Räuberische Übergriffe? │ um 1622-1625

Klaus A.E. Weber

 

Auf der Suche nach lohnender Beute durch marodierende Söldner

Während des Dreißigjährigen Krieges bewegen sich große Söldner Heere über weite Entfernungen kreuz und quer durch das Land.“[8]

Wie in das Leben der Allgemeinbevölkerung so verursachte der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) auch tiefe Einschnitte in das Leben und Arbeiten von Glasmacherfamilien, deren Hüttenanlage und Glaswaren durch räuberische Übergriffe von Soldaten mehrfach ausgeplündert und zerstört wurden.

Nach TSCHIRR [1] seien letztlich alle Glashütten "von jedem überfallen" und im Zeitraum des Dreißigjährigen Krieges "so gut wie keine Hüttenanlage mehr gegründet" worden.

Erst rund acht Jahrzehnte später sollte es nach einer "Erholungsphase" um 1715 zur Gründung der neuzeitlichen ortsfesten Glashütte Steinbeke kommen - der zugleich letzten Glashütte im Hellental.

 

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Räuberischer Überfall auf die "inländischen Glashütten"

In der Frühphase des Dreißigjährigen Krieges bildeten die beiden "Inländischen Glashütten" im "Hellthall" jeweils eine wirtschaftliche und soziale Einheit im Solling als abgelegene "Hüttendörfer" auf Zeit.

Spätestens zur Mitte des Jahres 1622 wurde auch der hiesige Raum vom Kriegsgeschehen des Dreißigjährigen Krieges heimgesucht.

Generalleutnant Johann T’Serclaes von Tilly (1559-1632), Heerführer der Katholischen Liga, zog am 02 August 1625 in Hameln ein, wo die Kaiserlichen die Stadt für die nächsten kommenden acht Jahre besetzen.[8]

Zuvor war es am 14. Januar 1624 zu einem feindlichen Einfall des Feldherrn Tilly mit seinen kaiserlichen Truppen in das braunschweigische Holzminden gekommen.

Tillys Truppen der Katholischen Liga waren am 19. Juli 1625 nach Amelungsborn und Stadtoldendorf vorgestoßen; es kam zur Besetzung, Plünderung und teilweise zur Brandschatzung von Stadtoldendorf.[3]

Vom 29. Juni bis zum 14. Juli sowie erneut am 11. August 1625 hausen im Kloster Amelungsborn plündernd, zerstörend, raubend, quälend, schändend und mordend „Tillys streifende Völker“.[7]

Im Zeitraum 1625-1627 blieben letztlich kein Dorf und keine Stadt der Sollingregion von dem Krieg und seinen Folgen verschont.

Archivalisch wie archäologisch gut dokumentiert ist, dass während des Dreißigjährigen Krieges eine 1624 von Meister Hans Greiner errichtete frühneuzeitliche Waldglashütte im Hils bereits ein Jahr später im Sommer 1625 von marodierenden Soldaten der Katholischen Liga überfallen, niedergebrannt und eine Glaswarenlieferung zerstört wurde.[4]

Zwei Jahre später wurde durch den Einfall kaiserlicher Soldaten eine auch von Meister Hans Greiner im Vogler betriebene Glashütte 1627 wochenlang "vom selbigen Glaßebrennen gantz verhindert und abgehalten".[5]

1633 wurde "durch das Krieges wesen" wiederum eine Glashütte in der Hilsregion mitsamt ihrer Glasvorräte zerstört, ebenso 1635/1636 eine von Meister Franz Seidensticker und Wentzel Muth "unter dem Hilsborn" betriebene Glashütte.[5]

Auch die im Waldgebiet der ehemaligen Zisterzienserabtei in Walkenried (1607-1623) bei Wieda am Rand des Südharzes betriebene „Weinglashütte“ wurde vermutlich im Dreißigjährigen Krieg zerstört.[6]

 

Tatort Waldglashütte "Oberes Hellental"

 

Waldglashütte

"Oberes Hellental"

1. Drittel 17. Jahrhundert

Kugelförmige Bleiprojektile

aus dem Umfeld der Glashütte

© Historisches Museum Hellental, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Geschosskugeln und eine "verlorene" Glasmacherpfeife

Im Umfeld des Betriebsgeländes der Glashütte "Oberes Hellental" konnte ein Streufund von bislang acht Bleikugeln geborgen werden [2], abgefeuert aus Musketen, Karabinern und/oder Pistolen in nicht allzu großer, möglicherweise aus nur etwa 60 – 70 m Entfernung.

  • Geschosskugeln aus Blei mit unveränderter Kugelform: Durchmesser: 14–16 mm │ Durchschnittsgewicht: 20,2 g

  • unterschiedlich deformierte, fragmentierte Geschosskugeln aus Blei

Im Spiegel der von LEIBER archivalisch wie insbesondere archäologisch dokumentierten räuberischen Überfälle auf Glashütten im Hils (1625) und Vogler (1627) während des Dreißigjährigen Krieges, können - bei aller vorsichtigen Interpretation - die Geschosskugeln in einem kausalen Zusammenhang mit einem zerstörerischen Überfall auf die abgelegene Waldglashütte stehen [6], verursacht durch kaiserliche Soldaten bzw. marodierende Söldner bei ihrer Suche nach lohnender Beute.

 

Waldglashütte

"Oberes Hellental"

1. Drittel 17. Jahrhundert

Verlorene Glasmacherpfeife

© Historisches Museum Hellental, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Auch der Bodenfund der wahrscheinlich kompletten Glasmacherpfeife könnte in dieser Richtung diskutiert werden, da die Fundumstände und die ungewöhnliche Lage im Boden nahe legen, dass das an sich glashandwerklich außerordentlich wertvolle Werkzeug als persönliches Eigentum eines Glasmachers bei einem Überfall von Tillys streifende Völkernmutmaßlich um das Jahr 1625 unkontrolliert verloren oder fluchtartig weggeworfen wurde .

 

Tatort Waldglashütte "Am Lummenborn"

Im Bereich des Betriebsgeländes der Glashütte "Am Lummenborn" konnten bislang keine Funde geborgen werden, die auf räuberische Übergriffe mit Plünderung und Zerstörung durch Truppen der katholischen Liga bzw. durch marodierende Söldner während des Dreißigjährigen Krieges hindeuten.

Trotz fehlender Belege, darf gleichwohl ein vergleichbares Hüttenschicksal wie bei der etwa zeitgleich produzierenden Glashütte „Oberes Hellental“ angenommen werden.

 

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[1] TSCHIRR 2009, S. 25.

[2] Bodenuntersuchung von Michael Begemann, Holtensen (Einbeck).

[3] RAULS 1974, S. 76-78.

[4] LEIBER, CHRISTIAN: Überfall auf eine Waldglashütte im Hils bei Grünenplan während des Dreißigjährigen Krieges. In: GÄRTNER, TOBIAS, STEFAN HESSE, SONJA KÖNIG (Hg.): Von der Weser in die Welt. Festschrift für Hans-Georg Stephan zum 65. Geburtstag. Alteuropäische Forschungen. Arbeiten aus dem Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Neue Folge 7. Langenweißbach 2015. S. 277-290.

[5] LEIBER 2015 (ebd.), S. 285.

[6] REMPEL 2011.

[7] KIECKBUSCH 2009, S. 20.

[8] MUSEUM HAMELN 2023, S. S. 29, 32.