Objektgruppe Glas │ Glashütte "Oberes Hellental"

Klaus A.E. Weber

 

Fundbestand

November 2024

 

Oberflächennah vorgefundene, teils hochgradig fragmentierte gläserne Bodenfunde lassen für die Waldglashütte im oberen Hellental ein differenziertes, regionaltypisches Formenspektrum spätrenaissancezeitlicher Hohl- und Flachgläser rekonstruieren.

Die Produktpalette frühneuzeitlicher Glasherstellung ist zudem ein Hinweis darauf, dass an der großen, abgelegenen Waldglashütte qualifizierte und fähige Glasmacher und andere Arbeiter beschäftigt waren.

 

Oberflächennahes Fundmaterial aus einer Abraumhalde

Neben "Siedlungsmüll" zeigen archäologische Spuren (Glasfragmente) vornehmlich aus einer Materialabwurfhalde der Waldglashütte ein zeit- und regionaltypisches Formenspektrum von Hohlgläsern (Tafelgeschirr, Haushaltsglas) und Flachgläsern, insbesondere Fenster- und Butzenscheiben, feine Bodenscherben und Retortenfragmente von Alchemie-/Labor-/Apothekengefäßen, Trinkgläsern, Vorrats- und Schankgefäßen und Flaschen sowie Knauf-Deckelfragmente.

Ohne archäologisch-wissenschaftliche Grabung konnten seit August 2004 bis heute insgesamt 8,6 kg Glasfragmente unterschiedlicher Größe und Qualität (davon 3,41 kg Produktionsabfälle, wie Abschläge von Glasmacherpfeifen, Glasbrocken, Glastropfen/-fäden (39,7 %)) oberflächennah aufgesammelt, zumeist dem zeit- und regionaltypischen Formenspektrum zugeordnet werden.

 

Pfeifenabschläge

Produktionsabfall aus einer fertig aufgeschmolzenen Glasmasse

 

Hohlglas - Tafelgeschirr, Haushaltsglas

Es liegen bei den Lesefunden dünnwandige, teils hochgradig fragmentierte Bruchstücke von Hohlglasgefäßen (Wandungen und Fußscheiben von Trinkgefäßen) vor.

Viele Fragmente von Schäften und zahlreichen Wandungsscherben kleiner blaugrüner Römer gleicher Machart mit Fadenfüßen und in zwei Reihen versetzt aufgebrachten glatten, spitz nach oben ausgezogener Nuppen auf der Wandung konnten geborgen werden.

Grünglasfragmente von Stengelgläsern mit Zackenkranz (unter dem fehlenden Kelch) waren im oberflächennahen Fundgut auszumachen, wie auch Nodi von Spitzgläsern, teils mit Ansätzen zu Scheibenfüßen und ein Fadenfuß von einem grün gefärbten Spitzkelchglas; mehrere Kelchfußstücke und Wandungsscherben von Achtkantstangen sowie Böden und Bodenfragmente von zylindrischen Stangengläsern mit angeblasenem Fuß schlossen sich an.

Hinzugesellten sich ein grüngefärbter Becherboden mit angeschmolzenem, geriffeltem Fußring und glatter Fadenauflage auf der aufgehenden Wandung sowie Becherfragmente mit Quadermuster aus grünem, farblosem und kobaltblauem Glas.

Darüber hinaus ist der Fund einer glatten, halbkugelförmigen Nuppe, einer Rosetten-Nuppe sowie zweier bunter Glasringe (Klapperringe) [22] hervorzuheben, ebenso Fuß- und Wandungsteile von Zylinder- und Achtkantstangengläsern, teils mit geriffelter oder glatter Fadenauflage.

Als weitere Hohlglasscherben traten ein hellgrüner Deckelknauf, Fragmente von diversen Flaschen unterschiedlicher Größe, Randfragmente von Kannen/Krügen mit glatten Fäden auf der Schulter auf.

Es fanden sich Mikrofragmente aus kobaltblauem Hohlglas, ebenso auch wenige Formglasfragmente (Hohlglasscherben) mit polychromer Emailbemalung, darunter ein Becherbodenfragment mit Standring und aufgehender Wandung.

 

Qualitative Untersuchung eines kobaltblauen Hohlglasfragments

Eine Probe (P2) der kobaltblauen Hohlglasfragmente konnte mit der zerstörungsfreien Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA-Handgerät) an der Technischen Universität Clausthal qualitativ untersucht werden.[6]

Das frühneuzeitliche Hohlglasfragment war Ca-reich und relativ K-arm, was auf die Verwendung von Buchenasche hindeutet.

Mit 1000-1200 ppm war Kobalt (Co) deutlich nachweisbar zusammen mit Arsen (As) mit 5000 - 6000 ppm, was auf den Einsatz von Kobaltarseniderzen wie Skutterudit (CoAs3) hinweist.

Nickel (Ni) lag unter der Nachweisgrenze.

Auch konnte kein Nachweis von Blei (Pb) geführt werden.

Anteile von Eisen (Fe) und Mangan (Mn) waren ebenfalls sehr gering (< 200 ppm).

Auch hier war Kupfer (Cu) nicht nachweisbar.

Das Kobalterz dürfte wohl aus dem Richelsdorfer Gebirge stammen, das zu den an Bodenschätzen reichsten Gebieten in Hessen gezählt wird.

Seit dem 15. Jahrhundert gab es Bergbau im Richelsdorfer Gebirge, einer Landschaft im Umfeld der Bergstädte Sontra und Nentershausen in Nordhessen.

Im Wesentlichen wurden hier die Mineralien Kupfer, Kobalt und Schwerspat (Baryt) mit dem Schwerpunkt Kupfer abgebaut.

 

Waldglashütte "Oberes Hellental" │ 1. Drittel 17. Jahrhundert

Fragmente kleinformatiger gestielter Römer │ Schnapsgläser oder Kinderspielzeuge

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Modelgeblasene Trinkgläser

  • grünliche Achtkantgläser - mit grün gefärbten, gekerbten Fadenauflagen

  • ausgestellte Fußscheiben von grünlichen Stangengläsern (runde Stangengläser?)

  • grünliche (Stangen-)Gläser - mit blau gefärbter, geriffelter Fadenauflage

  • Quaderbecher - gemodeltes Quadermuster aus grünem, farblosem und kobaltblauem Glas

  • farblose Becher │ Zylindrische Becher mit Emailbemalung

  • grünliche Berkemeyer │ Nuppenbecher mit gekerbten oder gewickelten Standringen; Hohlschäfte mit Reihen von nach oben gerichteten Nuppen [4]

  • grünliche Glasgefäße mit Deckelknauf

 

Stangengläser

Großvolumige, grünliche Stangengläser sind am Hüttenstandort durch ihre Rand-, Wandungs- und Fußfragmente fassbar.

Dies ist insofern nicht überraschend, denn für „etwa ein Jahrhundert gehörten mehrkantige Stangengläser nunmehr zur Standardproduktion der Glasmacher im Solling“.[33]

Ausgesprochen kleinteilige Rand-, Wandungs- und Fußscherben weisen auf den renaissancezeitlichen Glastyp des polygonalen Achtkantstangenglases hin, bestehend aus einem fast glockenförmigen, leicht ausladenden Fuß bzw. Standring mit umgeschlagenem Hohlsaum und innen hochgestochenem Boden.

Zur anzunehmenden Gefäßhöhe und zum Volumen können keine Angaben gemacht werden.[3]

Bei Wandungsscherben der Stangengläser konnten umgelegte Fadenauflagen nachgewiesen werden:

  • gekerbt/geriffelt

  • glatt

Vermutlich können die Fadenverzierungen der Sonderform Passglas zugeordnet werden.

Wie STEPHAN [33] ausführt, erbrachten „alle Glashütten des 17. Jahrhunderts im Solling mit einigermaßen umfangreichen Prospektions- oder Schürffunden ... Fragmente von derart gestalteten Stangengläsern.“

 

Weingläser

  • grünliche Römer/Nuppenbecher mit halbkugeligen glatten Nuppen, Beeren- und Rosettennuppen

  • grünliche Spitzgläser │ Kelchgläser mit Fußplatte, Stiel und Kelch

  • Ringelbecher

 

Schnapsgläser

  • dunkelgrüne Fragmente kleinformatiger gestielter Römer („Puppenstubenrömer“) mit Zackenkranzdekor [13]

 

Deckelpokale

  • dunkelgrüne Deckelknauf-Fragmente, schlichten Deckelpokalen zugeschrieben [12]

 

Baluster

  • Fragmente von Balusterformen (Grünglas) an Kelchgläsern ?

 

Schalen

  • hellgrün und braun gefärbte Fragmente von Schalen; ein braunes Fragment mit Fadenfuß

 

Waldglashütte "Oberes Hellental" │ 1. Drittel 17. Jahrhundert

Bodenfragmente Grünglasflaschen

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Vorrats- und Schankgefäße

 

Glaskanne

  • großer, aufwändig verzierter Henkel mit Daumenrast │ honiggelbes Glas

 


Waldglashütte "Oberes Hellental" │ 1. Drittel 17. Jahrhundert

Fragment einer Glaskanne

aufwändig verzierter Henkel mit Daumenrast aus honiggelbem Glas

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Flaschen │ Bouteillen unterschiedlicher Größe

  • Fragment eines konischen Flaschenhalses mit stark ausbiegender Lippe (Grünglas)

  • Fragmente einfach hochgestochener Flaschenböden (Grünglas)

 

Farbloses Hohlglas mit dekorativer, polychromer Emailmalerei

Im Kontext des Nachweises emailbemalter Boden- und Wandfragmente von Hohlgläsern ist eine polychrome Hohlglas-Emailmalerei als veredelndes Bild oder Dekor für repräsentative Hohlgläser (Humpen) zu diskutieren, als Kunstwerke Ausdruck der Tätigkeit eines fachkundigen Glasmalers auf der Hellentaler Glashütte.[8]

Diese Überlegung zur Einschmelzbemalung auf der frühneuzeitlichen Waldglashütte wird unterstützt durch

  • die herstellungstypische Zeitstellung 1. Drittel 17. Jahrhundert
  • Glasfragmente aus farblosem Glas
  • Bleifunde als möglicher Schmelzzusatz zur Gewinnung von Emailfarben
  • den Bodenfund eines massiven, ehemals gestielten Glaskörpers mit Gebrauchsspuren an der Oberfläche, der als Pistill bzw. Glasläufer genutzt werden konnte [11]

 

Zum Vergleich: Beeren-Nuppen

Hohlschaft eines Römers │ Mitte 17. Jahrhundert

Glasmuseum Hentrich │ Museum Kunstpalast, Düsseldorf

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Nuppen-Formen

aus grünlichem Glas

  • glatte, spitz nach oben ausgezogene Nuppen

  • glatte, halbkugelförmige Nuppen

  • Beeren-Nuppen

  • Rosetten-Nuppen

 


Zum Vergleich: Trinkglas mit breitem Fadenfuß │ Fadenauflage │ Glasringe

Landesmuseum Mainz │ 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Glasringe

Glasringe finden seit Jahrhunderten eine vielfältige Verwendung.

So waren nach KRUEGER [22] mittelalterliche Glasringe bereits etwa vom 10. bis ins frühe 14. Jahrhundert in einem weiten Verbreitungsgebiet als Grabbeigaben und als Siedlungsfunde in Burgen, Klöstern, Kirchen, Städten und ländlichen Siedlungen in Mode gewesen.

 

Zum Vergleich: Blaue Glasringe als Klapperringe

Landesmuseum Mainz │ 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Klapperringe

Zwei vollständig erhaltene, fadendünne Glasringe wurden als Klapperringe aus einem Glasfaden von qualitativ gutem Farbglas geformt :

  • längsovaler, braun gefärbter Glasring (⦰ außen: 23 mm, innen 14 mm)

  • kreisrunder, hellgrün färbter Glasring (⦰ außen: 19 mm, innen 16 mm)

Die Glasringe mit kleinem Innendurchmesser waren als signalgebende Anhängsel für die im 16./17. Jahrhundert beliebten Ringelbecher vorgesehen.

 

Flachglas

Butzenscheiben- und Fensterglasstücke belegen die Herstellung von Flachglas.

 

Butzenscheiben

  • mehrere Fragmente hellgrüner Butzenscheiben

 

Fensterglas

  • mehrere Fragmente hellgrüner Fenstergläsern

 

Glaspistill

Fragment des Unterteils einer gläsernen Handhabe [7]

massives, fast opak dunkelgrünes Fragment mit teils konzentrischen Kratz- und Schleifspuren (feine Rillen als Abriebspuren) auf der konvex gewölbten Oberseite │ leicht ovaler Durchmesser: 55 – 60 mm

Durchmesser Stielansatz (hohl): außen 35 mm │ innen 24 mm

Höhe: 18 – 20 mm │ Gewicht: 125 g

Herstellung vermutlich in einer einteiligen, ehemals gestielten Form auf der Waldglashütte

Daneben konnte ein kleines Randfragment eines schwach transluziden, grünen Glases aus der „Abfallhalde“ der Glashütte geborgen werden.

 

Waldglashütte "Oberes Hellental" │ 1. Drittel 17. Jahrhundert

Fragment eines Glaspistills (unterer Teil), ehemals mit Stiel als Handhabe

Kratz- und Schleifspuren auf der konvex gewölbten Unterseite

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Bei der Technik der Einschmelzbemalung (Emailfarben) konnte auch ein Glaspistill zum Pulverisieren in einem Glasmörser benutzt werden.

Die Reibspuren an dem massiven Glasfragment legen nahe, dass es dem Glasmaler als Pistill zum Anreiben von staubfeinen, farbigen Glaspigmenten und dem Vermischen des getrennt hergestellten Schmelzzusatzes mit dem pulverisierten Farbmittel (Farbzubereitung) und/oder auch zum Pulverisieren für metallurgische Prozesse bei der Gewinnung von Blei-, Cobalt- und Kupferoxiden gedient hat.

Nach ALMELING [15] wurden, "um beim Pulverisieren keine unerwünschten Beimengungen durch Abrieb von Gefäß oder Stößel zu bekommen, (...) die Substanzen im Glasmörser häufig mittels eines Glaspistills zerrieben".

 

Produktionsabfälle

Insgesamt konnten 3,41 kg Produktionsabfälle, wie Abschläge von Glasmacherpfeifen, Glasbrocken, Glastropfen/-fäden oberflächennah aufgesammelt werden.

 

Pfeifenabschläge

Als besondere Formengruppe sind die Abschläge der Glasmacherpfeifen zu benennen.

Die Negativabdrücke auf deren Innenseite lassen auf runde Enden der Glasmacherpfeien schließen.

 

Glasbrocken

  • dunkelgrünes Glas - vom Aspekt her blau imponierend

  • rot-opakes Glas - Rotfärbung durch Zuschlag von Kupferoxyd [14]

 

Glastropfen/-fäden

  • dunkelgrünes Glals

 

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[1] Bad Münder: Sonderausstellung im Museum im Wettbergschen Adelshof vom 01. April - 19. August 2012.

[2] MEIER 2012b.

[3] vergl. STEPHAN 2021, S. 28-38.

[4] RING 2003, S. 66-69, 72-73.

[5] STEPHAN 2021, S. 286.

[6] Qualitative RFA-Analyse vom 01. August 2023 durch den Diplom-Mineralogen Dr. Wilfried Ließmann, Institut für Endlagerforschung/FG Lagerstätten und Rohstoffe der Technischen Universität Clausthal. Zuvor Unterredungen am 22. November 2022 und 21. Juni 2023 mit Hinweis auf das norwegische Blaufarbenwerk Modum und die hessischen Blaufarbenwerke Carlshafen.

[7] RING 2003, S. 182-183, 190-192.

[8] ALMELING 2006, S. 37-38.

[9] STEPHAN 2021, S. 38-42, 45-62.

[10] STEPHAN 2022, S. 128.

[11] vergl. ALMELING 2006, S. 36 Abb.13.

[12] vergl. STEPHAN 2021, S. 79 Abb. 84.

[13] vergl. STEPHAN 2021, S. 85 Abb. 90.

[15] ALMELING 2006, S. 36 Abb.13, 37.

[21] STEPHAN 2012b.

[22] KRUEGER 2020, S. 14.