Aufklärung - Das "lange 18. Jahrhundert"
Klaus A.E. Weber
Zeit der Aufklärung und der Revolutionen
Was Ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert
Kunstausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin [19] │ 18. Oktober 2024 – 06. April 2025:
„Was ist Aufklärung?“, fragte der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner 1783 in einem Beitrag für die Berlinische Monatsschrift.
Diese stellte die Frage ihren Leser*innen und initiierte damit eine Debatte um den Begriff, der die Philosophiegeschichte prägte.
Die Ausstellung nimmt die Frage auf und konzentriert sich dabei auf die wichtigen Auseinandersetzungen der Epoche.
Sie trägt den Widersprüchen und Ambivalenzen Rechnung, indem sie die Ideen dieser Epoche nicht als homogenes Fortschrittsprojekt präsentiert, sondern Konflikte um Konzepte und Forderungen sichtbar macht.
Deutlich wird, dass die Vorstellungen von Gleichberechtigung oder Toleranz den heutigen Vorstellungen nicht immer entsprechen und auch oft in der Praxis nicht eingelöst wurden.
Die Suche nach Wissen und der neuen Wissenschaft, Fragen nach der Religion, Gleichheit und Freiheit der Menschen und Forderungen nach bürgerlichen Rechten bis hin zu Merkantilismus und Weltbürgertum – diese Themen des sogenannten „langen 18. Jahrhunderts“ nimmt die Ausstellung in einer internationalen Perspektive in den Blick."
Der 43-jährige Joachim Heinrich Campe (1746-1818) aus Deensen schrieb seine „emotionale, begeistere Einschätzung der Ereignisse in Frankreich in der geschichtsträchtigen Nachtsitzung der Nationalversammlung Anfang August 1789“ nieder:[3]
„Die Ursache dieses allgemeinen Freudentaumels hat sich in der Nacht von 4ten zum 5ten in der Nationalversammlung zu Versailles ereignet.
Und diese Nacht ist dadurch, was auch immer für Folgen daraus entstehen mögen, für die französische Nation eine der merkwürdigsten unter allen Nächten geworden, welche in der neuen Geschichte ausgezeichnet zu werden verdienen. (…)
Das ganze alte Gebäude des Lehnsystems, mit allen seinen glänzenden Vorrechten für die Herrschaften, mit allen seinen drückenden Lasten für die Unterthanen, ward in einigen Minuten von Grund aus umgestürzt und vernichtet.
Der Adel, die Geistlichkeit, ja ganze Provinzen thaten Verzicht auf ihre angeerbten Rechte, Freiheiten und Privilegien.
Alle wollen künftig nur der allgemeinen Rechte eines Bürgers und Franzosen genießen, und wie jeder andere Bürger und Franzose die Staatslasten tragen helfen.“
Herzogschloß Zweibrücken │ Oktober 2019
1720-1725 im nordischen Barock errichteteResidenz der Herzöge
aus dem Geschlecht der pfälzischen Wittelsbacher
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Mit dem Volksaufstand in Paris und dem Sturm der Pariser Volksmassen auf die Bastille – dem Symbol des absolutistischen Despotismus - am 14. Juli 1789 begann die Französische Revolution.
Sie repräsentiert den Beginn eines auf allen Ebenen dramatischen Aufbruchs am Ende des 18. Jahrhunderts.
Dessen epochale Wirkung und Ausstrahlung führte zu nachhaltigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Europa, wie beispielsweise zur Ablösung der feudalen Rechts- und Eigentumsordnung und Wegbereitung der modernen Demokratie.
Insbesondere entwickelte sich seit der Französischen Revolution ein militanter Nationalismus.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit [1]
Wie Jean-Nicolas Pache (1746–1823) – Sohn eines Schweizers und Anhänger von Jean-Jacques Rousseau – die Französische Revolution aufmischt, Bürgermeister von Paris wird, Marie-Antoinette hinrichten lässt und selber nur knapp der Guillotine entkommt.
Madame de Staël – Kampf mit der Feder [2]
Germaine de Staël (1766-1817) war eine Schweizer Autorin und Denkerin in der Zeit der Französischen Revolution.
Sogar Napoleon fürchtete sie.
Barockschloss Carlsberg und Hofmaler Mannlich
Schloss Karlsberg - Das versunkene Versailles des Südwestens | SR Fernsehen 2015
Der absolutistisch regierende Herzog Carl II. August von Pfalz-Zweibrücken (1746-1795) ließ 1778–1788 das Schloss Karlsberg bei Homburg/Saar durch den Hofmaler und späteren Generalbaudirektor Johann Christian Mannlich (1741-1822) planen und errichten.
Der prunkvolle Wittelsbacher Schlossbau bestand allerdings nur wenige Jahre - bis zum Ausbruch der Französischen Revolution.
Der einst europäisch größte Landsitz der Barockzeit geht am 28. Juli 1793 in den Flammen des von französischen Revolutionstruppen gelegten Brandes auf.
Von Technik, Wachstum und Ressourcen geprägtes 18. Jahrhundert
Aufstrebende Wirtschaftsformen mit „allmählicher gewerblicher Durchdringung des ländlichen Raumes“
Landesgeschichtlich gilt insbesondere der Solling als strukturell fragiles Wirtschaftsgebiet und „als Beispiel für den Stilwandel fürstlicher Herrschaft im 18. Jahrhundert“, der durch den Zeitgeist des Merkantilismus [15] gekennzeichnet war, „reich an Ideen“, aber „arm an fiskalischen Erträgen“.[1]
Als staatlicher Einfluss veränderte der Merkantilismus entscheidend das Regionalprofil bis hin in die abgelegenen braunschweigischen Dorf:Region von Heinade, Hellental und Merxhausen.
In der frühen Neuzeit erfuhr der Solling eine Industrialisierungsphase, einhergehend mit seiner wirtschaftlichen Erschließung.
Als Vorläufer der Industrialisierung im heutigen Sinne gelten u. a. die staatlich geförderte Entwicklung im Hüttenwesen, die Entwicklung des Verlagssystems und der Manufakturen (Textilgewerbe), deren Produktionsweisen sich bis weit in das 19. Jahrhundert fortsetzten.[2]
Es sind solche gewerblichen, vorindustriellen Herstellungsverfahren, die auch maßgeblich die wirtschaftliche und damit auch die soziale Situation der hier regional betrachteten Dorfbevölkerung bestimmten.
Im 16. Jahrhundert begann zunächst die Phase, die in der Literatur häufig (allerdings nicht unkritisch) als so genannte Proto-Industrialisierung bezeichnet wird, als Vorgeschichte der Industrialisierung - vom Handwerk zur Manufaktur.[14]
Sie war gekennzeichnet durch die allmähliche gewerbliche Durchdringung des ländlichen Raumes („ländliche Nebentätigkeit“).
Dominierte zunächst noch die mittelbäuerlich geprägte Agrarwirtschaft, so kamen später nicht-agrarische Einkommensbestandteile auf dem Lande hinzu.
Während des 18. Jahrhunderts entwickelte sich neben der städtischen gewerblichen Wirtschaft zunehmend das Landhandwerk.
Hierfür ist in Niedersachsen das weit verbreitete Garnspinnen und Leinenweben ein besonderes Beispiel für ländliches Gewerbe mit internationalem Export in westeuropäische Handelszentren.
In dieser Zeit verdichtete sich das Marktgeflecht.
Um ihre Territorien wettbewerbsfähig zu gestalten, nutzten die Landesfürsten der frühen Neuzeit mehr oder minder geschickt das „Prinzip der Konkurrenzfähigkeit durch Imitation“.
Hierbei war die Förderung des Gewerbes eine wesentliche Kenngröße, wozu auch externe Arbeitskräfte als „Anbauer“ für den eigenen Wirtschaftsraum angelockt wurden (Arbeitsimmigration).
Zum Ende des 18. Jahrhunderts hin wurde in den niedersächsischen Territorialstaaten der wirtschaftliche und soziale Wandel deutlich beschleunigt und die „Binnenkolonisation“ staatsökonomisch hoch bewertet.[3]
„Epoche besonderer kultureller und wirtschaftlicher Blüte“ im Herzogtum Braunschweig
Während des 18. Jahrhunderts erlebte das Herzogtum Braunschweig, beginnend unter Herzog Anton Ulrich (1633-1714), eine „Epoche besonderer kultureller und wirtschaftlicher Blüte“.[4]
Es entwickelte sich während der früh angetretenen, langen absolutistischen Regierungszeit von Herzog Carl I. (reg. 1735–1780) von Braunschweig-Wolfenbüttel die zwar aufstrebende, aber mehr oder weniger erfolgreiche Wirtschaftsordnung und unbeschränkte Herrschaft des später so benannten Merkantilismus [15].
Dessen Voraussetzungen waren im Land Braunschweig um etwa 1730 gegeben.
Nach KAUFHOLD [13] wurde die Wirtschaft „eng an den Staat gebunden, der ihr Ziele setzte, Aufgaben stellte, den Rahmen ihrer Betätigung bestimmte. Vom Staat her gesehen … war [sie] Mittel zum Zweck“.[5]
Herzog Carl I. zur Seite stand „sein allmächtiger Minister Bernhard Schrader von Schliestedt, dessen unleugbar großer Geist ständig über neuen Entwürfen zur Landeswohlfahrt brütete“.[6]
In diesem Zusammenhang kann nicht unerwähnt bleiben, dass die ab 1736 nach Braunschweig (Graues Hofschloss, erbaut 1717-1735) verlegte, ständige herzogliche Residenz mit der großen, üppig-glanzvollen Hofhaltung (Hofstaat von ca. 400 Personen [7]) unter Herzog Carl I. und seiner Gemahlin Philippine Charlotte (1716-1801) finanziell sehr aufwändig geworden war.
Bei bereits bestehender hoher Schuldenlast des Herzogs bedurfte seine prunkvolle barocke Hofkultur fiskalischer Zuflüsse.
Hierzu sei angemerkt, dass Philippine Charlotte eine preußische Prinzessin (1716-1801) war, die Tochter von König Friedrich Wilhelm I. von Preußen und somit eine Schwester von Friedrich II. (Heirat am 02. Juli 1733).
Der Merkantilismus wurde die Volkswirtschaft des kleinen absolutistischen Territorialstaates zur "Beförderung des hiesigen Commerce", zur Förderung der Wirtschaft zu Gunsten der Selbstversorgung und zum Erreichen einer aktiven Handelsbilanz.[15]
Dazu wurden im Land Braunschweig arbeitsteilige, nicht zunftgebundene Großhandwerksbetriebe als Manufakturen staatlich gefördert oder Spezialindustrien neu aufgebaut.
Die Porzellanerzeugung im Schloss Fürstenberg (ab 1747) und die Glasherstellung in Holzen, Grünenplan und Schorborn sind hierfür bedeutende regionale Wirtschaftszeugnisse.[8]
Technische Verbesserungen wie auch die gewachsene Nachfrage nach Manufakturprodukten wurden von den Braunschweiger Herzögen der frühen Neuzeit fiskalwirtschaftlich dazu genutzt, das Land Braunschweig mit staatseigenen, gewinnbringenden Manufakturen auszustatten, um letztlich auch ihr Bedürfnis nach höheren Staatseinnahmen befriedigen zu können.
Im Sinne des Merkantilismus wurde beispielsweise um die Zeit der Stilllegung der Glashütte Steinbeke im Hellental von Herzog Carl I. 1744 die fürstliche Spiegelhütte "auf dem Grünen Plan" im "Ackenhäuser Holz" auf dem Grund einer früheren Glashütte errichtet.
Ihr folgte ab 1748 eine planmäßige Werkssiedlung für Glasmacher.
Zeittypisch gilt die Spiegelglasmanufaktur Grünenplan nach KAUFHOLD [12] als eine „merkantilistisch inspirierte herzogliche Gründung“, die dann „wegen der guten Qualität ihrer Waren einen über das Herzogtum hinausreichenden Ruf“ erlangte.
Ein weiteres Beispiel des Braunschweiger Merkantilismus ist die zeitgleiche Anlage der Fürstlichen Glasmanufakturen in Schorborn und Holzen.
Um 1744 wurde am Schorbornsteich eine „weiße“ Hütte und bei Holzen eine „grüne“ Hütte unter der maßgeblichen Wirkung des Wolfenbüttelschen Cammer Raths Thomas Ziesich (= Thomas Ziesig) gegründet.
Am 29. Dezember 1743 war der Kammerrat Ziesig durch Herzog Carl I. beauftragt worden, "zu dem Hüttenbau an der Weser, seinem Vorschlag nach, möglichst Anstalt zu machen, auch die Haushaltung so einzurichten, daß [man] nach Ablauf eines Jahres die Malter-Holz-Consumtion [9] ganz genau wissen könne."
Bereits 1748 war dann dem Hofjägermeister von Langen (1699-1776) die Aufsicht über die Glas- und Spiegelhütte übertragen worden.[10]
Um 1800 gab es im gesamten Herzogtum Braunschweig nur fünf Glashütten (als „Fabriken“), eine großbetriebliche, relativ umsatzstarke Glasmanufakturen in Grünenplan und Schorborn mit den Filialglashütten Pilgrim, Mühlenberg und Mecklenbruch als kleinere Unternehmen im Solling zur Ausnutzung der dortigen Holzbestände.[11]
[1] SCHUBERT 1997.
[2] SCHLEGEL 2003, S. 7.
[3] HAUPTMEYER 2004, S. 80 ff.
[4] HOFFMANN 2004, S. 47.
[5] zit. in KRUEGER 2003, S. 35.
[6] zit. in TACKE 1943, S. 93.
[7] BIEGEL 1997.
[8] HAUPTMEYER 2004; JARCK/SCHILDT 2000; BIEGEL 1997; ALBRECHT 1995; KOCH 1995; KAUFHOLD 1983; TACKE 1951.
[9] Brennholzbedarf.
[10] HENZE 2004, S. 99.
[11] KAUFHOLD 1983, S. 206.
[12] KAUFHOLD 1982, S. 205.
[13] KAUFHOLD 1998.
[14] Übersicht bei BAYERL 2013, S. 98-114.
[15] modern-ökonomisch: Leistungsbilanzüberschuss/Außenhandelsüberschuss - Zu ihrer staatlichen, frühkapitalistischen Einnahmesteigerung förderten Fürsten ihre heimischen (inländischen) Manufakturen und Monopolbetriebe zur Herstellung von Exportprodukten, wohingegen Importe verboten bzw. mit hohen Zöllen (Importzölle) belegt wurden.
[16] Blog-Artikel des Schweizerischen Nationalmuseums vom 15. Januar 2021 von Alain-Jacques Tornare, Historiker, emeritierter Lehrbeauftragter der Universität Freiburg.
[17] Blog-Artikel des Schweizerischen Nationalmuseums vom 21. Mail 2021 von James Blake Wiener, Autor, PR-Spezialist auf dem Gebiet des kulturellen Erbes, und Mitbegründer der «Ancient History Encyclopedia».
[18] WELLMANN 2022.
[19] ZEIT 2024, S. 49.