum Erschmelzen des Holzascheglases aus diesem Gemenge mussten die Glashäfen notwendigerweise hochwertig sein, indem sie eine besonders hohe Hitzebeständigkeit bzw. Feuerfestigkeit besaßen.

Die Komponenten wurden im Spätmittelalter nach einer streng geheim gehaltenen Holzasche- und später dominierend in der frühen Neuzeit Holzasche-Kalk-Rezeptur des Glashüttenmeisters in einem Gemenge zusammengefügt

  • Holzasche-Gläser │ korrosionsanfällig

  • Holzasche-Kalk-Gläser │ zunehmende Herstellung etwa ab 1400 [15] │ korrosionsbeständiger, hochwertiger

Kalium und Calcium sind Hauptbestandsteile der Buchenasche (aus Stamm, Rinde, Laub, Zweigen), wobei tendenziell mehr Calcium als Kalium vorhanden ist.[17]

Im Zeitraum 1350-1500 beträgt in der chemischen Zusammensetzung deutscher Holzasche-Kalkgläsern das Verhältnis von CaO/K2O 3,5 [16] bzw. CaO + K2O von etwa 35 ma%.[27]

Zur Zusammensetzung der Asche von Buchen und mittelalterlicher Glastypen für den mitteleuropäischen Raum ist zu verweisen auf MUCHA und MECKING [18].

Da Holzasche eine höhere Aluminiumkonzenration aufweist, haben Holzasche-Blei-Gläser entsprechend auch einen höhren Aluminiumgehalt (Al2O3).[23]

 

Chemische Zusammensetzung mittelalterlicher Gläser [20]

alphabetisch geordnete Verhältnisformeln

Al2O3 Aluminiumoxid
BaO Bariumoxid
CaO Calciumoxid
Cl Chlor
CoO Cobalt(II)-oxid
CuO Kupfer(II)-oxid
FeO Eisen(II)-oxid
Fe2O3 Eisen(III)-oxid
K2O Kaliumoxid
MgO Magnesiumoxid
MnO Mangan(II)-oxid
Na2O Natriumoxid
NiO Nickel(II)-oxid
P2O5 Diphosphorpentoxid
PbO Blei(II)-oxid
SO3 Schwefeltrioxid
Sb2O5 Antimon(V)-oxid
SiO2 Siliciumdioxid
TiO2 Titan(IV)-oxid

 

Hierbei wurde jahrhunderte lang vor allem

  • die geheim gehaltene Rezeptur zur Glaserzeugung

  • das Verarbeiten

  • das Veredeln

von Gläsern vom Vater nur mündlich an die Söhne in immer denselben Meisterfamilien weitergegeben - nicht zuletzt aus Gründen der Konkurrenz.

 

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[1] DBU 2018, S. 51.

[2] DBU 2018, S. 53.

[3] KOCH 2011, S. 16-21.

[4] DBU 2018, S. 62.

[5] DBU 2018, S. 115.

[6] DBU 2018, S. 194-195.

[7] STEPHAN/MYSZKA/WILKE 2018, S. 307.

[8] DBU 2018, S. 9.

[9] Abb. aus KÖNIG 2009, S. 188-189. Tafel 94 – Rippenbecher, Bef. 535, FNr. 2956, Höhe ca. 18,0 cm sowie auch Tafel 64, 65.

[10] DBU 2018, S. 20 Abb. 10.

[12] DBU 2018, S. 21.

[13] DBU 2018, S. 26.

[14] JENISCH/RÖBER/SCHESCHKEWITZ 2022, S. 14.

[15] STEPHAN 2022b, S. 62.

[16] MUCHA 2022, S. 108-110.

[17] MECKING 2022, S. 147.

[18] MUCHA S. 109 Tab. 2; MECKING 2022, S. 148 Tab. 1, Tab. 2.

[19] MUCHA S. 114 Tab. 5; MECKING 2022, S. 148 Tab. 2.

[20] MUCHA 2022, S. 108 Tab. 1, 110 Tab. 3, 112 Tab. 4, 114 Tab. 5; MECKING 2022, S. 148 Tab. 2.

[21] MECKING 2022, S. 148.

[22] MECKING 2022, S. 150.

[23] MECKING 2022, S. 152.

[24] ZIMMERMANN 2022, S. 207.

[25] ZIMMERMANN 2022, S. 201, 207.

[26] PARELLO 2022, S. 362.

[27] DRÜNERT/MÖNCKE/STEPPUHN 2022, S. 395.