Hochphase │ Waldglashütten in Zeiten des Hexenwahns

Klaus A.E. Weber

 

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Erstes Drittel 17. Jahrhundert

In der Blütezeit der Waldglashütten des Weser-Leine-Berglandes - im 16. und 17. Jahrhundert - führte die zunehmende Nachfrage nach eher luxuriösen gläsernen Trink- und Tafelgefäßen zur Vergrößerung der Glasproduktionsstätten.

So entstanden noch in Zeiten des Hexenwahns in den Wäldern des Weser-Leine-Berglandes kleine, sozial isolierte Siedlungen auf Zeit mit einem Wohn- und Werkbereich.

Besorgt um ihre Forst- und Wildbahn achteten die Braunschweiger Herzöge, die die Konzession für die Errichtung und den Betrieb einer Waldglashütte erteilten, sehr darauf, dass einerseits der Holzverbrauch in Grenzen gehalten wurde, andererseits die Hüttenbewohner keine dauerhaften Siedlungsplätze in den herzoglichen Wäldern schufen.

Der Glashüttenmeister erhielt als „Privatunternehmer“ daher in der Regel eine landesherrlich nur auf wenige Jahre festgesetzte „Betriebserlaubnis“.

 

© Historisches Museum Hellental, Foto: Mechthild Ziemer

 

Bewaffnete Glasmacher

∎ Wie in der Ausstellung durch eine Nachbildung veranschaulicht wird, durften Glasmacher als begehrte Fachleute zumindest in den romanischen Ländern Glasmacher zu ihrer Sicherheit als Stich- und Hiebwaffe einen Degen tragen.[2]

 

Produktionsnahes Leben und anstrengendes Arbeiten auf Glashütten

zu Beginn des 17. Jahrhunderts

Nach bisherigem archäologisch-historischen Forschungsstand bestanden in der Hellentaler Kulturlandschaft während des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts zwei große, an einem Bachlauf gelegene Glashüttenbetriebe.

Bei beiden Bodendenkmälern handelte es sich wahrscheinlich um zeitlich befristete, dorfähnliche Glasmachersiedlungen mit einfachen Produktions-, Wohn- und Wirtschaftsgebäuden.

Der Betrieb der großen frühneuzeitlichen Glashütte im oberen Hellental wurde wahrscheinlich kurz vor dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) aufgenommen - während der Regentschaft des Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (reg. 1613–1634).

An den Wolfenbütteler Fürstenhof wurden vom Glaser M. Hanß Derbbing 1617/1618 Trinkgläser im Wert von 21 Gulden und 6 Mariengroschen geliefert.

 

Mariengroschen

Silber-Prägungen der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts

FO: Holzberg [3]

 

Münzen im Detail │ 1. Hälfte 17. Jahrhundert

Mariengroschen mit Vorder- und Rückseite

© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Die Glasöfen der Mehrofenanlagen brannten während der Betriebsperiode von Ostern bis Martini (11. November) pausenlos Tag für Tag, Nacht für Nacht, während in der Winterzeit die Glasherstellung ruhte.

Die Glasmacher schlugen dann mehrere hundert „Klafter“ Holz als Vorrat für kommende Produktionsphasen ein.

Zudem wurden „kalt gelegte“, durch die hohen Schmelztemperaturen ständig stark beanspruchte Werköfen ausgebessert oder erneuert.

Beide frühneuzeitliche Glashütten waren auf ein komplex strukturiertes, arbeitsteiliges und präzises Zusammenwirken aller Produktionsbeteiligten angewiesen – mit anstrengendem und gefährlichem Arbeitsalltag.

Der Vorgang der Glasschmelze erforderte ein produktionsortnahes Wohnen der Glasmacher sowie eine Betriebsorganisation im Schichtdienst rund um die Uhr.

Als Betriebsgemeinschaft können etwa 20–30 Hüttenbeschäftigte sowie Personen ihrer Familie und auch Zuarbeitende angenommen werden, die sich in der Regel vor Ort selbst versorgten.

Daher dürften die Hüttenbewohner zu ihrer Ernährung mit herzoglicher Genehmigung im Hellental eine „kleine Landwirtschaft“ mit Viehhaltung, Wiesennutzung und Gartenbau betrieben haben.

In der Abfallhalde geborgene Sachkulturgüter, wie beispielsweise Funde teils seltener, bemalter Irdenware, dokumentieren sozio-ökonomisch einen gehobenen Lebensstil auf den spätrenaissancezeitlichen Waldglashütten.

Zudem lassen Glas- und Keramikfunde wie auch anderes Fundmaterial auf weitläufige Handelsbeziehungen der Glashüttenmeister schließen, die weit über die Sollingregion hinaus reichten.

 

Alltagskulturelle „Pottlandkeramik“

Gebrauchskeramik │ Irdenware und Steinzeug

 

∎ Stiel-/Tüllenpfannen

bleiglasierte Irdenware

 

∎ Dreibein-Töpfe (Grapen)

bleiglasierte Irdenware

 

∎ Milchsatten

Steinzeug

Aufrahmschüsseln mit Lochung für Dickmilch/Käse

 

∎ Topf, Salbentöpfchen

Duinger Steinzeug, salzglasiert

 

Differenzierte Herstellung qualitätsvoller Hohl- und Flachgläser

Für die im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts im oberen Hellental betriebene Waldglashütte „im Hellthall lässt sich ein differenziertes Hohl- und Flachglasspektrum archäologisch nachweisen.

Die Hohlglasgruppen mit unterschiedlichen Formen, Verzierungen und Farbgebungen umfassen Römer als Weingläser, Stangengläser für Bier, Becher, Kelchgläser, emailbemalte Humpen, Schalen, Kannen und Flaschen, aber auch Glasprodukte des medizinisch-alchemistischen Bereichs.

Der Gruppe der Flachgläser sind verschiedenartige Fragmente von Fenster- und Butzenscheiben zuzuordnen.

Das rekonstruierte zeit- und regionaltypische Formenspektrum von spätrenaissancezeitlichen Hohl- und Flachgläsern wird in verschiedenen Vitrinen präsentiert - zur Veranschaulichung ergänzt mit Nachbildungen (Replikate).

 

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[1] Wolf Helmhard von Hohberg, 1682 - zitiert in GRIMM, C. (Hsg.): Glück und Glas. München 1984.

[2] SÜSSMUTH (1950), S. 13.

[3] Bodenfunde von Michael Begemann, Holtensen (Einbeck).