Ortsfeste Glashütte Steinbeke │ "Höllthal Glas Hütte"
Klaus A.E. Weber
Neuzeitliche Glashütte "Steinbeke"
im Hellental
© Historisches Museum Hellental, Grafik: Klaus A.E. Weber
Nach TACKE [13] sei die von Gundelach „im Hellental am Steinbek“ angelegte Hohlglashütte die letzte „fliegende Glashütte unseres Gebietes“ gewesen.[5][6]
Die Forstkarte "Geometrischer Grundriss Der Merxhäuser-Forst - Wie selbiger in Anno 1745 aufgenommen worden von Ludwig August Müller" belegt in der alten Forstabteilung III/IV den Glashüttenwerkweiler durch Gebäudesignaturen und den Namenszug "Höllthal Glas Hütte".[17]
Der "Geometrische Grundriß derer Hochfürstl. Braunschweig.-Lüneburg. an den Weser- und Leineflüssen belegenen Landen, aufg. von 1745/46 durch J. F. Hintzmann auf Befehl des Herzogs Carl unter d. Direction d. Hofjägermeisters v. Langen, kopiert von Grotian" enthält in der Abteilung des Amtes Allersheim lediglich die Beschreibung "Hell Thal Glashütte", jedoch ohne Gebäudesignaturen.
Postkarte des Lehrers Otto Bloß aus Holzminden an
seinen Lehrerkollegen
Fritz Rodbarth in Hellental │ 07. Mai 1954
NLA WO, 99 N Nr. 691
Ungeklärter Entstehungskontext der Glashütte vor 1717
Eingewanderte Mecklenburger Glasmacherfamilien
Aus dem mehr als 300 km entfernten "Mecklenburgischen" - im 17./18. Jahrhundert zu den bedeutendsten deutschen Glashüttenstandorten zählend [9] - eingewanderte, teils ursprünglich hessische Glasmacherfamilien
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Gundelach
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Hesse
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Jacephe
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Kamelin (Gamelin)
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Kauffel(t) (Kauffeld, Kaufhold)
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Runge
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Schlieker
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Wen(t)zel
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Zitz (Seitz)
errichteten zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der staatlichen „Merxhäuser Forst“ die Bauwerke zur Gründung der letzten Glashüttenanlage im Hellental.
Vor dem Hintergrund der Gebrauchsglasherstellung in ihrer Heimat dürften auch die Glaswaren der eingewanderten mecklenburgischen Glasmacher, die ihre bewährten Rezepturen und Glasformen mitbrachten, in der Steinbeker Glashütte zumindest anfangs maßgeblich von schlichtem und unverziertem grünen und braunen Gebrauchsglas geprägt gewesen sein.
Die bislang früheste urkundlich fassbare Erwähnung und sozialräumliche Erfassung der Glashütte als "uff der Steinbeker Glashütten" ist dem Taufeintrag im Kirchenbuch Heinade vom 06. Juni 1717 zu entnehmen.
Vieles deutet darauf hin, dass "Herr" Jobst Henrich Gundelach die Glashütte als erfahrener Hüttenmeister und Kaufmann in hoch geachteter sozialer Stellung führte - mit unternehmerischen Kontakten zur Kirche.
Im Februar 1719 heiratete Gundelach in der evangelischen Kirche zu Holzminden Elisabeth Juliana Sophia Behm [1696 - um 1755/1756], älteste Tochter aus der ersten Ehe von Christian Heinrich Behm [1662-1740] und Johanna Dorothea Behrens [1676-1708].
In unmittelbarer Nähe zum Werkbereich der Glashütte soll Jobst Henrich Gundelach sein ansehnliches "Meisterhaus" errichtet haben.
Wohl zu Beginn der 1730er Jahre verließ Jobst Henrich Gundelach mit seiner Familie - aus bislang noch ungeklärten Gründen - die „Steinbeker Glashütte“ im Solling.
1735 wurde Jobst Henrich Gundelach von Herzog Ferdinand Albrecht II. (1680-1735) zum herzoglichen Amtmann in Lichtenberg (bei Salzgitter) ernannt.
Zugleich war Gundelach auch Pächter der Domäne zu Lichtenberg, wo er 1740 verstarb.
Am ehesten holzwirtschaftlich bedingt, wurde um 1745 - nach fast 30 Jahre währendem Betrieb - die ortsfeste Glashütte für immer stillgelegt.
Im Jahr 1743 - als der herzogliche Kammerrat Thomas Ziesich (1686-1761) aus Braunschweig als "Ober Glaß Hütten Inspector" auch für fiskalische Hüttengründungen im Braunschweiger Teil des Sollings zuständig war - erwarb der Braunschweiger Staat für den Kaufpreis von 1.500 Taler Anlageteile der Glashütte und verlegte sie an den "Schorbornsteich" im Nordsolling zur merkantilistischen Hüttengründung.
Hier wurde 1744 durch Herzog Carl I. die „Fürstlich-Braunschweigisch-Lüneburgische Hohl- und Tafelglashütte“ in Schorborn als Weißglashütte errichtet.
Zunächst unter fürstlicher Administration stehend produzierte die ortsfeste Glasmanufaktur am Schorborn (1744-1842) überregional bedeutendes Feinglas im Braunschweiger Solling.
Waldglashütte mit Sonderstellung
Glashütte des produktionstechnischen Übergangs zur fürstlich-merkantilistischen Glasmanufaktur
Der nahe Merxhausen entstandenen privaten Glashütte Steinbeke kommt insofern eine regionale glashistorische Bedeutung in der Neuzeit zu, als sie die Phase des produktionstechnischen Übergangs von der mittelalterlich, traditionell handwerklich geprägten, saisonalen Waldglashüttenzeit zur frühindustriellen technischen Produktionsweise in fürstlichen Glasmanufakturen mit dauerhafter Hüttenansiedlung unter herzoglicher Verwaltung während des 18. Jahrhunderts markiert - ganz im Geiste des vorherrschenden Merkantilismus. [20][24]
Dadurch wurden einst im Solling über Jahrhunderte dominierende Wander- und Waldglashütten durch ortsansässige (stationäre) und zudem spezialisierte Glasmanufakturen abgelöst.
Das Hellental war in jener Zeit ein eher unwegsames, an seinen Rändern mit dichtem Rotbuchenwald überzogenes, kühles und nebliges Talgebiet im nördlichen Solling, ohne tiefgründige Böden.
Mecklenburgischen Einwanderern blieb es vorbehalten, dort im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts - um 1715/1717 - eine Glashütte zur Hohl- und möglicherweise auch Flachglasproduktion mit fester Werkssiedlung für "Laboranten" und ihre Familien "in Steinbeke an der Helle" zu errichten.[1]
Es entwickelte sich über fast drei Jahrzehnte eine größere, manufakturähnliche Glashütte mit Sonderstellung.[2]
Bei dieser neuzeitlichen Glashütte im Solling handelt es allerdings nicht um eine braunschweigische Staatsmanufaktur.[3]
Bislang bleibt auf Grund fehlender Quellenlage die Kernfrage unbeantwortet, was die Glasmacher zu Beginn des 18. Jahrhunderts bewegte, mit einem großen Glasmachertreck aus dem „Mecklenburgischen“ auf beschwerlichem Wege in das über 200 km Luftlinie entfernte Hellental im Herzogtum Braunschweig für immer auszuwandern.
Es darf bei der Ortswahl zur Hüttengründung davon ausgegangen werden, dass sie bei ihrer Entscheidung über gute Lokalkenntnisse verfügten, wobei ihnen einerseits geografisch das weiträumige Hellental im nördlichen Solling genauso bekannt war, wie andererseits dessen offenbar besonders günstigen Rahmenbedingungen und Naturressourcen zur langjährig profitablen Glasproduktion.
Ohnehin war der einträgliche Glashandel in jener Zeit bereits überregional und supranational organisiert.
Für den ausreichend großen Werkbereich und den damit zugleich verbundenen Wohnbereich für eine größere Glashüttenbelegschaft, einschließlich der Familien, die nunmehr in einfachen Hütten im Produktionsnahbereich lebten, war zur Glashüttengründung das trichterförmige westliche Seitental des nordöstlichen Hellentals eine günstige naturräumliche Gegebenheit, von der offenbar die Glasmacher ausreichend Kenntnis hatten.
Am steilen Berghang des westlichen Seitentales entsprang die noch heute kräftig schüttende Bergquelle, von wo aus ein über Steine abfließender Bach, die "Beeke", fast geradlinig in die Merxhausener Feldmark im Talgrund floss.
"Höllthal Glas Hütte" um 1745
Gebäudesignaturen mit Namensvermerk
Der im Original relativ kleine "Geometrische Grundriss Der Merxhäuser-Forst Wie selbiger in Anno 1745 aufgenommen worden von Ludwig August Müller" [25] weist im Bereich des heutigen Dorfes Hellental, wenige Jahre nach der Stilllegung der Glashütte Steinbeke und deren Verlegung mittels Techniktransfer an den „Schorborns Teich“, fünf vereinfachte Gebäudemarkierungen mit Namensvermerk "Höllthal Glas Hütte" auf (Forstabteilung III, IV).
Soweit bei dem fraglich maßstäblichen Miniaturausschnitt aus der ohnehin vergleichsweise kleinen Originalforstkarte zu erkennen ist, wurde südwestlich eine rechteckige Gebäudesignatur mit einem größeren Nutzflächenbereich eingetragen.
Nach LESSMANN [26] soll diese Gebäudesignatur dem einstigen Meisterhaus von Jobst Henrich Gundelach entsprechen.
Dem hingegen könnte diese Signatur auch als ehemaliger, aufgelassener Produktionsbereich der großen Glashüttenanlage angesprochen werden.
Einer weiteren Hinterlassenschaft der ortsfesten Werkssiedlung könnten die Signaturen einer Reihe von mindestens vier Gebäuden entsprechen, die gegenüber dem „Meisterhaus“ oder Werksgelände nordöstlich eingezeichnet sind.
Es könnte sich hierbei um vier „Arbeiterhäuser“ (Laborantenhütten?) mit dazugehörigen Nutzflächen (Gärten) handeln, die wahrscheinlich oberhalb des Hanges „Steinbeke” standen (heute „An den Höfen“).
Damit lagen sie vom Brand geschützt oberhalb des ehemaligen Glashüttenplatzes, welcher das Gelände der heutigen Dorfkapelle, des Dorfgemeinschaftshauses (vormals Dorfschule) und des kleinen Grünparks umfasste.
Zieht man die spätere staatliche Vorgabe zur Errichtung des gewerblichen Dorfes heran, wonach ein "Anbau in Nordost und Südwest oberhalb der vorhandenen Häuser und Gärten" in Betracht zu ziehen sei, so lässt diese Angabe vermuten, dass bereits vor etwa 1750 bzw. zum Zeitpunkt der Erstellung der Forstkarte um 1745, Häuser mit Gärten am alten Glashüttenplatz gestanden haben und die vier Signaturen daher als Vorgängergebäude der um 1753-1756 angelegten Anbauer-Häuser angesehen werden könnten.
Als "Schorborn Glas Hütte" ist die im Entstehungsjahr der Merxhäuser Forstkarte neu angelegte „Fürstliche Hohl- und Tafelglashütte“ am Schorbornsteich bereits angegeben.
Literatur
WEBER, KLAUS A.E.: Waldglashütten in den Solling-Forsten des Hellentals. Beiträge zur Glashüttengeschichte im Solling vom 12./13. bis 18. Jahrhundert. Teil IV. Glashütten der Frühen Neuzeit im Umfeld des Hellentals - 1. Hälfte 18. Jahrhundert. Sollinger Heimatblätter. Zeitschrift für Geschichte und Kultur. 4/2012, S. 15-24.
STEPHAN, HANS-GEORG: Mittelalterliche und frühneuzeitliche Glashütten im Solling (1200-1740/50). Sollinger Heimatblätter. Zeitschrift für Geschichte und Kultur. 2/2006, S. 13-18.
BLOSS, OTTO: Steinbecker Glashütte im Hellenthale. In: O. Bloß: 800 Jahre Schorborn 1150-1950. Bilder aus der Vergangenheit der Gemeinde Schorborn und der Waldglashütten im Solling. Eschershausen 1950; S. 9-12.
ULRICH VON OEYNHAUSEN: Glashütten in Mecklenburg. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 70 (1905), S. 267-312.
NÄGELER, WOLFGANG: Ortsfamilienbuch Schorborn mit Schießhaus 1746-1902. Stadtoldendorf (Selbstverlag) 2013. - Das Buch beinhaltet 1.579 Familien mit 4.370 Personen mit Registern für Namen, Orte, Berufe und Krankheiten. Für das Bestehen der Glashütten in Schorborn hat der Autor für die Taufen auch die Taufpaten erfasst, um auch raumübergreifende Beziehungen abzubilden.
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[2] LILGE 1993; SCHOPPE 1989; LESSMANN 1984; BLOSS 1977, 1976, 1961, 1950.
[3] Bezeichnung "S 40" bei BLOSS 1977, S. 115 – Grünglashütte zur Steinbeke im Hellenthal; Hüttenstandort in der Ortsakte „Heinade-3-1 NStAWb Forstkarte 92 Neu F Nr. 501 Hellental“ der Kreisarchäologie Landkreis Holzminden. Heute: Einebnung baulicher Reste mit völliger Überbauung.
[5] In der Fachliteratur finden sich Hinweise, die einerseits von einer tatsächlich ortsfesten Glashütte jenseits des bis dahin verbreiteten Wanderglashüttenwesens, andererseits aber auch von „der letzten Wanderglashütte des Sollings“ ausgehen [TACKE 1951].
[6] TACKE 1943, S. 138-139.
[9] Übersicht zum "Waldglas in Mecklenburg" bei JANKE/JUNGHANS/LEWERENZ 2010.
[13] TACKE 1943, S. 93.
[17] NLA WO, 4 Alt 10 XIV Nr. 2 - Ausschnitt 3 Karte Bl. 2 Teil 2.
[20] Modern-ökonomisch: Leistungsbilanzüberschuss/Außenhandelsüberschuss - Zu ihrer staatlichen, frühkapitalistischen Einnahmesteigerung förderten Fürsten ihre heimischen (inländischen) Manufakturen und Monopolbetriebe zur Herstellung von Exportprodukten, wohingegen Importe verboten bzw. mit hohen Zöllen (Importzölle) belegt wurden.
[22] STEPHAN 2010, S. 527.
[23] BLOSS 1977, S. 115-116.
[25] NLA WO, 92 Neu F 501 (Anlage Karte); Vermerk von LESSMANN 1984, S. 31.
[26] LESSMANN 1984, S. 31.