"Gundelachsen Hütten im Sölling" │ um 1715-1745

Klaus A.E. Weber

 

"Hölthal Glas Hütte" │ "Steinbeker Glashütten" │ "Alte Glase Hütte"

 

In dem für die Glasherstellung topografisch wie kleinklimatisch günstigen, westlichen Seitental des unteren Hellentals lag ehemals im Mündungsbereich des Seitenbaches „Steinbeke“ eine relativ große, weilerartig ortsfest angelegte Glashütte mit einfachen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, deren Standort heute völlig überbaut ist.

Der relativ langjährige Produktionszeitraum - die Glashütte produzierte rund drei Jahrzehnte lang - der neuzeitlichen Hellentaler Glashütte im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel überspannte insgesamt drei dynastische Regierungszeiten von Herzögen zu Braunschweig-Wolfenbüttel (Regenten aus Linie Wolfenbüttel-Bevern):[4]

Der am 18. Februar 1676 in Stück bei Perlin in Mecklenburg geborene Glashüttenmeister und spätere herzogliche Amtmann Jobst Henrich Gundelach [8] errichtete zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der buchenwaldreichen staatlichen „Merxhäuser Forst“ mit anderen aus dem "Mecklenburgischen" kommenden Glasmacherfamilien [Gundelach, Hesse, Jacephet, Kamelin (Gamelin), Kauffel(t), Runge, Schlieker, Wen(t)zel, Zitz (Seitz)] [9] die Bauwerke der letzten Glashüttenanlage im Hellental.[13]

Jobst Henrich Gundelach ist genealogisch der sehr wichtigen, traditionsreichen Glasmeisterdynastie "Becker genannt Gundelach" aus dem Spessart (zu Beginn des 15. Jahrhunderts) und dem nordhessischen Großalmerode im Kaufunger Wald (zu Beginn des 16. Jahrhunderts) zuzuordnen.[11]

Erst seit kurzem regierend, dürfte Herzog August Wilhelm zu Braunschweig-Wolfenbüttel [* 1662 / reg. 1714 - † 1731] [12] spätestens um 1714/1715 die für den Glashüttenbetrieb erforderliche landesherrliche Konzessionierung vorgenommen haben.

 

Karlsruher Schloss

Residenz der Markgrafen

und späteren Großherzöge

von Baden

17. Juni 1715

Grundsteinlegung

von Markgraf Karl Wilhelm

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

um 1715

Vermutlich erfolgten von zugezogenen Glasmacherfamilien aus dem Glasmacherzentrum Mecklenburg im Zeitraum um 1715 die ersten Vorbereitungen zur Gründung und Inbetriebnahme der Glashütte in der staatlichen „Merxhäuser Forst“ unter Herzog Ferdinand Albrecht II. (1680-1735) von Braunschweig-Wolfenbüttel.

 

1717

Erster archivalisch fassbarer Beleg für die Existenz der "Steinbeker Glashütte" im Solling (Kirchenbucheintrag Heinade)

Die bislang früheste urkundliche Erwähnung und sozialräumliche Erfassung der Waldglashütte als "uff der Steinbeker Glashütten" ist dem Taufeintrag im Kirchenbuch Heinade vom 06. Juni 1717 zu entnehmen:[13]

"Anno 1717 den 6 t. jun. zu Heenade Hanß Henrich Hessen Söhnlein getaufft und ist dasselbe Hieronymus Christian genanndt worden, die Gevattern waren Christian Wentzel, Hieronymus Kauffel und Ilsabet Matha Kamelion, alle auß dem Mecklinburgischem."

 

1718

Als "Glasemeister" wird Jobst Henrich Gundelach erstmals archivalisch durch einen Taufeintrag vom 30. Januar 1718 "auf der Glasehütte" fassbar.[18]

"Anno 1718, den 2 ten jan. auf der Glasehütte bei Merxhausen Christian Wentzels Töchterlein getauft und ist daselbe Anna Maria genannt worden, die Gevattern waren Hieronymus Kauffel, Burchard Zitz uxor und Baltasar Wentzels Filia alle aus dem Mecklenburgischen."

Dem Kirchenbuch Deensen ist zu entnehmen, dass "Mons. Behm" einer der Paten bei der Taufe von Henrich Julius Wentzel am 22. März 1720 in der Steinbecker Glashütte war - Sohn von Christian Wentzel und Ilse Martha Garmelin.

 

1719

Jobst Henrich Gundelach heiratet am 07. Februar 1719 in der evangelischen Kirche zu Holzminden Elisabeth Juliana Sophia Behm [1696 - ~ 1755/1756], älteste Tochter aus der ersten Ehe von Christian Heinrich Behm [1662-1740] und Johanna Dorothea Behrens [1676-1708].

 

1724

Ein weiterer Taufeintrag folgt im August 1724:

"Anno 1724 den 29 ten augusti auf der Steinbecker Glasehütten Herr Jobs Christoff Gundelachs Töchterlein getauft und ist dasselbe Johanna Sophia Christina genannt worden, die Gevattern waren des Fürstlich-Braunschweigisch-Lüneburgischen Herrn Abt Brehms uxor und des Fürstlich-Braunschweigisch-Lüneburgischen Haus Hofmeisters des Stifts Gandersheims Herrn Wetbergs uxor."

 

1735

Jobst Henrich Gundelach wird von Herzog Ferdinand Albrecht II. (1680-1735) zum herzoglichen Amtmann in Lichtenberg (bei Salzgitter) ernannt.

 

1743

Wechsel in der Hüttenleitung

Der herzogliche Kammerrat Thomas Ziesich (1686-1761) aus Braunschweig ist als "Ober Glaß Hütten Inspector" auch für fiskalische Hüttengründungen im Braunschweiger Teil des Sollings zuständig.

Staatlicher Ankauf der Glashütte für 1.500 Reichsthaler durch den Braunschweiger Hof unter Herzog Carl I. (reg. 1735-1780) von Braunschweig-Wolfenbüttel.[18]

Glashüttenverwaltung und Übernahme des Hüttenbetriebs in landesherrlicher Leitung.

Im Mai 1743 wird ein "Hr. Verwalter Procis" in der Glashütte Steinbeke genannt.[5]

 

1744

Bis März 1744 wird der Glashüttenbetrieb "im Hellenthal" noch "für Ihro Hochfürstl. Durchlaucht Rechnung" weitergeführt.

1744 wird die fürstlich-merkantilistische Glasproduktion am Schorbornsteich mit abgewanderten "Gundelachsen Hütten Laboranten" und deren mitgebrachten Hüttenequipment aufgenommen.[15]

 

1745

Die Forstkarte "Geometrischer Grundriss Der Merxhäuser-Forst - Wie selbiger in Anno 1745 aufgenommen worden von Ludwig August Müller" belegt den Glashüttenwerkweiler durch den Namenszug "Hölthal Glas Hütte".[17]

In der Hellentaler Glashütte dürften demnach weiterhin Glaswaren unter fürstlcher Administration hergestellt worden sein.

 

1745/1746

Übersiedlung von Glasmacherfamilien nach Schorborn

Arbeitsmigration

 

1748

erstmalig Bezeichnung "zur alten Hütte" [11]

 

1751

Schriftsatz vom 17. Juni 1751 an die herzogliche Kammer in Braunschweig wegen der aus "vormaliger Gundelachsen Hütten" erwachsenen Ansprüche der Gundelach-Erben gegenüber der herzoglichen Kammer

 

1756

"Glashütte zu Steinbeck jetzo Hellenthal"

 

1774

Die Schorborner Glasmanufaktur nutzt als "Neue Glasehütten" Grünland - "ohnweit dem Hellenthale"

Die bei BLOSS [6] zitierte "Buchholtz Wiese" - "ohnweit dem Hellenthale" diente in den Jahren um 1774 dem Glashüttenbetrieb der „Fürstlichen Hohl- und Tafelglashütte am Schorbornsteich“ als landwirtschaftlich genutztes Dauergrünland, auf dem jährlich 6 bis 7 Fuder Heu für den Hüttenbetrieb geerntet wurden.

 

Fazit

Die genealogische Betrachtung ergibt für "Steinbeker Glashütte" eine über Jahre wachsende Hüttenbelegschaft (neue Glasmachernamen).[14]

Für eine althergebrachte Waldglashütte weist die Glashütte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine ungewöhnlich lange Betriebsdauer auf: ~1715-1745.

Die zunächst privatwirtschaftlich geführte Glashütte ist eine relativ große Hüttenanlage.

Die Glashütte führt zu einer kleinen ortsfesten Hüttensiedlung im Sinne eines Werkweilers, aus der nach der Hüttenstilllegung das Waldarbeiter- und Landhandwerkerdorf Hellental durch Zuwanderung (Arbeitsmigration) hervorgeht.

Der Hüttenbetrieb wird eingestellt als durch die Kommerzialisierung von Herrschaftsrechten um 1744 im braunschweigischen „Weserdistrikt“ – im Solling und Hils - erste dauerhafte Glasmanufakturen errichtet werden.

Der verlassene Hüttenort (Werkweiler) untersteht noch für einige Jahre dem Schorborner Hüttengericht.[11][16]

 

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[1] biografische Angaben bei JARCK 2006, S. 391-392.

[2] STEPHAN 2010, S. 134.

[3] STEPHAN 2010, S. 527 (83); BLOSS 1977, S. 115-116; eigene Inventarisation (Kennbuchstaben/Ziffer): Ht = Hellental / GfN = Glashütte frühe Neuzeit

[4] JARCK 2006, S. 59, 216-217, 391-392.

[5] BLOSS 1950a, S. 10.

[6] BLOSS 1950a, S. 16.

[8] NLA WO, 92 Neu F 501 und NLA WO, 4 Alt 10 XIV Nr. 2.

[9] Vater: Jobst Gundelach: * 13. August 1645 in Toddin/Mecklenburg, † 29. April 1710 in Krembz/Mecklenburg; Mutter: Elisabeth Wentzel: * 1653, † 28. November 1728 in Torisdorf/Mecklenburg.

[10] NÄGELER 2015; NÄGELER/WEBER 2004; BLOSS 1950, S. 11.

[11] BLOSS 1950a, S. 12.

[12] BLOSS 1950, S. 17: Zum Wertvergleich: 1774 wurde der Wert der gesamten Schorborner Glasmanufactur einschl. Nebengebäude und Zubehör auf 1.797 Reichstaler geschätzt.

[13] NÄGELER/WEBER 2004; 2005, S. 299-305.

[14] Es fehlen Baupläne oder andere archivalische Quellen, die zeigen könnten, wie einst der Hüttenkomplex (Werk-, Wohn- und Wirtschaftsgebäude) gestaltet war. Zur zeitgemäßen hüttenbautechnischen Orientierung wird auf die archäologischen Untersuchungsergebnisse bei der Fürstlichen Glasmanufaktur in Holzen (1744-1768) verwiesen: LEIBER 2007, S. 139-162.

[15] OHLMS 2006 / Fürstliche Glasmanufaktur Schorborn. Verborgen und verkannt. Die merkantilistische Glasproduktion des Herzogtums Braunschweig. In: Der Glasfreund. 20. Jg. Nr. 55. Mai 2015. S. 20-21.

[16] STEPHAN 2010, S. 509.

[17] NLA WO, 4 Alt 10 XIV Nr. 2 - Ausschnitt 3 Karte Bl. 2 Teil 2 (vom NLA WO in digitalisierter Kopie erworben; im Archiv Hellental bei Dr. Klaus A.E. Weber, Hellental).

[18] biografische Angaben bei JARCK 2006, S. 57-58.[13] NÄGELER/WEBER 2004; 2005, S. 283.