GLAS │ Eine "erstarrte Flüssigkeit"
Klaus A.E. Weber
Glas ist ein künstlich hergestellter Werkstoff, der seit über 3.000 bis 4.000 Jahren mit Phasen herausragender Errungenschaften und Zeiten des Stillstandes kontinuierlich zur Schaffung von künstlerischen und funktionalen Gegenständen genutzt wird.
Im Kontext des Schmelzens von Metall oder des Brennens von Keramik ist das faszinierende Kulturprodukt Glas in seiner Entwicklung seit der Bronzezeit bekannt und gebräuchlich.
Römische Glasgefäße (Nachbildungen)
Colonia Augusta Raurica │ Basel Landschaft
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Spiel mit Feuer, Sand und Asche
Der Begriff „ Glas“ (lat. vitrum) wird heute sowohl für den universellen Werk- und Wertstoff selbst als auch für die hieraus hergestellten Trinkgefäße gebraucht.
- Während Glas uns in der Regel formgeschmolzen begegnet, werden Fayencen (Ägyptische Fayence / "Quarzkeramiken") kalt geformt.
- Prähistorische Glasobjekte (mesopotamische, ägyptische, ägäische Gläser) erwiesen sich in der chemischen Analyse zumeist als Alkali-Kalk-Silikat-Gläser.
- Europäische prähistorische, römische und mittelalterliche Gläser lassen sich anhand der prozentualen Anteile von Natrium (Na), Kalium (K) und Magnesium (Mg) in verschiedene Gruppen von Alkali-Kalk-Gläsern differenzieren.
Frühmittelalterlicher Sturzbecher
Basel-Bernerring
2. Hälfte 6. Jahrhundert [9]
Historisches Museum Basel │ Barfüsserkirche
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Das Kulturprodukt Glas ...
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ist kein Feststoff, sondern ein Zustand mit hoher Materialdichte
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ist ein seit über 4.000-7.000 Jahre verwendeter Werkstoff, erzeugt durch einen chemo-thermischen Prozess
- ist geschmacksneutral
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wurde wegen seiner Geruchsneutralität bei Römern und Franken geschätzt
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entsteht unter enormer Hitze, wobei sich ein anorganisches Schmelzprodukt bildet, das abgekühlt und erstarrt ist, ohne jedoch zu kristallisieren ("erstarrte Flüssigkeit")
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fasziniert seit Jahrtausenden ob seiner unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten in Form und Farbe
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ist unentbehrlich, wird überall eingesetzt und ist daher allgegenwärtig
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bedarf der besonderen Wertschätzung, auch bei seinem alltäglichen Gebrauch
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wird sowohl für den Werk- und Wertstoff selbst als auch für die hieraus hergestellten Trinkgefäße gebraucht
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hat die Eigenschaft, dass es mit steigender Temperatur seine Viskosität verringert und gezogen, formgeschmolzen, getropft und geblasen werden kann
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hat eine große chemische Widerstandsfähigkeit
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ist weitgehend unempfindlich gegenüber hergestellten und aufbewahrten Substanzen sowie gegen Säure
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ist in seiner Lichtdurchlässigkeit stark beeinflussbar
Die physikalischen Eigenschaften des Glases werden von der Zusammensetzung des Schmelzgemenges bestimmt, wobei grundlegend zu unterscheiden sind
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die Härte
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die Druckfestigkeit
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die Zugfestigkeit
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die Elastizität
Vom Luxusgut zum Allgemeingut und industriellen Serienglas
Grundsätzlich kann bei Gläsern und deren Analyse unterschieden werden nach
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der chemischen Zusammensetzung
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der Zeitstellung (Epoche)
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dem Ort der Herkunft (Provenienz)
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der Art und dem Umfang der lokalen Glasverarbeitung
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der Form- und Farbgebung
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der Dekorgesteltung
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den Verzierungen, wie Nuppen, gekniffene Bänder, raffinierte Schliff- und Schnittdekore
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den Rohglasquellen
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den angewendeten Glasrezepturen
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der technischen Erzeugung
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den im Glasmacherhandwerk unterschiedlichen Kenntnissen und Fertigkeiten bei der Glasherstellung
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der wirtschaftlichen, sozialen, modischen und künstlerisch-kreativen Verwendung
- den Werkstatttraditionen in der Glasmalerei
Je nach handwerklicher Technik und Tradition wird der vielseitig verwendbare Werkstoff Glas
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geblasen
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gegossen
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geschliffen
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geätzt
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lüstriert
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überfangen
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eingefärbt
- mit anderen Materialien ⎸Zuschlagstoffen kombiniert
Flügelgläser "à la façon de Venise"
Glasmuseum Hentrich │ Museum Kunstpalast, Düsseldorf
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Bedeutung bei der Entwicklung unserer Kultur - in Kunst, Wissenschaft und Medizin
„Als „feste Flüssigkeit“ hat Glas eine umfassende Bedeutung für die kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung der Menschheit und das innovative wie künstlerische Potential des Werkstoffes ist offenbar noch keineswegs ausgeschöpft.“[3]
Die antike Verwendung und moderne industrielle Nutzung kennzeichnen den Werkstoff in seiner funktionalen Rolle [10]
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als Verpackung für Flüssigkeiten und empfindliche Stoffe - als Behältnisse für Salböle, Medikamente, Duftstoffe, Parfüm, Kosmetika bzw. kostbare Essenzen
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als Speise- und Trinkgeschirr │ Tischgeschirr
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als Fensterglas
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als gechliffene Glaslinsen
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als Lampenglas
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für Nippes und Spielzeug
- als Isoliermaterial
- als Heizelement
- zur Datenübertragung.
Ausschnitt aus einem Glasgemälde
Basel │ 16. Jahrhundert
Historisches Museum Basel
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Titurelpokal und Gralsschale
aus der Parcivalserie │ 1889
Glasmuseum Hentrich │ Museum Kunstpalast, Düsseldorf
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Gerhart Hauptmann (1858-1921)
GLAS, GLAS
Was ist das?
Es ist und ist nicht,
Es ist Licht und kein Licht,
Es ist Luft und nicht Luft,
Es ist duftloser Duft.
Und doch ist es hart,
Ungesehen von der Gegenwart
Dem gefangenen Vogel, der es nicht sieht
Und den es in Weite zieht.
Ein Lied mochte ich dichten vom Glas,
Einen Hymnus ersinnen
Im Geiste tief innen vom trockenen Nass.
Glas, Glas
Was ist das?
Es glänzt wie Wasser und ist nicht nass.
Gieß Wasser in ein gläsernes Glas
Klar und rein:
Es wird Glas im Glase sein.
Und ist es Wein,
Dann ist das gläserne Glas voll Farbe und Duft,
Und selber das Glas, ist nichts oder Luft:
Eine Form aus Luft, eine Form aus Nichts,
Ein leeres, leuchtendes Kind des Lichts.
Wo bist du Glas? Ich sehe dich nicht,
Nur der Strahl, der sich in dir bricht.
Du bist vielleicht nur ein Gleichnis vom Geist,
Ein Spiegel von Bildern und Strahlen gespeist.
Geist hat weder Zeit noch Ort
Und ist trotzdem aller Horte Hort.
Werke des tschechischen Bildhauers Jan Fišar [4]
Glasmuseum Hentrich │ Museum Kunstpalast, Düsseldorf
1999
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Jan Fišar (1933-2010) [1]
Glas ist schön,
und es ist gefährlich.
Glas ist ein technologisches Problem,
und das ist auch gefährlich.
Stengelgläser │ um 1900
Sonderausstellung [8] des Landesmuseums Mainz
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Glasdidgerridoo
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Polychrome volkstümliche Emailbemalung
Landesmuseum Mainz
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
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[1] Tschechischer Bildhauer Jan Fišar (1933-2010). Zitat aus dem Dokumentarfilm "Das andere Glas aus Böhmen" von Jiři Havrda, 1995.
[2] KRAMER 2022b.
[3] KRAMER 2023d, S. 16.
[4] Aus der Sammlung von Frauke Thole, Hamburg │ 2017.
[8] Sonderausstellung des Landesmuiseums Mainz vom 13. Mai 2018 bis 28. April 2019: Ausgetrunken! Trinkgefäße von der Steinzeit bis zum Jugendstil.
[9] ARCHÄOLOGISCHE BODENFORSCHUNG BASEL-STADT / HISTORISCHES MUSEUM BASEL 2008, S. 376, Abb. S. 272-273.
[10] TRIER/NAUMANN-STECKNER 2016, S. 41.