Langjähriger Glashüttenbetrieb

Klaus A.E. Weber

 

Glashütte mit immensem Holzverbrauch

Bislang konnten keine historischen Quellen zur Baugeschichte und zum Betrieb der Glashütte aufgefunden werden.[1]

So stehen insbesondere keine überlieferte Angaben über den Hüttenvertrag und -zins, die Abgaben, die Waldnutzung, die Produktion sowie zur Lieferung und zum Verkauf der Glaswaren zur Verfügung.[5]

Auch fehlen umfangreiche glastechnische Bodenfunde für den Hüttenplatz, da bislang keine planmäßigen wissenschaftlich begleiteten Grabungskampagnen der Bodendenkmalstellen durchgeführt wurden, etwa vergleichbar mit denen bei Grünenplan.

So ist es nicht mehr nachvollziehbar, welche genaue flächenmäßige Ausdehnung die ehemalige Glashütte Steinbeke hatte bzw. wo und wieviele Glasöfen auf dem Hüttenplatz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrieben wurden.

Noch heute wird im Dorf berichtet, dass von spielenden Kindern zu Anfang der 1960er Jahre eine Vielzahl nicht näher beschriebener Reste geschmolzener Glasmassen, Glasschlacken und -scherben im Bereich der Parkanlage gefunden wurden, ebenso - nach persönlichen Mitteilungen - Glas- und Hafenscherben bei der Kanalverlegung in der Hauptstraße in Höhe der Parkanlage.

In Verkennung ihrer glashistorischen Bedeutung wurden diese Bodenfunde jedoch nicht archiviert und stehen heute nicht mehr zur Verfügung.

Ende Juni 2003 bestand durch Auskofferungsarbeiten im Rahmen der Erweiterung und des Umbaus der Sozialräume des Dorfgemeinschaftshauses (Verlängerung des alten Quergebäudes) erstmals die Möglichkeit, kurzfristig nach den wenigen verbliebenen archäologischen Spuren des ehemaligen Hüttenstandortes Steinbeke systematisch zu suchen (ohne Feldvermessung oder Grabung).

Am 22. Juni 2003 konnte in der vom Bagger angeschnittenen Profilwand der anthropogenen Schwarzdecke (bei etwa 0,35 m), der typische Fließerde folgte, zwar in geringer Funddichte, aber an zwei Stellen hangseitig verdichtet, mehrere Kleinfunde geborgen werden.

Teilweise waren Hafenreste auch angeschnitten oder zerstört worden.

Alte Bauschichten und -befunde oder Ziegelbruchstücke aus der frühneuzeitlichen Gründungsphase der Glashütte waren nicht zu erkennen.

Vergleichbare Kleinfunde konnten in geringer Anzahl auch an der Oberfläche des steinigen Bodenaushubes als Streufunde abgelesen werden (Grünglas- und Hafenscherben, Holzkohlereste).

Da es an Glashütten üblich war, Glasbruch einzuschmelzen, erscheint es plausibel, dass in dem beschriebenen Areal nur wenige Glasscherbenreste gefunden wurden.

Damit konnte das Areal des ehemaligen Schulgartens in unmittelbarer Nähe zum heutigen Dorfgemeinschaftshaus als einer von weiteren anzunehmenden Ofenstandorten der Glashütte Steinbeke erstmals durch profilständige Kleinfunde belegt werden.

Zumindest dieser Glasofenplatz wurde später mehrphasig überbaut.

Die Kleinfunde waren, insgesamt gesehen, wenig ergiebig und zeigten bei der in situ Fundsituation im Bodenaushub und -aufschluss keine solche erkennbaren Umgebungsbedingungen bzw. -veränderungen auf, die den Aufwand einer facharchäologischen Untersuchung vor Ort oder gar eine wissenschaftliche Grabung gerechtfertigt hätten.

Zudem stand wegen der laufenden Baumaßnahmen nur wenig Zeit für die Fundbergung und Bodenuntersuchung zur Verfügung.

Darüber hinaus konnten im Frühjahr 2003 auch wenige einzelne Kleinfunde (hellblaue, blau-graue und grünlich-weiße Glasschmelzstücke) oberflächennah im Saumbereich der Parkanlage als Streufunde abgesammelt werden.

Ein Fund konnte hierbei als Hafenboden mit kobaldhaltiger Glasschmelze gedeutet werden.

Zudem wurden einige Kleinfunde in Form von kleinen Glas- und Hafenscherben von Hellentaler Bürgern zur Verfügung gestellt.

Andere materielle Hinterlassenschaften sind bis heute leider nicht verfügbar, wie beispielsweise Schmelz- und Arbeitshäfen, Schmelztiegel, Gießschalen, Baumaterialien, Keramik, Rohstoffe oder mineralische Zusätze für die Glasproduktion.

Der übliche landesherrliche Hüttenkontrakt ist offenbar verloren gegangen.[2]

Der Glashüttenmeister Jobst Henrich Gundelach konnte aber nur mit territorialherrlicher Zustimmung die Gebäude für die Glasherstellung im Hellental errichteten.

Deren Baukosten dürften selbst für den betuchten Privatunternehmer Gundelach sehr hoch gewesen sein.

Immerhin konnte beim späteren Verkauf der Hüttenanlage an den braunschweigischen Hof 1743 der stattliche Kaufpreis von 1.500 Reichstalern "taxiert" werden.

 

Fehlende Belege zur Betriebsstruktur und Leistungsfähigkeit der Glashütte

Heute besteht eine Einebnung baulicher Reste mit völliger Überbauung.

Es fehlen zudem primäre Schriftzeugnisse (Archivalien) als Belege zur Betriebsstruktur und Leistungsfähigkeit der Glashütte.

Ebenso gibt es keine Belege zu den Produktionseinrichtungen und -sequenzen, wie insbesondere zu den Glasöfen, Werksgebäuden, Glasprodukten und zu deren Verkauf.

Konnten zwar zwischenzeitlich einige wenige, aber typische Glasproduktionsreste gesichert und dokumentiert werden, so ist dennoch kein ausgedehntes, archäologisch ausreichend fassbares Fundmaterial für seriöse Interpretationen verfügbar.

Da bislang keine Produktionslisten aus der Betriebsphase vorliegen, bestehen keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, welche Bedeutung der Produktionsstandort Zur Steinbeke für das regionale oder gar überregionale Glasgewerbe und den Glashandel hatte und welches Glaswarensortiment (Typenspektrum) mit welcher Produktdominanz hergestellt worden war.

Zu vermuten ist, dass das Produktionsspektrum vornehmlich „Massenglas“ aufgewiesen hat; wahrscheinlich vornehmlich in Form von Grünglas.

Zudem darf angenommen werden, dass der Glasermeister Gundelach dem Braunschweiger Landesherren als Eigentümer der herzoglich-braunschweigischen Forst Merxhausen einen jährlichen Forstzins für das Holz und als Konzessionsabgabe eine bestimmte Menge Glaswaren frei oder zu festgesetzten Preisen abzuliefern hatte.

Auch über die Arbeitsorganisation und das Alltagsleben der Glasmacherfamilien ist nichts bekannt.

Im Analogieschluss zu historischen Berichten zur Glasbranche kann aber angenommen werden, dass auf der Glashütte Zur Steinbeke ein akzeptabler Lebensstandard erreicht wurde.

Den genealogischen Erkenntnissen zur Folge, dürfte es sich um einen prosperierenden Glashüttenbetrieb gehandelt haben.

Er umfasste eine Gesamtfläche von schätzungsweise etwa 2.000 m².

Im Zentrum eines Glashüttenbetriebes standen ein oder mehrere Schmelzöfen und der Arbeitsraum für die Glasmacher.

Nach der Rohstoffgewinnung waren in jener Zeit die wichtigsten Arbeitsschritte bei der Glasproduktion:[24]

  • Rohstoffbearbeitung

  • Schmelzen und Läutern

  • Verarbeitung mittels Mundblasverfahren

  • Kühlen

  • Schneiden, Schliff, Gravur, Aufbringen eines Glassiegels

  • Verpacken

  • Transport und Verkauf

 

Zeitgenössische

Herstellung

eines Kelchglases

Tafelausschnitte

Diderots Enzyklopädie

Die Bildtafeln

1762-1777 [20]

 

Gut vorstellbar ist hierbei das freie Blasen, wobei der Glasmacher aus der heißen, zähen Glasmasse das Glasprodukt durch Blasen und Drehen der langen Glasmacherpfeife, durch Schwenken und Schleudern sowie durch die Bearbeitung mit Werkzeugen weiter formte und vergrößerte und letztlich in die gewünschte Endform bringt.

Fertig geformte Gläser sind etwa 600° C heiß und müssen in einem Kühlofen langsam auf normale Temperaturen heruntergekühlt werden.[25]

Historische Dokumente darüber, welche Glasprodukte in welchen Grundformen, in welcher Dominanz und in welchem Typenspektrum „Meister“ Gundelach mit seiner Belegschaft herstellte, welcher Auftrags- bzw. Kundenkreis bestand und wie der Glasvertrieb organisiert war, liegen bislang nicht vor (u.a. keine verfügbaren Kundenbücher).

So bleibt auch das Verteilungsgebiet und die bevorzugte Handelsrichtung der Produkte der Gundelach’schen Glashütte völlig im historischen Dunkeln.

Gut bekannt ist, dass der Glaswarenabsatz in jener Zeit über verschiedene Handelsrouten führte, sowohl auf dem Land- als auch auf dem Wasserweg.

Die zerbrechlichen Glasprodukte wurden direkt in den Hütten von Glasführern mit Pferdewagen und Karren, Glasträgern mit Reffs (Kiepen) abgeholt und auf dem schwierigen Landweg verkauft, wobei jeweils Straßenzoll zu entrichten war.

Daneben spielte damals gerade der Transport auf dem Wasserweg über die Weser eine bedeutende Rolle.[26]

Wahrscheinlich erfolgte daher ein maßgeblicher Handelsweg vom Hellental auch in Richtung Holzminden zum dortigen Hafen.

Die eine oder andere Glasfracht aus der Gundelach’schen Glashütte könnte auf Weserschiffen in Richtung Bremen transportiert worden sein.

Es darf angenommen werden, dass der Hüttenmeister Gundelach selbst den einen oder anderen Glastransport begleitet hat, zumindest bis nach Holzminden, wo der Unternehmer bald auch seine Ehefrau Elisabeth Juliane Sophia Behm kennenlernte.

 

Nahegelegener mit Eichen

aufgeforsteter Holzlieferant

das "Buchholz"

Mai 2020

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Enormer Holzverbrauch

Da es sich bei der Glashüttenanlage Steinbeke anhand spärlicher Bodenfunde nachweislich um eine „grüne Hütte“ handelt, kann - ohne hierfür ausreichende glaskundliche Belege zu haben - davon ausgegangen werden, dass dort im Zeitraum von 1715/1717 - 1743/1745 vornehmlich grüne Hohlglasprodukte (Flaschen und Trinkgläser) hergestellt wurden.

Zumindest ist es derzeit fraglich, ob ggf. auch hochwertigere Hohlglasobjekte hergestellt wurden.

Bislang konnten keine, auch nur teilweise erhaltene Glasobjekte geborgen werden.

Möglicherweise wurde auch Flachglas (Fensterglas) hergestellt, wofür aber entsprechende Bodenfunde fehlen.

Bislang müssen auch die Fragen, ob die Glasschmelzgefäße, die „Häfen“, in eigener Regie vor Ort Steinbeke in besonderen „Hafenstuben“ hergestellt wurden und aus welchem Ton, mangels archivalischer und bodenkundlicher Hinweise unbeantwortet bleiben.

Es ist nicht überliefert, ob in der Glashütte der Großalmeroder Ton zur Herstellung von Häfen verwendet oder auch in Großalmerode selbst produzierte Schmelztiegel eingesetzt wurden.

Vermutlich wurden in der Glashütte keine am Luxus orientierte Glasprodukte, keine luxuriösen Trink- und Tischgeschirrgefäße hergestellt, sondern eher schlichte funktionale Vorrats- und Schenkgefäße, möglicherweise aber auch Gläser aus dem medizinisch-alchemistischen Bereich.

Bei den Glasprodukten dürfte es sich überwiegend um landesübliche Flaschen (grüne Formflaschen) gehandelt haben, wie Verkaufsflaschen (Bouteillen) für Bier, Wein, Brandwein und Essig.

Möglicherweise wurden eher preiswerte gläserne Gebrauchsartikel in großen Mengen für möglichst viele Käuferschichten hergestellt, aber auch für den Export in andere Gebiete außerhalb des Herzogtums Braunschweig.

Zumindest war die herzogliche Gründung der späteren Schorborner Glashütte (Zeichen „SH”) mit der Produktion von Bouteillen verbunden gewesen.

Da das Hüttenmaterial wie auch die erste Belegschaft zu Beginn der Schorborner Glashütte hauptsächlich aus der Glashütte Zur Steinbeke stammte, könnte hergeleitet werden, dass vormals auch in der Steinbeker Glashütte überwiegend Bouteillen als Massenware produziert wurden.

Die Rezeptur der verschiedenen Gläser war sicherlich ein streng gehütetes Geheimnis des jungen Hüttenmeisters Jobst Henrich Gundelach und seines Vizemeisters (Wentzel?).

Über Jahrhunderte hinweg wurde die Kunst der Glasherstellung und –verarbeitung in den Meisterfamilien nur vom Vater auf den Sohn weitergegeben, so dass angenommen werden kann, Jobst Henrich Gundelach hatte seine Glasmacherkunst von seinem Vater, dem Glashüttenherrn Jobst Gundelach in seinem ehemaligen mecklenburgischen Heimatort erworben.

Das damalige Grünglas, auch als „Waldglas“ bezeichnet, war als Gebrauchsglas von minderer Qualität, hergestellt als Massenprodukt (u.a. als Gebrauchsflaschen).

Aufgrund der von Bodenfunden nachvollziehbaren Glasproduktion dürfte in der Glashütte Steinbeke eher die preiswertere, unbehandelte Holzasche verwendet worden sein, denn reine Pottasche im historischen Sinn.

Pottasche wurde in der frühen Neuzeit bei jener Glasproduktion eingesetzt, wo es galt, klares, farbloses Glas („weißes Glas“) herzustellen.

Hieraus kann geschlossen werden, dass die Gundelach’schen Hütte wohl keine exquisiten Tafelgläser oder höfische Glaswaren produzierte.

Deren Fabrikation erfolgte damals in „weißen Hütten”, die ein kleines, meist dem Adel und den Hofbeamten zuzurechnendes Käuferpotential belieferten.

Wie von anderen Glashütten bekannt ist, war dem Landesherrn für das Brenn- und sonstige Nutzholz eine Hüttenpacht zu entrichten.

Sie wurde entweder vertraglich als eine Jahressumme festgelegt oder klafterweise berechnet.

Welche Pachtmodalität für die Glashütte Zur Steinbeke galt, ist nicht nachvollziehbar überliefert.

Der Holzverbrauch der Glashütte muss immens gewesen sein.

Hiervon zeugt eine Forstbeschreibung des Forstamtes Schießhaus aus dem Jahr 1727:[27]

"Das Merxhäuser Buchholtz aber ist bis auff den letzten Rest zu der Glashütten bereits abgetrieben. Vom Wildstall bis vorn Kollenberg wird geschlagen, diesen Ort gegen Bezahlung zu der Hellenthaler Glaß Hütte zuzuziehen, maßen der Glaßmeister Gundelach sich erbietet, das Holz malterweise zu bezahlen."

Nach altem Gewohnheitsrecht konnten bis in die merkantile Epoche hinein die für den Glashüttenbetrieb benötigten Rohstoffe im Solling, ohne Beachtung territorial-hoheitlicher Gegebenheiten, dort gewonnen und abtransportiert werden, wo sie natürlicherweise anstanden.

Umfangreiches Vorkommen (im Tertiär gelegen) von weißen Quarz-Sänden für das Glasherstellungsgemenge ist sowohl für Lenne als auch für Neuhaus bekannt.

Auch wurde feiner Quarzsand im Braunschweigisch-Wolfenbüttelschen "gleich über dem Grentz Bache" [4] gewonnen.

 

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[1] Bezeichnung "S 40" bei BLOSS 1977, S. 115 – Grünglashütte Steinbeke im Hellenthal; Hüttenstandort in der Ortsakte „Heinade-3-1 NLA WO Forstkarte 92 Neu F Nr. 501 Hellental“ der Kreisarchäologie Landkreis Holzminden

[2] BLOSS 1977, S. 115.

[4] Die "alte Sandwäsche" bei Neuhaus.

[5] ALMELING 2006, S. 28.

[20] Tafelausschnitt aus DIDEROTS ENZYKLOPÄDIE. Die Bildtafeln 1762-1777. 4. Bd. Reprint Augsburg 1995, S. 2582-2585.

[24] u.a. nach FROMMER/KOTTMANN 2004, S. 250 f.

[25] PARENT 1998.

[26] LEIBER 1994, S. 36.

[27] zit. in LESSMANN 1986.