Ebstorfer Weltkarte um 1300 │ Nachbildung
Klaus A.E. Weber
Die schöne „Ebstorferin“ [1][5] ist nicht nur schön anzuschauen, sie ist die Größte, sie fasziniert und wirkt zugleich auch mystisch, sie hat viel von der Welt ihrer Zeit zu erzählen.
∎ Nachbildung │ [hmh Inv.-Nr. 3034
Zeitgenössische Enzyklopädie der historischen, geografischen, theologischen und mythologischen Weltauffassung
Als „Radkarte“ zählt die Weltkarte zum überlieferten Typus der T-Karten und ist im Sinne römischer Karten als Rundkarte nach Osten ausgerichtet („orientiert“), aufgegliedert in drei Erdteile: Afrika, Asien und Europa.
Im religiösen und geografischen (Welt-)Mittelpunkt steht die Stadt Jerusalem, Heiligtum der christlichen Welt.
Die Ebstorfer Weltkarte als christlich geprägtes Weltbild des Mittelalters
Versenken wir uns in den Geist der hoch- bis spätmittelalterlichen Zeit mit ihrer wundergläubigen Weltstimmung hinein.
Welche Auffassung von der mittelalterlichen Welt und welches Welterleben hatten wohl einst die Bewohner*innen der Bauerndörfer Heinade und Merxhausen am Sollingrand, wie auch jene ersten Glasmacher mit ihren Familien im entlegenen Hellental - im „Alten Tal der Glasmacher“?
Eine mögliche Spur zur Beantwortung dieser (orts-)historisch spannenden Fragen könnte in der um 1300 bzw. um die Mitte des 13. Jahrhunderts (ca. 1280-1315/1330) erstellten klösterlichen „Ebstorfer Weltkarte“ zu finden sein.[5]
Faksimile der Ebstorfer Weltkarte
materialgerechte Kopie
Ziegenpergament im ursprünglichen Format
des Originals
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Klösterliche Weltchronik als Kreiskarte (= Erdscheibe) - mit lateinischen Begleittexten
Die materialgerechte Kopie auf Ziegenpergament im ursprünglichen Format des Originals der größten überlieferten und inhaltsreichsten ‘mappa mundi‘ aus dem Mittelalter gibt eine klösterliche Weltchronik wieder mit lateinischen Begleittexten in der Darstellungsform eines monumentalen Weltgemäldes.
In jener Zeit bildeten Kunst, Weltanschauung und Wissenschaft eine alleine auf dem Glauben ruhende Einheit.
Zugleich ist die bildreiche, an mehreren Stellen beschädigte Weltkarte eine zeitgenössische Enzyklopädie des gesamten historischen, erd- und naturkundlichen Wissensstoffes, bildhaft vereinigt mit dem damaligen theologisch-biblischen und antiken mythologischen Gedankengut.
Es ist eine sinnfällige Weltsicht, wie sie einst auch die bäuerlichen Familien in Heinade und Merxhausen wie auch die Hellentaler Glasmacher gehabt haben könnten.
Die Stadt Braunschweig
ist mit dem "Braunschweiger Löwen"
aus der Zeit um 1166 abgebildet
Museum Lüneburg
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Die einstige Originalkarte aus der Zeit um 1300
Die Originalkarte bestand ehemals aus 30 zusammengenähten, ungleichen Pergamentblättern mit einer Gesamtfläche von 12,75 m².
Die strichgetreue Nachbildung ersetzt das während des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1943 in Hannover verbrannte, 1830 in einer Abstellkammer teilbeschädigt aufgefundene Unikat, das wahrscheinlich aus dem Benediktinerinnenkloster Ebstorf im Klosterflecken Ebstorf inmitten der Lüneburger Heide stammte.
Es stammt wahrscheinlich aus dem um 1160 gegründeten Heidekloster Ebstorf („Ebbekestorp“) bei der Hansestadt Lüneburg.[3]
Bislang konnten allerdings weder der Ursprung noch der sakrale Zweck (Altar- oder Chorbild) oder der Verfasser und das Entstehungsjahr urkundlich belegt werden.
Im Unterschied zu neuzeitlichen, maßstabsgetreuen Kartenwerken ganz im Sinne römischer Kartendarstellungen nach Osten ausgerichtet, ist die mittelalterlich gottgefällige „Radkarte“ (die Erde als Kreisscheibe) durch das vielgliedrige Mittelmeer und seine Nebenmeere aufgeteilt in die drei damals bekannten Kontinente:
-
Asien nahezu in der oberen und unteren Kartenhälfte
-
Afrika im rechten Kreisabschnitt
- Europa im unteren linken Sektor.
Bei der Gestaltung und Größe der Erde wie auch der Länder spielen der Maßstab und Entfernungen eine nachgeordnete Rolle.
In der Raumgliederung wird der bewohnte Erdkreis außen völlig von dem schmalen Band des „Weltmeeres“ umsäumt, symbolisch zusammengehalten von der Gestalt Christi (Jesus Christus) – am Kartenrand erkennbar am Kopf (oben), an den Händen (links/rechts) und an den Füßen (unten).
Die die Heilige Stadt Jerusalem als goldenes Viereck
Museum Lüneburg
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Den religiösen wie geografischen Kartenmittelpunkt und das Herz der Welt bildet die Heilige Stadt Jerusalem als goldenes Viereck - Heiligtum der damaligen christlichen Vorstellung von der Weltmitte.
Im oberen Kartenabschnitt ist das Paradies in seiner biblischen Darlegung abgebildet – das erste Menschenpaar mit der Schlange am Baum der Erkenntnis, die vier Ströme und der Baum des Lebens im äußersten Osten.
Die ägäische Küstenregion Kleinasiens ist mit ihrem Städte- und Burgenreichtum dargestellt, ebenso ein aus dem Heiligen Lande heimkehrender ritterlicher Kreuzfahrer.
Die Ewige Stadt Rom wird durch ihre Wahrzeichen der sieben Hauptkirchen charakterisiert.
Zwischen Oberlauf der Donau mit ihren Zuflüssen und der Nordsee tritt neben Lüneburg auch Braunschweig mit dem Braunschweiger Burglöwen außergewöhnlich groß hervor.
Anhand eines verkleinerten Drucks der schönen „Ebstorferin“ [2] können inhaltsreiche Kartendetails der zahlreiche Text- und Bildeinträge umfassenden mittelalterlichen Bildkarte in der Dauerausstellung erforscht und das Wissen und die Vorstellungswelt jener Zeit buchstäblich unter die Lupe genommen werden.
Ebstorfer Weltkarte auf den Internetseiten der Leuphana Universität Lüneburg
_______________________________
[1] Literatur beim Verfasser.
[2] Der verkleinerte Druck wurde wahrscheinlich in den 1960er/1970er Jahren erstellt; er ist eine Schenkung von Herrn Dr. Wolfram Grohs aus Holzminden an das Regionalmuseum in Hellental.
[3] KLOSTERKAMMER HANNOVER 2008, S. 56-61.
[4] KLOSTERKAMMER HANNOVER 2008, S. 59.
[5] HUMBURG/SCHWEEN 2000. Katalog Nr. 1, S. 266-267.