Soziale und hygienische Situation in Städten

Klaus A.E. Weber

Leitender Medizinaldirektor / Amtsarzt a. D.

 

Bäuerliches Wohnen auf dem Lande

Abort und Kuhstall

LWL-Freilichtmuseum Detmold

Juli 2008

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Bäuerliches Wohnen auf dem Lande

Küche

LWL-Freilichtmuseum Detmold

Juli 2008

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Kennzeichnung

 

Übergang Deutschlands von der Agrar- zur Industriegesellschaft (ca. 1870-1914)

  • einhergehend mit zunehmender sozialer Problemverdichtung, insbesondere in den rapide wachsenden urbanen Ballungsräumen (Industriestädte)
  • unterentwickelte Stadthygiene

 

IndustrialisierungUrbanisierung

Folge der Entwicklung frühkapitalistischer, industrieller Produktionsweisen:

  • Entstehen neuer, rasch anwachsender städtischer wie betrieblicher Ballungsräume

  • Industriestädte/-regionen

  • Großbetriebe
  • Überbevölkerung
  • Brennpunkte massenhafter sozialer Not (Proletarisierung) und gesundheitlicher Gefahren
  • Industriestädte als „zymotisch-miasmatische Krankheitsherde (“Gärungskrankheiten“, veraltet für Infektionskrankheiten)

 

Vermehrt Schmutz, Unrat und Geruchsbelästigung

  • Systemmängel in der Abwasser- und Fäkalienbeseitigung
  • Die Mortalitätslisten werden mehr durch die Kanalisation beeinflußt als durch diese oder jene Methode der ärztlichen Praxis.

 

 

Mangelnde stabile und zentrale Frischwasserversorgung

  • Trinkwassergewinnung aus Einzelbrunnen
  • mangelhafte Trinkwasser- und Lebensmittelhygiene bzw. -kontrollen

 

Wohnungsnot │ Slums

  • Entwicklung von engen Hinterhofgebäuden, Mietskasernen, Dachgeschoss- und Kellerwohnungen
  • LABISCH (1986): „Arbeiterviertel als eine Ansammlung stofflichen und menschlichen Abfalls
  • Wo die Sonne nicht hinkommt, da kommt der Arzt hin.

 

Wandel tradierter Lebens- und Arbeitsverhältnisse

beispielsweise „industrielle Kleinfamilie“mit Bedürfnislosigkeit der Arbeiter

  • Kinderarbeit

  • Frauenarbeit

  • niedriges Lohnniveau: Hungerlöhne

  • hohe Wochenarbeitszeit > 90 Std./Woche

  • hohe Arbeitslosigkeit

  • sozialer Abstieg und massenhafte Verelendung

  • Alkoholismus

  • Bedürfnislosigkeit der Arbeiter

  • Nahrungsmittelmangel und Ernährungsdefizite

  • „Hungersterben“

  • unzureichende Kleidung

  • Infektions- und Mangelkrankheiten, insbesondere bei Müttern und Kindern

  • Infektionskrankheiten treten in den Vordergrund staatlichen Interesses, z.B. bei der Tuberkulose als „Proletarierkrankheit“

  • Interventionsinstrumentarien des Staates

 

Historisches städtisches Beispiel

Cholera und Typhus in Basel [1]

 

Grundrissplan

Stadt Basel am Rhein

Kolorierter Kupferstich von 1784/1786

Historisches Museum Basel

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Detailaufnahme

Ausstellungsmodell Stadt Basel

Historisches Museum Basel

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Wie der Grundrissplan der Stadt Basel und das Stadtmodell im Historischen Museum Basel erkennen lassen, lebten im 19. Jahrhundert in der mittelalterlich angelegten Stadt die Bevölkerung dicht gedrängt auf engen Raum – etwa vergleichbar mit anderen europäischen Großstädten.

Zuvor nie dagewesene Mengen an Abfall und Abwasser bildeten in der Stadt Basel den idealen Nährboden für verheerende Epidemien.

So wütete 1855 die Cholera und 1865/1866 der Typhus in der Stadt Basel.

Zur «Gesundung» der Stadt trugen städtebauliche und hygienische Maßnahmen bei.

 

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[1] Historisches Museum Basel 2020.

[2] Blog-Artikel des Schweizerischen Nationalmuseums vom 22. Januar 2021 von Elias Flatscher, Assistent für Mittelalterarchäologie an der Universität Zürich und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Archäologischen Bodenforschung in Basel.